Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Blaupause der Causa Böhmermann: So sorry
> Mitte der sechziger Jahre verurteilte die Bundesregierung eine satirische
> Bildmontage über den persischen Schah – weil er beleidigt war.
Bild: Ein schlechter Witz über Schah Mohammed Reza Pahlewi und seine Frau Fara…
Der Bundespräsident war nicht amüsiert. „Kürzlich hat ein Journalist das
Staatsoberhaupt eines uns befreundeten Landes auf unerhörte Weise
herabgesetzt“, empörte sich das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik. Der
Angegriffene habe ihn wissen lassen, „dass er sich auf das Tiefste verletzt
und beleidigt fühle“. Ihm müsse der „Schutz unseres Staates“ gewährt
werden, weil sonst „unsere freundschaftlichen Beziehungen gefährdet“ seien.
Nein, das stammt nicht von Joachim Gauck. Denn was so aktuell klingt, ist
mehr als 50 Jahre her. Bundespräsident war damals der Christdemokrat
Heinrich Lübke. Und es geht bei dem so schwer Beleidigten nicht um den
türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, auch wenn der Fall
bemerkenswerte Parallelen zur Causa Böhmermann aufweist. Tatsächlich ist er
die Blaupause für jenes absurde Theater, das gerade die Republik erregt.
Was heute ein „Schmähgedicht“ ist, war seinerzeit eine witzig gemeinte
Fotocollage: Am 5. Dezember 1964 erschien in der Wochenendbeilage des
Kölner Stadt-Anzeigers auf der Seite „Unterhaltung“ eine Bildmontage des
österreichischen Cartoonisten und Satirikers Harald Rolf Sattler. Sie
zeigte den persischen Schah Mohammad Reza Pahlavi mit dem – zum Zeitpunkt
der Veröffentlichung längst verstorbenen – saudischen Herrscher Abd al-Aziz
ibn Saud und war mit der Unterzeile versehen: „Also gut, gib mir die 30
000.-, und du kannst Farah Dibah haben!“ Der schale Witz löste heftigste
diplomatische Verwicklungen aus.
Wie jetzt die türkische ließ die persische Botschaft der Bundesregierung
erbost eine Verbalnote zukommen und forderte die Anwendung des Paragrafen
103 StGB gegen die Verantwortlichen: „Beleidigung von Organen und
Vertretern ausländischer Staaten“. Innigst um gute Beziehungen zum
iranischen Folterstaat bemüht, erteilte die schwarz-gelbe Bundesregierung
Ludwig Erhards die nach Paragraf 104a erforderliche Ermächtigung zur
Strafverfolgung.
Was Bundespräsident Lübke in seiner Neujahrsansprache mit Genugtuung
kommentierte. „Wenn die Öffentlichkeit derartige Entgleisungen ernst nehmen
und ihren Abscheu offen zeigen würde, dann wäre es leichter, unseren
deutschen Namen sauber zu halten“, sagte er in seiner von Funk und
Fernsehen übertragenen Rede. „Leider überlässt man das alles dem Staat,
obwohl unsere Ehre doch einem jeden von uns teuer sein müsste.“
## Große Reue, kleine Strafe
Herausgeber und Chefredaktion des Kölner Stadt-Anzeigers leisteten umgehend
Abbitte. In einem Schreiben an die Botschaft, den Bundespräsidenten und den
Presserat bedauerten sie zutiefst die Veröffentlichung, „deren
Geschmacksverirrung sicherlich größer war als ihr vermeintlicher Witz“.
Außerdem erschien eine Erklärung „in eigener Sache“, in der sich das Blatt
schuldig bekannte: „Wir stehen dazu, objektiv einen Fehler gemacht zu
haben. Wir wehren uns auch nicht dagegen, für diesen Fehler zur
Rechenschaft gezogen zu werden.“
Am 1. Juli 1965 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Das Verfahren zog
sich über drei Instanzen und dauerte fast drei Jahre. Schließlich wurden
Collagen-Urheber Sattler und der verantwortliche Ressortleiter Rolf
Elbertzhagen im Januar 1968 rechtskräftig zu Geldstrafen verurteilt. Bei
der Strafzumessung hielt das Gericht den beiden zugute, dass der „Fotospaß“
keine politische Absicht gehabt und kein abwertendes Urteil enthalten habe.
Es handele sich vielmehr erkennbar um einen „Scherz, der nur deswegen eine
Beleidigung bleibe, weil er seine Grenzen überschritten habe“, wie ein
Prozessbericht resümierte.
13 Apr 2016
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Jan Böhmermann
Satire
Recep Tayyip Erdoğan
Schah
Joachim Gauck
Piraten
Jan Böhmermann
Jan Böhmermann
Jan Böhmermann
Jan Böhmermann
Jan Böhmermann
Jan Böhmermann
Jan Böhmermann
Jan Böhmermann
## ARTIKEL ZUM THEMA
Roman über den Schah-Besuch 1967: Arier unter sich
Unser Autor hat den Besuch Reza Pahlawis in Rothenburg zu einem Roman
verarbeitet. Und einen Schah-Doppelgänger hinzugedichtet.
Gaucks Nachfolge: Schwierige Kandidatensuche
Joachim Gauck soll sich entschieden haben, auf eine zweite Amtszeit zu
verzichten. Die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung sind
kompliziert.
Piraten-Kundgebung aufgelöst: Die Polizei liegt völlig daneben
Der Berliner Oberpirat Bruno Kramm hat Teile von Böhmermanns Gedicht
zitiert. Er bewegte sich damit eindeutig im Rahmen des Erlaubten. Ein
Kommentar
Kommentar Beleidigung von Staatschefs: Ein unnötiger alter Zopf
Der Paragraf zur Beleidigung von ausländischen Staatschefs gehört
abgeschafft, denn er ist überflüssig. Und belastet die Regierung unnötig.
Debatte zum Paragrafen 103: Union gegen Lex Böhmermann
Die SPD will den Paragrafen zur Majestätsbeleidigung im Strafrecht
streichen. Die Union ist dagegen und hat den Vorschlag abgelehnt.
Erdoğan vs. ZDF-Satiriker: Immer Stress mit Böhmermann
Der Präsidenten-Anwalt will durch alle Instanzen gehen. Juncker kritisiert
Erdoğans Vorgehen und prominente KünstlerInnen solidarisieren sich mit
Böhmermann.
Nach Schmähgedicht über Erdoğan: Böhmermann bekommt Polizeischutz
Inzwischen gibt es mehr als hundert Anzeigen gegen Jan Böhmermann. Die
Polizei stellt ihn unter Schutz. Er selbst sagte seine nächste Sendung ab.
Kolumne So nicht: Böhmermann für jedermann
Kennen Sie schon alle Meinungen zu Böhmermann? Stürzt Merkel über einen
Satiriker? Gibt es einen neuen Türkei-Deal? Das Debatten-ABC.
Rechtslage zu Böhmermann: Zu viel des Bösen
Eine Sonderform der Beleidigung: Böhmermann ging es nicht nur um ein kurzes
Beispiel – er präsentierte ganze sechs Strophen des „Schmähgedichts“.
Pro und Contra zur Causa Böhmermann: Knickt die Regierung vor Erdoğan ein?
Berlin will auf Wunsch der Türkei schnell prüfen, ob gegen Moderator Jan
Böhmermann ein Verfahren zu eröffnen ist. Ist das falsch?
Schmähkritik von Jan Böhmermann: Grimme ehrt, Erdoğan fordert Strafe
Böhmermann wird für sein Gedicht gegen Erdoğan heftig gelobt - selbst von
Springer-Chef Döpfner. Die Türkei aber will, dass die deutsche Justiz tätig
wird.
Jahrestag des Schah-Sturzes: Irans Jubelperser kehren zurück
Zum Jahrestag des Schahsturzes demonstrieren Regimekritiker und Befürworter
vor der Botschaft. Der Anmelder der Gegendemo hält die
Pro-Iran-Demonstranten für bestellt und die Auflagen für übertrieben.
Debatte Iran: Persiens historisches Jahr
Historiker sehen in der iranischen Protestbewegung bereits Parallelen zur
konstitutionellen Revolution von 1909. Eine voreilige Hoffnung?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.