# taz.de -- Hexenverfolgung in Hannover: Erfundene Schuldige | |
> Künstlerische Installation im historischen Beginenturm: Eine Brücke | |
> zwischen lokalgeschichtlicher Hexenverfolgung und Verschwörungstheorie. | |
Bild: Hexenverbrennung am Harz: Flugblätter wie dieses über Hinrichtungen in … | |
HANNOVER taz | Ein komisches Gefühl, in dem Raum zu sitzen, in dem vor 400 | |
Jahren Frauen gefoltert wurden, um im Anschluss als angebliche Hexen | |
verbrannt zu werden. Stimmen klingen aus Lautsprechern in verschiedenen | |
Ecken des Raumes. Es wirkt, als säßen die Frauen dort, die aus der | |
Opferperspektive die Geschichten von fünf hier Gequälten und Ermordeten | |
erzählen. | |
„Es war uns beim Thema Hexenverfolgung wichtig, den Frauen eine Stimme zu | |
geben“, sagt Marcus Peter, der zusammen mit seiner Frau Katharina Peter die | |
[1][Ausstellung „Von H*x*n, Fake-Birds und anderen veRsChWörUnGen“] | |
kuratiert hat. Sie ist ein Projekt des Vereins Theatrum in Kooperation mit | |
dem [2][Historischen Museum Hannover], das die Ausstellung im dazugehörigen | |
Beginenturm noch bis 30. Oktober beherbergt. | |
Die Kurator*innen sind dabei Prozessakten der Hannoverschen | |
Hexenprozesse der Jahre 1604 und 1605 durchgegangen. In der Universität | |
Hannover findet begleitend eine Vortragsreihe unter dem Titel „[3][Fakten, | |
Fakes und Fiktionen: Von der Hexenverfolgung bis heute“] statt. | |
Das Erdgeschoss des Turms wurde früher als Kerkerraum verwendet. In der | |
Decke kann man noch das sogenannte Angstloch sehen, durch das die | |
Deliquent*innen vermutlich in den Raum herabgelassen wurden. | |
Zu den als Hexen hingerichteten Frauen gehört Ilse Hertsch. Sie wurde am | |
16. November 1605 verbrannt, nachdem sie in Haft gestorben war. Sie war | |
Kuhhüterin. Als einige Kühe starben, wurde sie beschuldigt, die Tiere | |
vergiftet zu haben und als „Zaubersche“ bezeichnet. Ihr wurde vorgeworfen, | |
„vom Teufel beschlafen“ worden zu sein und Unglück zu bringen, sie wurde | |
geschlagen und gefoltert. Am Ende habe sie selbst geglaubt, dass sie „des | |
Teufels“ sei, sagt die Stimme, die ihre Geschichte erzählt. Das zeigt, wie | |
die Frauen manipuliert und psychisch gebrochen wurden. | |
Wie eng der Diskurs um die Hexenverfolgung mit den Verschwörungstheorien, | |
die heutzutage im Umlauf sind, verknüpft ist, zeigt ein Video-Essay, zu | |
dessen Ausstrahlung man über eine schmale Wendeltreppe ein Stockwerk höher | |
gelangt. Abwechselnd sind Stimmen von Kulturwissenschaftler*innen, | |
Psycholog*innen oder Neurowissenschaftler*innen, aber auch Ausschnitte | |
aus Audiochats von Verschwörungsideolog*innen zu hören. Dazwischen | |
werden Regeln für Verschwörungserzählungen genannt, zum Beispiel „Nichts | |
geschieht aus Zufall“ oder „Alles ist miteinander verbunden.“ | |
In dem Video-Essay wird besonders deutlich, dass Verschwörungserzählungen | |
über Emotionen funktionieren: Die Menschen bräuchten Geschichten, um eine | |
Theorie anzunehmen. Auch das Gefühl, im Recht zu sein, sei für | |
Verschwörungsgläubige entscheidend: „Es geht nicht um die Wahrheit, sondern | |
um Selbstbestätigung“, sagt Peter. | |
Im Video-Essay erklärt Neurowissenschaftlerin Katharina Schmack, dass | |
Verschwörungstheorien wie Drogen wirken, da durch das Erkennen eines | |
vermeintlichen Musters Dopamin ausgeschüttet und ein Glücksgefühl ausgelöst | |
werde. | |
Ein Beispiel, wie Verschwörungserzählungen funktionieren, bereitet der | |
nächste Raum auf: An die Wand ist ein großes Schild mit der Aufschrift | |
„Birds aren’t real“ gelehnt. Auf dem Boden ist ein QR-Code, der, wenn man | |
ihn mit dem Smartphone gescannt hat, mithilfe von Augmented Reality über | |
die Handykamera auf dem Bildschirm Krähen durch den Raum hüpfen lässt. | |
Die Installation bezieht sich auf einen satirischen Verschwörungsmythos, | |
den sich [4][der US-Amerikaner Peter McIndoe] 2017 als Reaktion auf | |
Pro-Trump-Demos ausgedacht hat, um zu entlarven, wie leicht Menschen solche | |
Mythen glauben. Was er laut Marcus Peter auch gezeigt hat, war, wie viel | |
Geld bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien fließt: Durch den | |
Verkauf von Merchandising habe McIndoe rasch ordentlich was eingenommen. | |
Ähnliches sei bei den Online-Shops von Coronaleugner*innen der Fall. | |
Hannover war keine Hochburg der Hexenverfolgung, betont Marcus Peter. | |
Trotzdem seien mindestens 27 Menschen als Hexen hingerichtet, zu Tode | |
gefoltert oder verbrannt worden. Peter betont, dass diese Morde nicht etwa | |
im Mittelalter geschehen seien, sondern in der Neuzeit. Wer die | |
Hexenverfolgungen als vergangenen Teil der Geschichte ansieht, mache es | |
sich also zu einfach: „Dieses Denken und diese Muster sind nicht | |
überwunden“, sagt er. | |
Und: „Aufklärung reicht nicht“, betont Peter. Da Verschwörungserzählungen | |
über Emotionen wirken, können die Menschen auch nicht mit Fakten erreicht | |
werden. Stattdessen solle man versuchen, die Ängste der Menschen zu | |
verstehen: „Wir müssen das Irrationale als Teil des menschlichen Seins | |
begreifen.“ | |
15 Oct 2022 | |
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[3] https://www.uni-hannover.de/de/universitaet/aktuelles/veranstaltungen/fakte… | |
[4] https://www.deutschlandfunkkultur.de/birds-verschwoerungstheorie-satire-102… | |
## AUTOREN | |
Emma Rotermund | |
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