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# taz.de -- Naturschutz in Mexiko: Der Geschichtenerzähler
> Das Land der Telenovelas liebt Dramen, Tränen und Happy-End. Ein Mann
> benutzt Märchen als Werkzeug für Entwicklung, Bildung und Naturschutz.
Bild: Nebelparder im Nebelwald von Chiapas
Nur manchmal blitzt die Sonne durch die Wipfel, der Wind flüstert zwischen
Stamm und Strauch und erzählt eine Geschichte. Es war einmal ein Mädchen
aus einem Dorf in den Bergen Mexikos. Es zog aus, um die Welt zu sehen und
kehrte zurück, um ihr Wissen mit den Dorfbewohnern zu teilen. Das ist die
Geschichte von Jacinta. Eine Geschichte über Emanzipation, verpackt ins
klassische „Leben-Liebe-Leidenschaft“-Kostüm der Serien.
„Stimmen aus dem Nebel“ heißt das mehrteilige Radio-Hörspiel, das in
Chiapas’ Naturschutzgebieten gespielt wird. Kein anderer Bundesstaat in
Mexiko hat eine so reiche Flora und Fauna wie Chiapas. Gleichzeitig ist es
einer der ärmsten Staaten und noch heute Heimat vieler indigener Völker.
Hier leben Mädchen, die nicht zur Schule gehen, Frauen, die zwar Haus-,
aber keine Geschäftsfrauen sein dürfen.
Ein Mann im blauen Hemd krallt sich an seiner Kamera fest, während er in
einem weißen Van die Berge des Nebelwalds hinaufschaukelt. Sein Ziel ist
das Dorf Santa Rita de las Flores, in dem die Bewohner Jacintas Geschichte
gebannt verfolgt haben. Der 52-jährige Sean Southey ist der Geschäftsführer
von PCI Media Impact, einer amerikanischen Nichtregierungsorganisation, die
die Macht der Märchen als Werkzeug für sozialen Wandel nutzt. Nach dem
Prinzip „Bildung durch Unterhaltung“ produzieren sie Fernsehserien,
Radiohörspiele und Theaterstücke, die Themen wie Gesundheit, Bildung und
Naturschutz behandeln.
## Mit Geschichten inspirieren
„Wir brauchen eine Bewegung guter Geschichten, die aus dem Lokalen heraus
entstehen“, fordert Southey. Sein Team und er wirken in 50 Ländern weltweit
und haben mit über 100 Produktionen eine Milliarde Menschen erreicht. Ihre
Produktionen entwickeln sie stets in Zusammenarbeit mit Organisationen,
Schauspielern und Betroffenen vor Ort.
„Wenn du die Hörer in einem kleinen Dorf mit einer Geschichte inspirierst,
werden sie jede Woche wiederkommen, um ihre Lieblingsfigur zu hören“, sagt
Southey, „jede Woche, wenn zum Beispiel Jacinta etwas Wunderbares macht,
werden sie denken: ,Wow, das könnte ich auch! Meiner Gemeinde wird es
besser gehen, wenn ich wie Jacinta handle!‘“
In Chiapas arbeitet Southey mit der Umweltorganisation Foncet. Gemeinsam
haben sie ein Theaterstück und ein Hörspiel kreiert. Von der Hauptstadt bis
in die entlegensten Dörfer vermitteln sie auf unterhaltsame Art und Weise
die Bedeutung von Naturschutz für Wald und Einwohner. Der Van rauscht durch
einen Fluss und erklimmt den Hügel ins Dorf. Dort, wo der Nebel über die
Baumwipfel wabert und der Jaguar mit geschmeidig starken Schritten
schleicht, schmiegen sich die Häuser an die Hügel.
## Die Gründung einer Genossenschaft
Kaum steigt Southey aus dem Van, stürmen die Kinder auf ihn zu. Southey
läuft die Hauptstraße entlang zum Haus von Josefina Vázquez. Monate lang
ist die 52-Jährige mit dem sonnengegerbten Gesicht jede Woche mehrere
Stunden bis in die nächste Stadt gefahren, um keine Folge des Hörspiels zu
verpassen. Denn in ihrem Dorf Santa Rita de las Flores hat sie weder
Empfang noch Radio.
„Ich mag die Gespräche und Ratschläge von Jacinta. Wir haben uns
vorgenommen, sie zu befolgen und den Nebelwald zu schützen“, sagt Vázquez.
Wie im Hörspiel hätten auch die Bewohner ihres Dorfes früher Bäume gefällt
und das Holz verkauft. Heute hat Josefina Vázquez zusammen mit anderen
Dorfbewohnern eine Genossenschaft gegründet und rettet bedrohte
Orchideenarten aus dem Nebelwald. Southey verspricht den Bewohnern einen
CD-Player, damit sie das Hörspiel gemeinsam bei der Arbeit hören können.
Es ist Mittagszeit. Die Orchideen-Genossenschaft lädt Southey zum Essen
ein. Josefina Vázquez wärmt Maispasteten über dem offenen Feuer. „Was wollt
ihr für eure Kinder?“, fragt Southey die Orchideenbauern.
„Was nützt ihnen alles Geld der Welt, wenn ihre Heimat zerstört ist?“,
erwidert ein junger Mann. Vor einiger Zeit hätte jemand ein Maisfeld neben
dem Fluss gesät, erzählt er. Kurz darauf sei der Fluss vertrocknet. „Klar
müssen wir säen, um zu überleben, aber wir müssen auch noch viel über
unsere Erde lernen.“
## Die Wächter des Nebels
Auf der Fahrt zurück nach Tuxtla bleibt Sean Southeys Blick lange an der
Bergkette hängen. „In Hollywood und den traditionellen Seifenopern steckt
einfach so viel Gewalt, Sexismus, dass wir es einfach anders machen
müssen.“
Es ist ein schwüler Samstagnachmittag. Sean Southey sitzt im Zoo von
Tuxtla, Mexiko und verfolgt die Proben für das Theaterstück „Die Wächter
des Nebels“, eine Geschichte über einen Hotelunternehmer, der ein Luxus
Resort im Nebelwald bauen will, und seinen Sohn, der sich auf die Seite der
Tiere schlägt, um die Pläne seines Vaters zu verhindern. Die Zuschauer
trudeln ein, der Nebel bläst aus der Maschine, das Spiel beginnt.
Fröhlich trällert ein Krokodil sein Badelied, während ein Tapir seinen
Rüssel in Bücher steckt. Die Kinder kichern. Wie das Murmeln des Wassers
perlt die Stimme des Waldes. „Erkenne die Dringlichkeit! Wenn du heute
anfängst, wird ein Jaguar weniger sterben, ein Puma mehr überleben!“, mahnt
der Wald. Die Kinder verstummen, ihre Augen weiten sich, bis sich die Bäume
darin zu spiegeln scheinen. Und dann sehen sie vielleicht diese andere
Welt, die möglich ist.
4 Apr 2016
## AUTOREN
Lisa Hagen
## TAGS
Reiseland Mexiko
Naturschutz
Regenwald
Mexiko
Papst Franziskus
Schwerpunkt Klimawandel
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