# taz.de -- Debatte Krise in Brasilien: Die Elite macht mobil | |
> Die Regierung Rousseff ist von Korruptionsskandalen gebeutelt. Justiz und | |
> führende Medien wollen darüber die Präsidentin stürzen. | |
Bild: Protest an der Copacabana: Präsidentin Rousseff und ihr Vorgänger Lula … | |
„Hilf Dilma zu stürzen und reise dann wieder nach Orlando und Miami. Denn | |
wenn sie stürzt, fällt auch der Dollar“, twitterte Itagiba Catta Preta. Auf | |
seiner Facebook-Seite rief er zum Sturz der Präsidentin auf. Selfies zeigen | |
ihn mitten unter den Demonstranten. Einer von Zehntausenden, die die Nase | |
voll haben von der brasilianischen Regierung. Mit einer Besonderheit: Catta | |
Preta ist Bundesrichter und erklärte die Ernennung von Expräsident Lula da | |
Silva zum Kabinettschef nur Minuten nach dessen Amtseinführung Mitte März | |
für nichtig. | |
Innerhalb kurzer Zeit wurde der Richter in den sozialen Netzwerken zum | |
Helden stilisiert. Ebenso wie Sérgio Moro, der Chefermittler der großen | |
Korruptionsaffäre, bei der Milliardenbeträge von Staatsunternehmen in die | |
Kassen korrupter Politiker umgeleitet wurden. Die Rede ist von Kampf gegen | |
den Kommunismus, der Rettung Brasiliens, dem Hass auf die Arbeiterpartei | |
PT, die das Land seit 13 Jahren regiert. Millionen Brasilianer tragen diese | |
Parolen auf die Straßen. | |
Nachdem Catta Pretas Urteil in zweiter Instanz kassiert wurde, sprach | |
Gilmar Mendes vom obersten Gericht ein Machtwort: Die Argumentation des | |
Mannes, der wieder kostengünstig in den Lieblingsbadeort der | |
brasilianischen Eliten reisen möchte, sei richtig. Präsidentin Dilma | |
Rousseff dürfe Lula nicht zum Minister ernennen, weil sich dieser damit nur | |
dem Zugriff der Justiz entziehen wolle. Von Mendes ist schon lange bekannt, | |
dass er ein erklärter Feind der PT ist. | |
Was ist los in Brasilien, dass plötzlich fragwürdige Richter über die | |
politische Zukunft des Landes befinden? Noch vor Kurzem war Brasilien ein | |
Boomland, wurde zu einem Global Player und galt aufgrund seiner | |
erfolgreichen Sozialprogramme und stabilen demokratischen Institutionen | |
weltweit als Vorbild. Jetzt wirkt das Land tief gespalten, in | |
Regierungsgegner und diejenigen, die um den Erhalt der Demokratie bangen | |
und zu Hunderttausenden, wie am 18. März, auf die Straße gehen und trotzig | |
„Es wird keinen Putsch geben“ rufen. Viele dieser Demonstranten haben der | |
PT längst den Rücken gekehrt, sie sind enttäuscht von Vetternwirtschaft und | |
faulen Kompromissen. Doch plötzlich haben sie Angst. Das Stimmungsbarometer | |
steht auf Konfrontation, und Teile der Rechten machen keinen Hehl aus ihrem | |
Hass auf Andersdenkende. | |
## Fragwürdige Wirtschaftspolitik | |
Nachvollziehbar sind die Argumente. Verwicklung in den Korruptionsskandal, | |
eine fragwürdige Wirtschaftspolitik und ein politischen Schlingerkurs | |
mangels eindeutiger Prioritätensetzung kritisiert die Opposition, und dies | |
völlig zu Recht. Die Regierung und ihre Anhänger verweisen auf die | |
schwierige Lage der Weltwirtschaft, auf ebenfalls korrupte konservative | |
Politiker und auf die Blockadepolitik der Opposition im Kongress. Auch | |
alles richtig, nur entkräften diese Einwände nicht, dass die Regierung ein | |
miserables Bild abgibt. Dies um so mehr, als dass ihre eigenen Unterstützer | |
immer unzufriedener werden: diejenigen, die schon lange nach Wegen linker | |
Politik jenseits der Machtpartei PT suchen. Und inzwischen auch die PTler, | |
denen Rousseffs Krisenmanagement nichts weiter als eine neoliberale Agenda | |
ist. | |
Alles in allem eine nicht unübliche Konstellation, die ohne Weiteres bei | |
der nächsten Wahl geklärt werden könnte. An diesem Punkt beginnt das | |
Problem, die eigentliche Konfrontation. Da sind die recht zahlreichen | |
Demonstranten und Parlamentarier, die offen für eine Rückkehr der | |
Militärdiktatur plädieren und rassistisches wie homophobes Gedankengut | |
predigen. Und bereits seit der Wiederwahl Rousseffs im Oktober 2014 | |
akzeptiert ein wichtiger Teil der parteipolitischen Opposition ihre | |
Niederlage nicht. Mangels eigenen Profils bedienen sich diese Gruppen der | |
geradezu gleichgeschalteten Massenmedien, um die Regierung schlechtzureden | |
und einen wie auch immer gearteten Umsturz als notwendig darzustellen. | |
Die Situation eskalierte Anfang März, als die Korruptionsermittlungen die | |
Machtspitze der PT ins Visier nahm. Da gegen Rousseff noch nicht einmal | |
Ermittlungen eingeleitet wurden und gegen ihren Vorgänger Lula nur ein | |
windiger Anfangsverdacht vorlag, gingen Justiz und Medien einen | |
unheilvollen Pakt ein. Kronzeugenaussagen, die beide Feindbilder | |
belasteten, wurden aus Verhörzimmern direkt und selektiv an die Presse | |
geleitet. Dort erschienen die Aussagen geständiger Krimineller dann als | |
Stand der Ermittlungen. | |
Als Nächstes wird Lula von schwerbewaffneten Polizisten vor laufenden | |
Kameras vorab von der Aktion Informierter zum Verhör abgeführt. Dann | |
beantragt ein Staatsanwalt Untersuchungshaft für ihn, ein Manöver, das | |
sogar von den meisten seiner politischen Feinde als unverhältnismäßig | |
kritisiert wurde. Als bisher letzte Episode dieses Zusammenspiels von 3. | |
und 4. Macht im Staat veröffentlichten die Medien Telefonmitschnitte von | |
der Präsidentin sowie von Lula, in denen er ganz privat Schimpfworte | |
benutzt. | |
## Ankläger selbst korrupt | |
Es ist richtig und sehr bedenklich, dass Rousseff von Kriminalisierung und | |
„den Anfängen eines Putsches“ spricht. Gegen sie selbst hat | |
Parlamentspräsident Eduardo Cunha ein Amtsenthebungsverfahren auf den Weg | |
gebracht. Cunha ist der erste amtierende ranghohe Politiker, der vom | |
obersten Gerichtshof wegen der Korruptionsaffäre angeklagt wurde. Schweizer | |
Staatsanwälte wiesen nach, dass er rund 5 Millionen US-Dollar auf geheimen | |
Auslandskonten bunkert. | |
In der Kommission, die Rousseffs Fehlverhalten prüfen soll, sitzen der in | |
Frankreich wegen Korruption rechtskräftig verurteilte Paulo Maluf sowie | |
sieben weitere Abgeordnete, gegen die das Oberste Gericht wegen diverser | |
Vergehen ermittelt. Auch der Wahlverlierer von 2014 und heutige | |
Oppositionsführer Aécio Neves steht im Verdacht, in das Korruptionsgeflecht | |
verwickelt zu sein. | |
Diejenigen, die die Amtsenthebung von Rousseff vorantreiben, können eines | |
nicht behaupten: dass sie gegen Korruption seien. Die Eile, mit der Lula | |
und Rousseff ausgeschaltet werden sollen, zeugt nicht von Sorge um das | |
Land. Sondern vielmehr von der Angst, dass gerade Lula, der 2018 wieder | |
kandidieren will, doch mehr Unterstützung hat als das elitäre Projekt der | |
lautstarken Kritiker. | |
23 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Behn | |
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