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# taz.de -- Die Wahrheit: Nieder mit Bibi Blocksberg!
> Hexen haben im aktuellen literarischen Diskriminierungsdiskurs eindeutig
> das Nachsehen. Ein Hintergrundgespräch.
Martina M. ist wütend. Und das ist nicht gut. Denn Martina M. ist eine
Hexe. Und wir wissen ja, dass es sehr gefährlich sein kann, eine Hexe
wütend zu machen. Das ist auch das Problem.
„Hexen werden heutzutage völlig falsch dargestellt“, sagt Martina M.
„Allein in der Kinderliteratur! Hier“, sie knallt einen Stapel Bücher auf
den Tisch: „Die kleine Hexe“, „Die Hexe Lakritze“, „Die Hexe Schrumpe…
„Hexen sind entweder alt, hässlich und seltsam, haben einen Buckel und eine
eklige Warze im Gesicht – oder sie sind genau das Gegenteil davon. Dann
wird natürlich betont, dass sie nicht alt und hässlich sind, keinen Buckel
und keine eklige Warze haben.“
## Liebe Hexe
Martina M. ist wütend: „Und immer sind sie gut. Immer heißt es, Hexe
Soundso war eine Hexe, aber sie war eine gute Hexe. Nicht so, wie die bösen
Hexen, die es früher gab.“ Jetzt schnauft Martina M. „Auch früher gab es
keine bösen Hexen!“ Ihre grünen Augen funkeln, während sie den Tisch deckt.
In einer halben Stunde kommen ihre Freundinnen zu Besuch – Hexen wie
Martina M.
„Und dann“, sagt sie, „erleben diese Kinderbuchhexen immer lustige und
spannende Abenteuer und fliegen auf ihrem Besen. Alle haben einen Besen,
auch Bibi Blocksberg. Läuft nur in sexy Söckchen rum, später in sexy
Reitstiefeln, aber immer einen Besen zwischen den Schenkeln.“
Martina M. ist wütend. Deshalb hat sie jetzt mit ihren Freundinnen die
Initiative „Hexen gegen die Profanisierung des Hexentums – HeGeProHe“
gegründet. Nachher ist Sitzung.
„Was war das vor ein paar Jahren für ein Aufstand, als man in den Büchern
von Astrid Lindgren Wörter wie ‚Negerkönig‘ und ‚Zigeunerjunge‘ gefun…
hat! Diskriminierung. Das Böse N-Wort. Kanake sagt man nicht. Aber um Hexen
kümmert sich niemand.“ Nun wird der Begriff Hexe auch nicht diskriminierend
gebraucht, werfen wir ein.
Martina M. widerspricht. „Erstens“, sagt sie, während sie den Kuchen
aufschneidet, „heißt es eigentlich Wicca. Wir sind keine lustig
herumzaubernden Frauen, sondern Anhängerinnen einer ernstzunehmenden
Naturreligion. Zweitens wird stets unterstellt, Hexen seien böse und die
lustigen Kinderbuchhexen seien die netten Ausnahmen. Und drittens wird
völlig unterschlagen, dass Hexen im Mittelalter verfolgt und getötet
wurden.“
Seit dem 13. Jahrhundert hat die Kirche Hexen verfolgt, zunächst die
katholische, später auch die protestantische Kirche, erklärt Martina M.
Hexenverfolgung war ja ganz einfach. Man musste nur zu seinem Pfarrer gehen
und behaupten, diese oder jene Frau sei eine Hexe. Etwa, weil sie rote
Haare hatte. Oder eine schiefe Nase. Oder weil sie böse geguckt hatte. Oder
weil sie gesagt hatte: „Gott ist doof“. Dann wurde sie verhaftet und
befragt, ob sie eine Hexe wäre. Weil damals natürlich niemand freiwillig
zugegeben hat, eine Hexe zu sein, die mit dem Teufel im Bunde war, und weil
sie auch nicht auf die Bibel schwören konnte (Hexen glaubten ja nicht an
Gott), wurde sie gefoltert, bis sie die Wahrheit sagte. Nämlich, dass sie
eine Hexe war.
Dann musste sie noch sagen, wer aus ihrem Freundeskreis ebenfalls Hexe war.
Und am Schluss wurde sie dann hingerichtet. Denn wenn man einmal Hexe ist,
bleibt man ja Hexe. Das ist ja nicht so, dass man für ein paar Jahre ins
Gefängnis kommt wie heute und dann ist wieder gut. War man sich trotz des
Folterns nicht sicher, ob eine Frau eine Hexe war (schließlich wollte man
ja nicht aus Versehen jemand unschuldigen töten), machte man eine Probe:
Die verdächtige Frau wurde gefesselt und ins Wasser geworfen. War sie eine
Hexe, so schwamm sie auf dem Wasser (denn Hexen sind leichter als andere
Menschen, weil sie keine Seele haben, die haben sie ja dem Teufel
verkauft). Schwamm sie also oben, wurde sie verurteilt und verbrannt
(natürlich erst, wenn sie wieder trocken war). War die Frau aber keine
Hexe, schwamm sie auch nicht auf dem Wasser, sondern ging unter und
ertrank. Dann wusste man, dass die Frau unschuldig war.
All das werde in den heutigen Büchern unterschlagen, sagt Martina M. und
setzt Wasser für den Tee auf. Deshalb will die Initiative um Martina M.
Verlage dazu zwingen, Hexengeschichten gar nicht mehr zu verlegen oder
zumindest den Büchern ein Vorwort voranstellen, in dem den Kindern die
Hexenverfolgung erklärt wird.
## Böse Hexe
„In modernen Kinder- und Jugendbüchern muss so etwas möglich sein. Wir
haben ja auch Bücher, in denen Jungs jüdischen Glaubens oder Sinti und Roma
durch Berlin toben und dann taucht irgendwann der tote Uropa auf, der im KZ
gestorben ist. Ich meine, irgend eine Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Uroma von Bibi
Blocksberg ist doch sicher auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Da
finden Sie kein Wort von in den Kinderbüchern. Ein richtiger Holocaust war
das. Während der sechshundert Jahre Hexenverfolgung wurden 60.000 Hexen in
Europa gefangen und getötet. Und damit war ja nach dem Mittelalter nicht
Schluss. In den USA wurden bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts Hexen
verfolgt. Und in Südamerika und Afrika gibt es Hexenverfolgung noch heute.“
Martina M. hat den Entwurf des Vorworts an Verlage geschickt. Die
Reaktionen darauf sind verhalten. „Die meisten ziehen sich darauf zurück,
dass ihre Bücher reine Fiktionen seien und dass sie die Autoren fragen
müssen oder die Erben.“
Aber nicht nur Martina M., auch anderen Menschen gefällt die Darstellung
von Hexen in Kinderbüchern nicht. Bischof P. zum Beispiel. Auch er will
nicht mit Namen genannt werden. Bischof P. ist ein ruhiger, älterer Herr.
Er sitzt hinter seinem Schreibtisch und dreht nachdenklich seinen
Bischofstab zwischen den Fingern, während er spricht. „Es geht in diesen
Büchern“, sagt er leise und bedächtig, „immer nur um Hexen, die lustig und
frech sind und ganz vielen Menschen helfen. Aber die Kinder sollten wissen,
dass Hexen in Wirklichkeit böse sind! Hexen sind mit dem Teufel im Bunde,
haben sich von Gott, seiner Liebe und seiner Güte abgewandt und lästern
ihm!“ Jetzt wird er doch ein wenig ungehalten. Auch mit dem Holocaust will
er die Hexenverfolgung nicht verglichen wissen.
„Die Judenverfolgung“, Bischof P. wird wieder stiller, „dieses düstere
Kapitel der deutschen Geschichte – das war schlimm und unentschuldbar.
Zumal die Juden unschuldig waren, sieht man davon ab, dass sie Schuld am
Tode Jesu Christi sind. Juden und Christen glauben ja an den selben Gott.
Hexen haben sich aber mit dem Teufel eingelassen. Ich wiederhole: dem
Teufel. Dem absoluten Bösen. Und man darf den Teufel nicht mit Adolf Hitler
verharmlosen.“
## Wütende Hexe
Bischof M. will jetzt auf die Verlage einwirken, dass Hexengeschichten gar
nicht mehr verlegt oder dass Klarstellungen in die Bücher gedruckt werden.
Erste Verlage haben bereits signalisiert, darüber nachzudenken. Man müsse
jetzt eruieren, was man tun könne, schließlich wolle man keine Gefühle
einer religiösen Gruppe verletzen.
Martina M. findet keine Worte, als wir sie damit konfrontieren. Ihr grünen
Augen funkeln. Sie ist wütend. Und ihre Freundinnen von der HeGeProHe , die
gleich zum Tee kommen, werden auch wütend sein. Sehr, sehr wütend.
19 Mar 2016
## AUTOREN
Michael-André Werner
## TAGS
Hexen
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