# taz.de -- ARD-Spielfilmreihe über den NSU: Mehr Herz als Verstand | |
> Die ARD zeigt die rechte Terrorzelle – aus der Perspektive der Täter, der | |
> Opfer und der Ermittler. Gelingt das? Nun ja: Es ist kompliziert. | |
Bild: Wenig Ähnlichkeit mit der Realität: die fiktive Beate Zschäpe vor eine… | |
Der Schrecken zieht an. Unzählige Nachrichtensendungen, Zeitungsartikel und | |
Talkshows haben sich in den vergangenen Jahren mit der Mordserie des NSU | |
und den Ermittlungen dazu beschäftigt. Jetzt, knapp fünf Jahre nach | |
Bekanntwerden der Terrorgruppe, widmen sich vermehrt Spielfilme und | |
Dokumentationen dem Fall. | |
Bei „Letzte Ausfahrt Gera“, einem ZDF-Film, stand im Januar vorwiegend die | |
Person Beate Zschäpe im Mittelpunkt. Ende Februar erschien im Kino „Der | |
Kuaför aus der Keupstraße“, eine Dokumentation über den dem NSU | |
zugeschriebenen Bombenanschlag in Köln 2004. | |
Diese Häufung ist wenig verwunderlich, liefert das Thema doch in all seiner | |
Abscheulichkeit perfekten Filmstoff: der NSU als klares Feindbild, der ein | |
Jahrzehnt lang die Ermittler zum Narren hielt. Dazu kommen mit Rassismus | |
und rechter Gewalt Themen, die angesichts brennender Asylunterkünfte und | |
Angriffe auf Flüchtlinge aktueller nicht sein könnten. | |
Das hat auch die ARD erkannt und wagt mit „Mitten in Deutschland: NSU“ den | |
großen Aufschlag: drei Spielfilme aus drei Perspektiven – Täter, Opfer und | |
Ermittler –, außerdem eine Dokumentation von Welt-Chefredakteur Stefan Aust | |
und Autor Dirk Laabs. Fast vier Jahre soll die Arbeit an der Reihe gekostet | |
haben. | |
„Wir wollen die Menschen emotional erreichen, sich mit dem braunen | |
Schandfleck auseinanderzusetzen“, umschreibt ARD-Programmdirektor Volker | |
Herres bei einer Pressevorführung Anfang Februar das Ziel der Reihe. Das | |
Ergebnis ist Sofakino, bei dem der Zuschauer zwischen Wut, Ohnmacht und | |
Trauer schwankt. | |
## „Die Verführung zeigen“ | |
Die verbindenden Elemente der Filme sind die NSU-Mordserie, ein gemeinsames | |
ProduzentInnenteam um Gabriele Sperl und die Fragestellung: Wie passiert so | |
etwas und was sagt das über den Zustand der deutschen Gesellschaft aus? | |
Einer Antwort nähern sich drei Filmteams mit unterschiedlichem Fokus. | |
Teil 1, „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“, setzt in einer Jenaer | |
Plattenbausiedlung Anfang der 1990er Jahre an. Die rechte Szene | |
radikalisiert sich. Mittendrin: Uwe Böhnhardt (Sebastian Urzendowsky), Uwe | |
Mundlos (Albrecht Schuch) und Beate Zschäpe (Anna Maria Mühe) – anfangs | |
noch drei Teenies. Stück für Stück driften sie ab, besuchen erst | |
Rechtsrockkonzerte und Demonstrationen, werden schließlich selbst aktiv. | |
Regisseur Christian Schwochow beobachtet sie dabei, ohne zu kommentieren. | |
Ein Lehrfilm sei ohnehin der falsche Ansatz, sagt Schauspieler Sebastian | |
Urzendowsky: „Man muss die Verführung davon zeigen. Wenn man das nicht | |
macht, dann nimmt man das nicht ernst genug.“ | |
Die Mordserie selbst ist erst Bestandteil des zweiten Films von Regisseur | |
Züli Alardağ – aus Perspektive der Opfer. Mittelpunkt der Handlung ist die | |
Familie des ersten Ermordeten, Enver Şimşek (Orhan Kilic). Seine Frau und | |
er haben sich als Blumenhändler eine Existenz aufgebaut, die 14-jährige | |
Tochter Semiya (Almila Bagriacik) besucht das Internat. Sie spüren keinen | |
Unterschied zwischen sich und der deutschen Mehrheitsgesellschaft. | |
## Coming-of-Age der Betroffenen | |
Der Anschlag erschüttert die Familie doppelt: Die Kinder verlieren ihren | |
Vater. Die Ermittler behaupten, er sei kriminell gewesen, unterstellen ihm | |
Drogengeschäfte. Zwischen Verdächtigungen und Wohnungsdurchsuchungen bleibt | |
der Familie für Trauer kein Platz. Die Mutter ist dem Druck nicht | |
gewachsen. Sie schürft sich die Arme auf, fällt in Ohnmacht, wird in eine | |
Klinik eingeliefert. | |
In gewisser Weise ist dieser zweite Teil ein Coming-of-Age-Film: Aus dem | |
aufmüpfigen Teenager Semiya Şimşek wird binnen kurzer Zeit eine engagierte | |
Kämpferin für Gerechtigkeit. Dabei lässt der Film bei aller Misere auch | |
Raum für fröhliche Zwischentöne. „Niemand ist nur Opfer und trägt das dann | |
so vor sich her“, sagt Laila Stieler. | |
Sie hat das Drehbuch zum Film auf Grundlage von Şimşeks Buch „Schmerzliche | |
Heimat“ geschrieben, arbeitete eng mit ihr und ihrer Mutter zusammen und | |
nutzte Protokolle von Untersuchungsausschüssen und Vernehmungen. Trotzdem | |
sei der zweite Teil im Kern fiktiv, wie die anderen beiden Filme auch. „Das | |
ist eng an ihrer persönlichen Geschichte dran, aber natürlich sind sehr | |
viele Szenen so nicht passiert. Ich hab versucht das so zu schreiben, dass | |
es so gewesen sein könnte“, sagt Stieler. | |
Zusätzlich zu der Opferebene bezieht sie auch eine Ermittlerperspektive in | |
den Film ein. Die fiktiven Polizisten Hegemann (André M. Hennicke) und | |
Höllerer (Tom Schilling) stehen etwas holzschnittartig für die Bemühungen | |
und Nichtbemühungen der Beamten. Der eine folgt trotz Zweifeln der | |
Leitlinie seiner Vorgesetzten und ermittelt gegen die Familie, der andere | |
setzt sich für sie ein. Dieser Kniff ist möglich, weil sich der dritte Teil | |
der Reihe (“Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“) von Regisseur | |
Florian Cossen vorwiegend mit der Rolle des Verfassungsschutzes | |
beschäftigt. | |
Ein Zielfahnder (Florian Lukas) soll 1998 die untergetauchten Böhnhardt, | |
Mundlos und Zschäpe aufspüren. Er trifft auf Widerstände – auch weil der | |
Verfassungsschutz über seine V-Männer selbst tief in der rechten Szene | |
drinsteckt. | |
Wer es böse meint, kann den Verantwortlichen der Trilogie Folklore | |
vorwerfen. Wie schon bei Filmen wie „Der Untergang“ oder „Der Baader | |
Meinhof Komplex“ wird deutsche Geschichte zum Abziehbild – nachgestellt mit | |
schönen SchauspielerInnen und geschliffenen Dialogen. | |
## Kein Voyeurismus | |
„Mitten in Deutschland: NSU“ zeigt aber auch: Die Geschichte der Mordserie | |
des NSU ist mehr als Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt. Die Reihe deutet auch den | |
Alltagsrassismus an, auf dem solche Taten gedeihen: etwa, als ein Polizist | |
Semiya Şimşek fragt, ob das in Deutschland geborene Mädchen auch Deutsch | |
spreche. „Ja, logisch. Und Sie?“, kontert sie schlagfertig. | |
Die Entscheidung, drei Spielfilme zu dem Komplex zu drehen, erweist sich | |
als richtig. So bleibt genügend Zeit für die Entwicklung der verschiedenen | |
Charaktere. Gut ist auch: Die Filme hüten sich vor unangebrachtem | |
Voyeurismus. Das war im Film „Letzte Ausfahrt Gera“ noch weniger gut | |
gelungen. | |
Allerdings: Alle drei Teile sprechen eher das Herz an als den Verstand. Wer | |
sich Aufschluss über das noch nicht abgeschlossene Kriminalrätsel NSU | |
erwartet, muss auf die Dokumentation hoffen. | |
30 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Ronny Müller | |
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Einstellung. |