# taz.de -- Renaissancedrama „Susanna“: Der Humor des Hexenbrenners | |
> Herzog Heinrich Julius von Braunschweig Wolfenbüttel war ein Mensch der | |
> Neuzeit. Hexenverfolgung und Spaß finden in seinem ersten Drama zusammen. | |
Bild: Ein Autor mit Sinn für zündende Pointen: Herzog Heinrich Julius war Dra… | |
Sein erstes Drama hieß „Susanna“. Es ist um 1591 entstanden, und | |
selbstverständlich ist das nur der Kurztitel: Die Renaissance hatte eine | |
deutliche Neigung zu mehrstöckigen pompösen Überschriften, die zugleich als | |
Inhaltsangaben fungieren. | |
Entsprechend heißt auch der Erstling des Herzog Heinrich Julius von | |
Braunschweig Wolfenbüttel in Wirklichkeit „Tragica Comoedia Von Der | |
Susanna/ Wie dieselbe von zweyen alten/ Ehebruchs halber/ fälschlich | |
beklaget/ auch vnschüldig veurtheilet/ Aber entlich durch sonderliche | |
schickung Gottes des Almechtigen von Daniele errettet/ vnd die beiden Alten | |
zum Tode verdammet worden“. | |
[1][Na, wenigstens Spoiler-Ängste waren ihm offenbar fremd]. An dem Stück | |
literarisch zu würdigen ist der Versuch, das Holz der Dialoge zu beleben. | |
Dafür verzichtet der Herzog erstens auf Verse, zweitens lässt er das | |
niedere Volk eine Art Missingsch sprechen, also ein dialektal gefärbtes | |
Deutsch, ähnlich dem, das vom Ohnsorg-Theater [2][für Touri-Aufführungen | |
und TV-Aufzeichnungen genutzt wird], um verständlich zu bleiben. | |
Und drittens: Einer dieser Pseudoplatt-Sprecher ist Johan Clant, den das | |
Personentableau als „Morio“ ausweist, das ist ein lateinisches Wort für – | |
Narr. [3][Damit ist also die Idee in Deutschland angekommen], mithilfe von | |
Albernheiten dem Spiel um Leben und Tod die Dissonanz der Moderne | |
einzuschreiben. | |
## Der Narr ist ein Idiot | |
Seinen ersten großen Auftritt hat Johan Clant schon in der dritten Szene | |
des Stücks, in einem Zwiegespräch mit Helkia, dem Vater der Titelheldin. | |
Und seine Komik bezieht nicht nur dieser Dialog daraus, dass der weise | |
Patriarch zusehends verzweifelt beim Versuch, den törichten Clant zu | |
belehren. | |
Der nämlich erweist sich, sobald er den Mund aufmacht, als Vollidiot, also | |
als jemand, der die grundlegendsten Sprachregelungen und Wahrheiten nicht | |
respektiert: Neuzeitlich daran ist, dass er sie, anders als Bettelmönche | |
oder andere Idioten des Mittelalters, nicht einzuhalten vermag, weil er sie | |
nicht kennt. | |
Man hat es nämlich mit einer Figur zu tun, in der die diskursive | |
Radikal-Opposition der Idiotie konzeptionell mit Wahn- und Schwachsinn | |
identifiziert und mit allerlei anderen Erscheinungsformen sozialer | |
Abweichung vermengt werden, „um den sozialen Raum umzustrukturieren“, wie | |
Kulturhistoriker Andreas Urs Sommer in seiner kurzen Geistesgeschichte der | |
Idiotie im Anschluss an Michel Foucault [4][beschrieben hat]. | |
Selten bekommt man diese historische Verschiebung plastischer serviert als | |
hier. Und selten wird auch die Gewalt dieses Vorgangs greifbarer. So | |
beweist Clant seine schreiende Ignoranz, indem er – Achtung, Wortspiel! – | |
den Zauberer, also niederdeutsch „Töuer“ und den Zuber, also den „Töuer, | |
darin man water drecht“ verwechselt. Und er fragt doch tatsächlich, wie | |
blöde kann man sein, ob man denn nicht zaubern müsse? | |
Vater Helkias ironiefreie Replik ruft dann nachdrücklich in Erinnerung, | |
dass man nicht hexen solle, „denn Gott wils nicht haben, hat auch befolen, | |
man sol keine Zauberer leben lassen, sondern mit Feuer verbrennen.“ | |
Dieser Narr Clant – Obacht, jetzt kommt der richtig große Spaß! – zeigt | |
sich davon zumindest halb beeindruckt: „Dat is nit gut, dat wil gar tho | |
warm syn, et musste ein Mensche verdampen“ – also verbrannt werden ist | |
nicht gut, weil es zu warm wäre und die betroffene Person dabei verdampfen | |
müsse. | |
Witzig, nicht? Denn das wäre ja doch der Sinn der Prozedur! Er ist echt zum | |
Piepen, dieser Narr: Mit Aufführungen in ganz Deutschland war das Stück | |
damals recht erfolgreich. Und man kann sich vorstellen, wie Heinrich Julius | |
von Braunschweig Wolfenbüttel beim Notieren dieser Pointe in seine | |
Schreibfeder gebissen haben wird. | |
Von seiner Regierungszeit ist in Wilhelm Gottlieb Soldans „Geschichte der | |
Hexenprozesse“ (1843) überliefert, „dass bei Wolfenbüttel oft an einem Ta… | |
zehn bis zwölf Hexen verbrannt wurden“, und [5][einer Chronik zufolge] „die | |
Exekutionsstätte von wegen der Menge der daselbst aufgerichteten | |
Brandpfähle wie ein kleiner Wald anzusehen war“. | |
20 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10737575?page=16%2C17 | |
[2] https://www.ndr.de/der_ndr/unternehmen/chronik/Gute-Unterhaltung-aus-dem-No… | |
[3] https://www.peterlang.com/document/1105893 | |
[4] https://www.wiko-berlin.de/wikothek/multimedia/idioten | |
[5] https://www.projekt-gutenberg.org/soldan/hexnpro2/chap002.html | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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