# taz.de -- Nach dem Neonazi-Angriff in Leipzig: Aufräumen in Connewitz | |
> Im Leipziger Alternativkiez ist nach dem Überfall vieles zerstört. Die | |
> Connewitzer wollen ihren Stadtteil aber nicht hergeben. | |
Bild: Kaputt: Die Fensterscheibe einer Kneipe im Leipziger Stadtteil Connewitz. | |
LEIPZIG taz | Dieser eine Gedanke mehr, der wird in Connewitz jetzt schon | |
gedacht. Ob nicht doch etwas passieren könne, wenn man nachts alleine | |
unterwegs ist, ob da nicht noch mehr kommt – von rechts. So wie damals in | |
den 1990er Jahren, als es einen regelrechten Kampf um das Viertel gab. Muss | |
man jetzt wieder Angst haben? Dieser eine Gedanke mehr ist da, auch, wenn | |
sie das ungern zugeben, die Connewitzer. Das sind die Bewohner des | |
linksalternativen Viertels, ebenso wie die Inhaber der Geschäfte, die | |
[1][am Montagabend] von mehr als 200 Hooligans zerstört wurden. Sie wollen | |
weitermachen wie bisher. | |
„Ich habe mich hier immer wohl gefühlt“, sagt Katharina Putschli vom | |
Kreativladen „kaput“. Ihre Scheibe ist notdürftig mit Folie und Klebeband | |
zusammengeflickt, auf dem Holzfußboden gibt es tiefe Macken. Ein | |
Pflasterstein flog beim Überfall auf Connewitz durch ihr Fenster. Alles war | |
noch ganz frisch. Boden, Scheiben, Geschäft. Erst im Juli hatte sie ihren | |
Laden eröffnet. Montagabend, erzählt sie, sei sie von einer Freundin | |
angerufen worden, die in der Nähe wohnt. „Hier ist Krieg“, habe die nur | |
gesagt. Soweit will Putschli zwei Tage später nicht gehen. | |
Die Wolfgang-Heinze-Straße, das Zentrum im Kiez, gleicht nach dem Angriff | |
einem notdürftig verarzteten Patienten, wirkt angeschlagen, verletzt. Die | |
Frontscheiben zahlreicher Geschäfte existieren nicht mehr, stattdessen sind | |
sie mit Pappe zugeklebt oder mit Holzbrettern vernagelt. Andere muten an | |
wie das kaputte Display eines Smartphones, nur in zehnfacher Größe. | |
Jalousien mit Fischgräten wurden am Vereinslokal des „Roten Stern“ | |
hinabgelassen, einem Club mit linksgerichteter Fanklientel. Den Musikladen | |
hat es besonders schlimm erwischt, weil nicht nur die Scheiben, sondern | |
auch Instrumente beschädigt wurden. Was die Geschäftsleute eint, ist die | |
Beschwörung des Zusammenhalts in Connewitz. Die Courage, die Solidarität. | |
## Rechter Straßenterror | |
Doch die Meinungen zu diesem Montag gehen auch im zusammengeschweißten | |
Connewitz auseinander. Eine Ladenbesitzerin, die nicht genannt werden | |
möchte, steht aufgelöst in ihrem Geschäft: „Es ist Krieg. Meine Nerven | |
liegen blank.“ Splitter und Scherben bedecken den Boden, massive Steine | |
haben ihr Schaufenster zertrümmert und liegen jetzt mitten im Raum. „Ich | |
wohne hier schon jahrelang, und sowas habe ich noch nicht erlebt. Es sind | |
Bomben geflogen!“ | |
Den Döner-Imbiss wenige Meter entfernt hat es am härtesten erwischt. Der | |
rechte Straßenterror, wie auch Oberbürgermeister Jung ihn nennt, | |
präsentiert sich hier in all seiner Brutalität. Steine zu schmeißen, hat | |
den Rechtsextremisten nicht gereicht. Sie sind in den Laden gestürmt, haben | |
Sprengsätze geschmissen, die Kasse ausgeraubt. Ein Mitarbeiter | |
verbarrikadierte sich im Hinterzimmer. Ein Blick in den völlig verwüsteten | |
Imbiss, an dem schon eine Neueröffnung ankündigt wird, verdeutlicht, dass | |
auch Schlimmeres hätte passieren können. | |
Franziska Weigel dagegen, seit 2009 Inhaberin eines Print-Shops, wirkt | |
recht entspannt, als sie über Montagabend spricht: „Es ist halt Connewitz“, | |
sagt sie. Fast nüchtern erzählt sie von dem organisatorischen Aufwand, der | |
der Verwüstung folgte: der Versicherung Bescheid geben, aufräumen, einen | |
Glaser anrufen. Montagabend, glaubt sie, hätten zwei Faktoren | |
zusammengespielt: „Jugendlicher Wahnsinn und eine Flagge, unter dem er sich | |
formieren kann.“ | |
Bedenklich findet sie, wie sich 200 Menschen rechter Couleur zu einem | |
Überfall verabreden konnten, ohne dass es den Behörden auffiel und obwohl | |
er auf Twitter quasi angekündigt war. An Zufälle glaubt sie nicht: | |
„Zeitgleich stand bei Legida eine rechte Band auf der Bühne, das war doch | |
alles abgesprochen.“ | |
## Verunsicherung? Nein, danke | |
Polizeisprecherin Maria Braunsdorf betont, dass ihre Behörde das nicht | |
hätte verhindern können: „Das war die Resonanz auf den 12.12. Was wo wann | |
genau passieren würde, konnte nicht eingeschätzt werden.“ | |
Jürgen Kasek ist Landesvorsitzender der Grünen – auch er hält Kritik an der | |
Polizei für zweitrangig. „Das ist ein klassisches Versagen des | |
Verfassungsschutzes. Zum wiederholten Mal will er rechte Gewalt nicht | |
kommen gesehen haben.“ Wie Oberbürgermeister Jung bewertet er die | |
Ereignisse als Terror. „Die Rechten wollen verunsichern, sie wollen | |
vermitteln: Es gibt keinen sicheren Ort mehr, auch nicht euren Kiez. Wir | |
kriegen euch überall.“ | |
Die Connewitzer wollen das nicht zulassen. Einen Tag nach dem Angriff | |
organsierten sie eine Soli-Demo durch ihren Kiez. Es kamen mehr als 2.000 | |
Menschen. | |
13 Jan 2016 | |
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## AUTOREN | |
Hanna Voß | |
Sarah Emminghaus | |
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