# taz.de -- Leipzigs sogenannter Szenebezirk: Kugelfisch Connewitz | |
> Der Ruf als wehrhafte Festung der Linken ist seit dem Naziüberfall | |
> angekratzt. Er ist immer noch so intakt, dass zumindest die Mieten nicht | |
> steigen. | |
Bild: Der Januarschock: Connewitz nach dem Naziüberfall | |
LEIPZIG taz | Es muss da dieses Treffen gegeben haben, irgendwo im | |
Connewitzer Jugendzentrum [1][Conne Island]. Antifaschisten, Antideutsche, | |
Aktivisten und Achtzehnjährige mit Metallringen in der Nase – es ist eine | |
Notzusammenkunft der linken Szene. Auf den Straßen von Connewitz liegen | |
noch die Glasscherben, der 11. Januar 2016 liegt nur wenige Tage zurück. | |
Damals überfallen mehr als 200 Rechte den Bezirk, verwüsten Läden, | |
schmeißen Schaufenster ein. Gleichzeitig feiert Legida im Stadtzentrum | |
seinen ersten Jahrestag. | |
Bei jener Versammlung im Conne Island diskutiert der Stadtteil über | |
Selbstschutz, Polizeikämpfe und sichere Kommunikation mithilfe | |
verschlüsselter Nachrichten. Vielleicht träumt manch einer an diesem Tag | |
von den wilden Neunzigern, als Connewitz noch das Leipziger | |
Hausbesetzerviertel war, die linke Festung. Doch Details zu diesem Treffen | |
lassen sich kaum mehr rekonstruieren. Connewitz hat seine Mythen und | |
beschützt diese gerne. Im Gegenzug sollen diese Mythen Connewitz schützen. | |
„Die Leute mit den Jugendstilvillen aus Gohlis trauen sich zwar manchmal | |
nicht auf unseren Weihnachtsmarkt“, sagt Jürgen Ackermann mit seiner immer | |
einen Tick zu leisen Stimme, „aber dafür sind wir hier normalerweise vor | |
Nazis und Gentrifizierung geschützt.“ Ackermann leitet das [2][Werk 2] in | |
Connewitz. Auf dem Vorhof der Kulturfabrik genießen Besucher den letzten | |
warmen Sommerabend des Jahres. | |
Am Eingangstor zum Gelände unterhalten sich zwei Familienväter, ihre beiden | |
Kinderwagen haben sie etwas unvorteilhaft in die Zufahrt gestellt. Ein | |
Regenschauer wird die beiden verscheuchen. Ackermann nimmt einen Schluck | |
aus seinem Bierglas. Ohne den linksradikalen Ruf stünde es schon ganz | |
anders um die Mieten im Stadtteil. Stattdessen seien die Yuppies aber | |
lieber in den Westen nach Plagwitz gezogen. | |
## Kiez der Tresenrevoluzzer | |
Jürgen Ackermann ist in Connewitz aufgewachsen. Nach der Wende hat er hier | |
die großen Tage des Aktivismus mitangesehen: mehr als ein Dutzend besetzte | |
Häuser in der Stockartstraße, Räumungsversuche der Stadt, sich an | |
Heizkörpern festkettende Aktivisten, Territorialkämpfe mit Rechten und wie | |
die alternative Wohnungsgenossenschaft Connewitz schließlich die meisten | |
Hausprojekte erwerben und damit legalisieren konnte. Laut Ackermann werden | |
mittlerweile viele Revolutionen nur noch an den Tresen der Szenekneipen | |
ausgefochten. | |
Trotzdem halten sich die Gerüchte über Barrikadenmaterial, das in | |
Connewitzer Kellern bereitliegt, Gerüchte über Alarmsysteme per | |
SMS-Verteiler und Handyverbote bei Gruppenversammlungen – es könnte ja | |
jemand mitlauschen. Insbesondere digitaler Selbstschutz gehört zu den | |
wichtigen Themen des modernen Aktivismus. | |
Die Anwendungen heißen Pidgin, Signal oder Cryptocat. Mit ihnen | |
kommunizieren auch die linken Gruppierungen in Connewitz: schnell und | |
abhörsicher. Wenn irgendwo Neonazis auflaufen oder spontan eine | |
Sitzblockade geplant werden muss, weiß es so in kürzester Zeit die ganze | |
Szene – dann aber auch nur die Szene. | |
## Digitale Selbstverteidigung | |
Es ist fast Mitternacht, als Ralf und Tobias ihre Cryptoparty beenden. Sie | |
gehören zum Bündnis Privatsphäre Leipzig. Mehr als vier Stunden haben die | |
zwei gerade über die verschiedenen Möglichkeiten der | |
Nachrichtenverschlüsselung referiert, Powerpoint-Präsentation inklusive. | |
Monatlich veranstaltet der Verein solche öffentlichen Cryptopartys im | |
Plagwitzer Hackerspace [3][sublab], klärt über sichere Passwörter und | |
digitale Selbstverteidigung auf. Vom „Feind“ ist dann die Rede, der sich | |
dazwischenschaltet, im Netz sitzt, Daten anhäuft oder über falsche | |
Funkmasten Gespräche abhört. | |
Der Feind, das sind hier nicht nur rechte Bewegungen, sondern vorrangig | |
Behörden und Polizisten. So beschlagnahmten diese im vergangenen Jahr etwa | |
150 Mobiltelefone, nachdem eine linksautonome Demonstration in der | |
Südvorstadt eskaliert war. Foto- und Videoaufnahmen auf den Handys wurden | |
von der Polizei ausgewertet, um mögliche Straftäter zu identifizieren. | |
Acht Monate später stellte sich durch eine Kleine Anfrage der Linkspartei | |
heraus: Bei einem Fünftel der Telefone war es – trotz aller Versuche und | |
Hunderttausende Euro teurer Software – nicht möglich, die Daten auszulesen. | |
„Das Bewusstsein für Sicherheitsmaßnahmen schwankt allerdings sehr – je | |
nach Organisationsgrad“, erläutert Tobias auf der Cryptoparty. Die meisten | |
linken Gruppen seien doch eher schlecht organisiert. | |
Über seinen Laptop hinweg blickt er auf die verbliebene Gästegemeinde. Kaum | |
einer in dieser sieht nach Straßenkampf und Sitzblockade aus. Eher nach | |
Informatikstudium und LAN-Party. Ob der Verein auch gezielt mit linken | |
Gruppen zusammenarbeite? „Bislang nicht“, sagt Tobias und beginnt seinen | |
Computer einzupacken. Sein Vereinskollege Ralf wendet ein: „Aber so ein | |
Autonomer kommt ja auch nicht hier rein und outet sich als offizieller | |
Vertreter der Antifa.“ | |
## Belächelter Gewaltaufruf | |
Digitale Medien sind dabei nicht nur Angriffsfläche, sondern auch Mittel | |
zur Angstverbreitung. Im Jahr 2014 veröffentlichte ein Unbekannter über | |
seinen Blog einen „Aufruf zur Gewalt“. Darin nannte der Verfasser die | |
Adressen von 50 Angriffszielen, darunter Polizeistationen, | |
Immobilienunternehmen sowie die Privatadressen von jeweils zwei AfD und | |
NPD-Mitgliedern. | |
In linken Kreisen wurde der anonyme Aufruf eher belächelt. Übergriffe im | |
direkten Zusammenhang zur Liste blieben aus. Und dennoch erfüllt sie einen | |
Zweck. Wie die Gerüchte über Connewitz trägt auch die Liste zur | |
Mythenbildung bei. Sie wirkt, ohne dass etwas passieren muss. Das gilt auch | |
für Drohungen auf Plattformen wie Twitter und Facebook. Der faschistische | |
Feind ist immer nur einen Profilaufruf entfernt. Die Nachrichten erzeugen | |
den Eindruck von Wehrhaftigkeit: Connewitz, der linksautonome Kugelfisch. | |
Umso einschneidender war die Erfahrung vom 11. Januar. Plötzlich stand der | |
Feind im eigenen Hoheitsgebiet. In einer Erklärung aus der Zusammenkunft im | |
Conne Island heißt es, die Festung Connewitz zeige ernste Risse. Womöglich | |
sei sogar eine Kooperation mit der Polizei nötig. Daraus geworden ist bis | |
heute nichts. Der Mythos setzt sich fort. | |
24 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.conne-island.de/ | |
[2] http://www.werk-2.de/ | |
[3] https://sublab.org/ | |
## AUTOREN | |
Markus Lücker | |
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