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# taz.de -- Alltag in Leipzig-Connewitz: Mit Kaffee und Kuchen gegen Nazis
> Vor zwei Monaten zerlegten Nazis die Wolfgang-Heinze-Straße im Leipziger
> Stadtteil Connewitz. Inzwischen ist wieder Normalität eingekehrt.
Bild: Die Wolfgang-Heinze-Straße im Leipziger Stadtteil Connewitz.
Leipzig-Connewitz taz | Da, wo einst die Nazis wüteten, steht jetzt ein
Wäscheständer. Handtücher trocknen bei zwei Grad auf dem Bürgersteig,
daneben essen junge Leute Ofenkartoffeln. Dass hier vor zwei Monaten eine
Horde Hools einen ganzen Straßenzug mit Äxten und Steinen entglast hat,
sieht man den meisten der 22 Geschäfte nicht mehr an.
Neue Scheiben glänzen in den Schaufenstern. Hinter einer sitzt Ilona
Fleischmann in ihrem Buchladen. „Zum Glück ist jetzt wieder Ruhe“, sagt sie
und sortiert die Bücher, die auch neben dem Regal Platz finden.
Ein herkömmlicher Donnerstagnachmittag in der Wolfgang-Heinze-Straße in
Connewitz, an der südlichen Peripherie von Leipzig. Mythen ranken sich um
diesen Stadtteil – die meisten nicht zu Unrecht. „Leute von auswärts
fragten mich, ob sie ihr Auto lieber zu Hause lassen sollen, weil das hier
nicht sicher sei“, sagt Karin Arnhold und lacht. Die 52-Jährige, die alle
nur Mischka nennen, kam vor über zwanzig Jahren aus Berlin hierher. Sie war
schon 1994 der Meinung, dass es in Leipzig mehr Freiräume gebe als in den
sich rasch ändernden Berliner Ostbezirken.
Lange bevor jemand von der New York Times auf die Idee kam, Leipzig das
bessere Berlin zu nennen. Mischka arbeitet im UT Connewitz, einem alten
Lichtspieltheater, dessen Inneneinrichtung fast noch im Originalzustand von
1912 ist. Kaum ein Konzert vergeht hier, ohne dass der auftretende Künstler
betont, das UT sei die schönste Location der Welt. 2001 entmüllten
Freiwillige das Haus und gründeten den UT Connewitz e. V.
## Hausbesetzer – Hausbesitzer
Dem Verein gehört inzwischen auch das Vorderhaus, in dem neben vielen
anderen Mischka mit ihrer Familie wohnt – was nicht nur den Vorteil hat,
dass ihre Kinder sie abends im selben Haus finden können, sondern vor
allem, dass ihr Vermieter auch ihr Verein ist. „Ich finde, wohnen ist ein
Menschenrecht“, sagt sie. Ihre Nachbarn sehen das ähnlich.
Alternative Wohnmodelle spielen eine entscheidende Rolle in der Geschichte
von Connewitz. Ende der Achtziger sollten viele Altbauten einer
Neubausiedlung weichen. Doch Linke, Punks, Künstler und andere
Altbauliebhaber besetzten die abrissgefährdeten Häuser, was während der
Wendewirrungen auf wenig Widerstand stieß. Als dann doch geordnete
Strukturen gefordert wurden, gründete sich die Alternative
Wohngenossenschaft Connewitz, der heute 14 Häuser gehören.
Aber in den letzten Jahren zogen statt Hausbesetzern Hausbesitzer her. In
die quaderförmigen Einfamilienhäuser der Auerbachstraße zum Beispiel, die
den Neonazis am 11. Januar keine Fluchtwege ließen. Geht man am sonnigen
Nachmittag hier lang, sieht man rote, grüne, schwarze Farbflecke an den
neuen Fassaden. „Das ist hier so eine Art Volkssport“, sagt Mischka über
das Werfen von Teerbeuteln. Die spießigen Stadthäuser sind denen, die um
ihre Altbauten kämpften, ein Dorn im Auge.
Am Ende der Auerbachstraße parkt ein Polizeiauto. Es gehört zur
Polizeistation, die 2014 eingerichtet wurde. „Wir können nicht dulden, dass
es rechtsfreie Räume in unserer Stadt gibt“, erklärte Leipzigs
Oberbürgermeister Burkhard Jung zur Eröffnung. Danach wurde der
Polizeiposten mehrmals angegriffen, doch meistens langweilen sich die zwei
Beamten dort. SPD-Politiker Jung wohnt längst selbst in Connewitz.
## Die Mieten steigen
Wenige Meter von der Polizei entfernt hat Juliane Nagel ihr Büro. Die
Politikerin taucht bei gefühlt jeder Anti-Nazi-Demo oder
Flüchtlingshilfsaktion auf, ist Sprecherin des Bündnisses „Leipzig nimmt
Platz“. Bei der Landtagswahl 2014 gewann sie das einzige Direktmandat für
Die Linke Sachsen. Alle anderen 59 Wahlkreise gingen an die CDU. „Ich
hoffe, dass es Chaos-Jule nicht gelingt, Connewitz und die Südvorstadt zur
autonomen Republik umzugestalten“, sagte danach ihr unterlegener
Gegenkandidat, Leipzigs CDU-Chef Robert Clemen.
Connewitz – die autonome Republik, der rechtsfreie Raum? Einige der
Anwohner fänden das lustig, riefen im Netz zur Abspaltung vom verhassten
dunkelschwarzen Sachsen und forderten unter anderem ein
Bionade-Importverbot. Doch davon ist der Stadtteil weit entfernt. Vielmehr
ist auch er nicht gefeit von den üblichen Entwicklungen.
Stichwort Gentrifizierung. Die Mieten steigen, das versiffte Werk 3, wo man
zu jeder Tages- und Nachtzeit Bier bekam, ist längst zu, und im
Eingangsbereich des schick sanierten Supermarkts fragen kaum noch Punks
nach Kleingeld. Ein Mann mit gefärbtem Iro kommt einem stattdessen mit
seiner Tochter an der Hand entgegen. Die alternative Jugend ist alt
geworden, aber hier geblieben.
## Hypezig ist anderswo
Die neuen Szene-Bezirke, die als Hypezig beschrieben und beschrien werden,
liegen woanders. Im Westen und Osten der Stadt, wo Galerien, Bars und
illegale Clubs entstanden. „Hier gibt’s keine hippen Kneipen“, sagt
Mischka. „Bodenständig“ nennt sie das Publikum, das sich um die Ecke
trifft. Im Könich Heinz, wo man vor lauter Rauch kaum noch die Dartscheibe
sehen kann, oder in der Frau Krause, in der das neue Bier schon kommt, wenn
man gerade den letzten Schluck nimmt.
Auch zu Mischka kommen alle Schichten, um im UT mitzumachen. Studenten,
Festangestellte oder Bauarbeiter, die das Arbeitsamt schickt. „Wichtig ist,
ihnen zu zeigen, dass man ihre Arbeit wertschätzt“, sagt Mischka.
Ehrenamtliches Mitmachen bedeutet alles, vom Dienst an der Bar über
Büroarbeit bis zum Kloputzen. Eine regelmäßige Förderung der Stadt gibt es
nicht. Begründung: die „überproportional hohe Kulturdichte“ in Connewitz.
Die zeigt sich, sobald man aus der Tür rausgeht. Links kommt hundert Meter
weiter die Kulturfabrik Werk 2, nach rechts braucht man keine fünf Minuten
zum Hof des Conne Island, wo Skater auf selbstgebauten Halfpipes üben. In
dem selbstverwalteten Jugendzentrum diskutiert man seit dem Naziübergriff
wieder den „antifaschistischen Selbstschutz und die Gewaltfrage“. Es ist
die Rede von der „Festung Connewitz“, deren „Mauern offensichtlich auch
ernste Risse zeigen“.
## Unbesiegbares Connewitz
„Wir dachten immer, Connewitz könne nicht eingenommen werden“, sagt
Mischka. Gewaltvoll wurde diese These im Dezember gestützt. Als Neonazis
ankündigten, in Connewitz marschieren zu wollen, lud die Antifa, die hier
zu Hause ist, zur „Weihnachtsfeier“. Gefeiert wurde mit brennenden
Barrikaden und Straßenkämpfen mit der Polizei. Ausschreitungen, die an die
Neunziger erinnerten, wo der Bezirk regelmäßig gegen Neonazis verteidigt
werden musste, Autonome und Neonazis sich harte Kämpfe lieferten.
Nun wurde Connewitz wirklich eingenommen. Kurz nur, aber überraschend und
erschreckend. Eine gut organisierte Aktion am einjährigen Geburtstag von
Legida. Seitdem gebe es in der Gegend weit mehr Zusammenhalt und
Solidarität als vorher, als sich viele gern darauf ausruhten, was früher
mal war. Mischka war an jenem Abend in der Innenstadt zur Gegendemo. Als
sie zurückeilte, half schon jeder jedem, egal, ob es um Bretter oder Trost
ging. „Wie ein Dorf, in dem sich alle kennen.“
Mischka organisierte zusammen mit dem Werk 2 ein großes Solifrühstück. Die
Straße war voll mit Leuten, die Musik spielten, Kaffee und Kuchen
mitbrachten, auf dem „CNNWTZ“ stand. Ein friedliches Fest. „Da hat sogar
ein Polizist zu mir gesagt, wie schön er das fand“, sagt Mischka. 7.000
Euro kamen an dem Tag zusammen, insgesamt wurden etwa 60.000 Euro Spenden
gezählt. Damit können wohl alle Schäden, die Versicherungen nicht
übernehmen, bezahlt werden. Es gab Solikonzerte, Solidemos oder Solisaufen.
„Wir sind immer noch überwältigt von dieser Anteilnahme und
Hilfsbereitschaft“, sagten die Inhaber zur Wiedereröffnung ihres
Shahia-Imbisses, der am stärksten zerstört wurde.
## Unbrennbarer Katzenkalender
Zur Spendenaktion hatte der Rote Stern Leipzig aufgerufen, Connewitz’
Fußballverein, der nicht nur um sportliche Erfolge in der Landesklasse
kämpft, sondern vor allem gegen Rassismus im Fußball. Sein Fanladen
befindet sich auch auf der Wolfgang-Heinze-Straße, weswegen der
Polizeisprecher den Randalefeldzug erst als Fußballproblematik
interpretierte.
Doch auch auf Gardinenladen, Optiker, Naturbackstube oder Tütü-Laden wurde
eingekloppt. Und auf den Buchladen von Ilona Fleischmann. Ein Stein flog
durch die Scheibe, ein Brandsatz folgte. Dass ihr Laden nicht abfackelte,
lag an der Unbrennbarkeit der Schaufensterdekoration. Am Ende verhinderte
der Große Literarische Katzenkalender das Feuer in Connewitz, nicht der
antifaschistische Schutzwall.
16 Mar 2016
## AUTOREN
Juliane Streich
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