# taz.de -- Roman über den Schah-Besuch 1967: Arier unter sich | |
> Unser Autor hat den Besuch Reza Pahlawis in Rothenburg zu einem Roman | |
> verarbeitet. Und einen Schah-Doppelgänger hinzugedichtet. | |
Bild: Burgtor am Burggarten, Rothenburg ob der Tauber | |
„Der Schah ist eine gefährdete Person!“, hieß es im Mai 1967 in Rothenburg | |
ob der Tauber, bevor [1][Schah Reza Pahlawi] und seine dritte Frau Farah | |
Diba dort eintrafen. Die Hecken wurden gestutzt, um Scharfschützen keine | |
Deckung zu erlauben. Auf jedem Turm saß ein Schutzmann. Und dann nahten | |
auch schon zwei Züge aus dem nahe gelegenen Schweinsdorf. Einer davon leer | |
als Vorhut, um potenzielle Bomben zur Explosion zu bringen. Besser als | |
jeder Thriller. Ein gutes halbes Jahrhundert später stehe ich glücklicher | |
Schriftsteller selbst mittendrin in dieser Szenerie: Im Jahr 2020 bin ich | |
Literaturstipendiat des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg o. d. | |
T. | |
Ich erfahre: Die wohl berechtigte Furcht vor einem Anschlag auf den Schah | |
ließ damals die mittelalterliche Stadt zu einer Festung mutieren. | |
Einwohner*innen hielten die Fenster geschlossen und Journalist*innen | |
mussten sich sogar für eine Berichterstattung vom Marktplatz aus | |
akkreditieren lassen. Einem nützte selbst das nichts, ihm bescherte seine | |
dunklere Hautfarbe das Misstrauen des Hoteliers und einen Besuch des BKA. | |
Der Verdacht, dass er Iraner sei, erwies sich allerdings als unbegründet. | |
Erwischt hat es von den 12.000 Rothenburgern dagegen sechs iranische | |
Studierende, die am Goethe-Institut Deutsch lernten und während des | |
Schah-Besuchs auf Kaffeefahrt geschickt wurden. | |
So weit die Fakten. Ob hingegen an diesem Tag ein Doppelgänger des Schahs | |
Rothenburg besuchte, ist nicht verifiziert. Das kann durchaus der Fall | |
gewesen sein – oder aber auch nicht. Für einen Roman reicht das völlig aus. | |
Wichtiger ist die Umgebung, denn welcher Ort als das pittoreske Rothenburg | |
würde sich besser anbieten für den Besuch eines Monarchen, der die Träume | |
vieler deutscher Spießbürger verkörperte. | |
Ein Kaiser, dem Westen zugewandt, an seiner Seite eine zwanzig Jahre | |
jüngere Frau aus der Mittelschicht, die ihm endlich den ersehnten | |
Thronfolger geschenkt hatte. Die in der Klatschpresse gegen ihre | |
Vorgängerin [2][Soraya] mit deutscher Mutter antreten muss, was nicht das | |
Leichteste ist, da Soraya das Wirtschaftswunder in persona verkörpert | |
hatte. Farah Diba, die Frau, welche die todschicke Hochsteckfrisur | |
Millionen deutscher Frauen prägte, nicht zuletzt die meiner Lieblingsoma. | |
## Der Schah geht in die Psychiatrie | |
Mich als Schriftsteller in Rothenburg hatte die Idee des Doppelgängers | |
angefixt. In meinem Schelmenroman [3][„Der falsche Schah“] heißt dieser | |
Bartholomäus König: 1919 am selben Tag wie der Schah geboren und gleich | |
aussehend. Unter dem strengen Regiment des autoritären Vaters und der | |
neurotischen Mutter, für die Unordnung Unruhe bedeutet, sucht er seine | |
Freiheit in der Schauspielerei und findet seine Erfüllung als Doppelgänger | |
des Herrschers an der Seite von Farah Diba. Der wirkliche Schah nämlich ist | |
in die Psychiatrie gewandert, und Bartholomäus König muss nun um sein Leben | |
spielen, weil die Agenten des brutalen iranischen Geheimdienstes Savak | |
herausfinden wollen, wen sie da nun eigentlich vor sich haben – einen | |
Doppelgänger oder ihren Boss. | |
Die romantische Reichsstadt Rothenburg mit ihrer Stadtmauer, den | |
Fachwerkhäusern, dem Riemenschneider-Altar und den mittelalterlichen | |
Traditionen wie dem Meistertrunk und dem Schäfertanz, ist nicht nur das | |
Ziel von Horden von Tourist*innen, sondern verkörpert auch die Sehnsucht | |
vieler Deutscher und Menschen aus der ganzen Welt nach der Vergangenheit, | |
die früher immer so viel besser war. Die Bürger*innen der Stadt hatten | |
schon lang eine große Affinität zu Autokraten, im Hitlerfaschismus glänzte | |
die Stadt als Nazihochburg, die Stadtmauer wurde zum arischen Schutzwall | |
verklärt. | |
Ja, ganz Westdeutschland sah sich beim Schah-Besuch noch mal besonders in | |
jahrhundertelanger Freundschaft mit dem Iran, dem Land der „Arier“, | |
verbunden, die bis in die wilhelminische Kaiserzeit zurückreichte. Die | |
iranischen Herrschenden schätzten die deutsche Präzision in den Fabriken, | |
die Deutschen deren Öl. | |
Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit gestaltete sich in Rothenburg lange | |
nicht gerade rühmlich. Im Jahr 1952 wurde Dr. Erich Lauterbach, ehemals | |
NS-Bürgermeister von Oggersheim, zum Stadtoberhaupt gewählt. Im selben Jahr | |
wurde die Obere Bahnhofstraße nach Ludwig Siebert benannt, dem | |
braun-bayerischen Ministerpräsidenten und Nazi-OB von Rothenburg. Durch | |
diese Straße brauste auch noch der Schah, eskortiert von 15 „weißen Mäusen… | |
– Motorradpolizisten – und 25 Limousinen des Auswärtigen Amts. Erst | |
aufgrund öffentlichen Drucks und gegen Widerstände wurde die Straße im Jahr | |
2015 wieder in Obere Bahnhofsstraße umbenannt. Und im Januar diesen Jahres | |
machte der Verfasser dieser Zeilen darauf aufmerksam, dass in drei | |
Souvenirläden Reichskriegsflaggen feilgeboten wurden. Die Stolpersteine, | |
die an die Opfer der Shoah erinnern, sind immerhin auch in der Stadt zu | |
finden. | |
Im Promi-Hotel Eisenhut, in dem Farah Diba und der Schah nächtigten, hatte | |
auch schon Hitler gespeist. Ihm schälte damals die Besitzerin Paula Pirner | |
als Kind einen Apfel – wieder so eine Steilvorlage für einen Roman – oder | |
überreichte ihm einen Strauß Nelken, je nach Quelle; die Kaiserin empfing | |
sie dann mit einem Hofknicks. | |
## Schirmschläge und Genickfotzen | |
Zu Wort gemeldet haben sich damals gegen den Folterkaiser nur eine Handvoll | |
Aktivist*innen. Als der Schah und Farah am ersten Tag den Eisenhut | |
verlassen, folgt eine „Arretierung linksgerichteter Flugblatt Verteiler aus | |
Darmstadt“, so der Fränkische Anzeiger. Und wie ein Studierender auf dem | |
Marktplatz, kurz vor der Rede des Schahs, brüllt: „Nieder mit dem Schah!“, | |
soll ihm eine Rothenburgerin mit dem Schirm eine drübergezogen haben, was | |
die Rothenburger Mundartdichterin Gertrud Schubart in ihrem Büchlein als | |
Anekdote aufbereitet hat. Als sich dann doch eine Frau einmischt, weil ein | |
junger Polizist dem Abgeführten auch noch eine „Genickfotzen“ mitgibt, also | |
in den Nacken schlägt, argumentiert der halbstarke Uniformierte, dass er | |
den schon länger beobachtet habe. Na dann. | |
Nicht nur die mittelalterliche Reichsstadt bescherte dem Kaiser die | |
passende Kulisse, sondern auch die kuriose Sammlung an Foltergeräten im | |
Keller des Burghotels, die sich heute im Mittelalterlichen Kriminalmuseum | |
befindet. Darunter Gerätschaften, die seinem von den USA ausgebildeten und | |
in der ganzen Welt wegen seiner Grausamkeit berüchtigten Geheimdienst Savak | |
gefallen hätten: Eine Streckbank mit Nägeln, genannt „Gespickter Hase“, | |
Daumenschrauben und die Mundbirne zum zwangsweisen Einführen von | |
Flüssigkeiten. Weshalb sie in meinem Roman auch Anwendung am „falschen | |
Schah“ finden. | |
Im Mittelalter wurden in Rothenburg, wie in anderen Teilen des Landes auch, | |
Folterpraktiken durchgeführt, die der Savak in den 1960ern in den | |
Folterkellern von Isfahan an vermeintlichen oder tatsächlichen | |
Dissident*innen praktizierte. So wurden ausgehungerte Tiere wie Schlangen | |
oder Katzen gemeinsam mit den Gefangenen in einen Sack gesteckt. Den | |
„gespickten Hasen“ und die Mundbirne gab’s im Iran vermutlich nicht. Daf�… | |
die „Bratpfanne“. Auf dieser beheizten Metallplatte wurden iranische | |
Staatsfeinde regelrecht geröstet. Der Gestank versetzte andere Gefangene, | |
die vor der Tür kauerten, in Panik. | |
Auch die Rothenburger*innen hätten wissen können, was die Protestierenden | |
wussten: dass in den Folterkellern im Iran Kommunist*innen und andere | |
Staatsfeinde grausam gefoltert, dass Kinder zu Waisen wurden, weil deren | |
Eltern bei der Folter starben. Dass die Bauern und ihre Familien auf dem | |
Land eingeweichtes Stroh und abgelutschte Dattelkerne aßen, von denen sie | |
selbst dann nicht satt geworden wären, wenn seine Majestät der Schah sie | |
vorher abgelutscht hätte. [4][All das schrieb Ulrike Meinhof in ihrem Brief | |
an Farah Diba], der in der konkret abgedruckt wurde. Was aus Meinhof wurde, | |
nach dem Schah-Besuch in Berlin, wissen wir. Was aus dem Iran wurde, nach | |
der Revolution, wissen wir auch. Was aus Bartholomäus König in „Der falsche | |
Schah“ wurde, wisst ihr noch nicht. | |
27 Dec 2020 | |
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[4] /Jutta-Ditfurth-ueber-Ulrike-Meinhof/!5154961 | |
## AUTOREN | |
Leonhard F. Seidl | |
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