# taz.de -- Historiker Behringer über Hexenverfolgung: „Es war eine Graswurz… | |
> Der Historiker Wolfgang Behringer räumt mit Mythen über die | |
> Hexenverfolgung auf: Nie war sie schlimmer als heute, die Bevölkerung ist | |
> die treibende Kraft – und das humanistische Denken der frühen Neuzeit | |
> eine Voraussetzung | |
Bild: Beschuldigungen aus dem Volk: Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit. | |
taz: Herr Behringer, in Norddeutschland kommt die Forderung nach | |
Rehabilitierung vermeintlicher Hexen in Mode: Wie bewerten Sie diese | |
Bewegung? | |
Wolfgang Behringer: Ach, das läuft ja eigentlich schon seit Langem, wenn | |
auch eher auf Sparflamme. Im Anfang ging das von feministischen Gruppen | |
aus. Damals schien es mir noch sehr viel Sinn zu machen. Mittlerweile ist | |
es ein bisschen zur Routine geworden – ein Gedenkpunkt, den man abarbeiten | |
muss. | |
So negativ? | |
Ich kann mir schon vorstellen, dass es an den einzelnen Orten sinnvoll ist, | |
wo das von lokalen AktivistInnen getragen wird. | |
Aber ist das nicht erstaunlich, dass ein historischer Vorgang Jahrhunderte | |
später politische Prozesse in Gang bringt? | |
Das hat sicher mit der Vielschichtigkeit des Phänomens zu tun. Uns als | |
Wissenschaftler reizt ja auch, dass so viele Disziplinen involviert sind: | |
die Theologie, die Rechtswissenschaften und auch die Anthropologie, denn | |
die Verfolgung von Hexen ist heute ein weltweites Phänomen. | |
Wie jetzt …? | |
Ich bin inzwischen sogar so weit zu sagen, dass im 20. Jahrhundert mehr | |
vermeintliche Hexen hingerichtet wurden als in jedem Jahrhundert zuvor. | |
Wieso das denn, wo doch keiner mehr dran glaubt? | |
Naja, keiner – bei den letzten Umfragen zum Thema, die allerdings auch | |
schon vergleichsweise alt sind, hatten in Deutschland zwischen fünf und | |
zehn Prozent angegeben, an Hexen zu glauben. Und wenn man neutraler fragt, | |
ob es möglich ist, jemandem Krankheiten oder anderen Schaden anzuwünschen, | |
bejahen das fast 25 Prozent. | |
Jeder Vierte? | |
Ja, dieses Restpotenzial gibt es, auch wenn wir nicht bei 95 Prozent | |
liegen, wie in vielen afrikanischen Staaten. | |
Und dort werden Hexen verfolgt? | |
Die Zentren der heutigen Hexenverfolgung liegen in Afrika südlich der | |
Sahara, in Südostasien, in Indien und in Lateinamerika – interessanterweise | |
in Ländern, die durchaus an der gegenwärtigen Medienrevolution teilhaben: | |
Auch in Europa finden die Hexenverfolgungen ja eben nicht im vermeintlich | |
dunklen Mittelalter statt – sondern in der frühen Neuzeit, in der neben dem | |
Buch- auch der Zeitungsdruck entsteht. Wir können deshalb seit dem 17. | |
Jahrhundert in Zeitungen nachlesen, wo große Hexenverfolgungen stattfinden. | |
Das Gleiche lässt sich heute in den Schwellenländern beobachten: Googeln | |
Sie mal „witch killing“ – Sie stoßen garantiert auf eine aktuelle Zeitung | |
aus Indien oder einem afrikanischen Land. | |
In Afrika lagen die Kerngebiete der norddeutschen Missionare. Haben wir die | |
Idee der Hexenverfolgungen exportiert? | |
Ich habe das mit einem Team untersucht, und das war unsere | |
Anfangshypothese, dass es mit der christlichen Theologie zu tun hat. Denn | |
nach Exodus Kapitel 22, Vers 17 haben wir ja in Gottes Wort den Auftrag, | |
Zauberinnen zu töten. Aber inzwischen bin ich da anderer Meinung. | |
Warum? | |
Man findet diese Tötungen auch außerhalb des christlichen Kulturkreises, | |
etwa in sehr traditionellen Gegenden von Papua-Neuguinea, in Ländern mit | |
buddhistischer Tradition, wir haben Belege für Todesurteile wegen Hexerei | |
aus dem islamischen Saudi-Arabien, dort sogar durch ordentliche Gerichte. | |
Was übrigens ein markanter Unterschied ist, weil in den früheren | |
europäischen Kolonien auch in der Unabhängigkeit das koloniale Rechtssystem | |
vorherrschte, in dem die Hexenverfolgung meist schon illegal war … | |
… oder in dem sie wenigstens, wie bei den Briten 1951, in der Endphase der | |
Kolonialzeit abgeschafft wurde. | |
In diesen Staaten ist Hexerei jedenfalls meist kein offizielles Delikt | |
mehr. Dort gibt es aber Gerichte traditioneller Justiz, etwa Dorfgerichte | |
in Tansania. Die halten sich selber natürlich für legal – und verurteilen | |
Personen, die man für Hexen hält. | |
Und …? | |
Die werden dann exekutiert – im Auftrag dieser Dorfgerichte. | |
Dann spukt vielleicht in der Annahme, die Verfolgung wäre als | |
Glaubenstransfer dorthin gekommen, ein Rest der falschen Vorstellung, der | |
europäische Hexenwahn wäre eine Kirchenangelegenheit gewesen …? | |
Das halte ich mittlerweile für wahrscheinlich. Die christliche Doktrin war | |
ja eher, dass es sich bei der Beschwörung von Teufeln und Dämonen um | |
Illusionen handeln müsse. | |
Aber so eindeutig ist die Lehre nicht – es gibt ja doch eine ganze Reihe | |
Theologen, die …? | |
Ja, dieser Bestandteil der Lehre ist nicht auf große Zustimmung gestoßen. | |
Aber den größten Teil der Hexenverfolgungen haben wir in Deutschland, den | |
Niederlanden oder auch Polen im 16. und 17. Jahrhundert – und zwar rein vor | |
weltlichen Strafbehörden. | |
Während im katholischen Spanien unter der Inquisition weniger Hexen | |
verbrannt werden als in Holstein? | |
Das ist die Pointe, ja. Und das betrifft ja nicht nur das heutige Spanien, | |
sondern das gesamte Weltreich von den Philippinen bis Lateinamerika. | |
Aber welche Erklärung gibt es dann für diese massiven Hexenverfolgungen? | |
Es muss viel zusammenkommen: Das Rechtssystem muss es zulassen, die | |
Obrigkeiten müssen mitmachen, also die weltlichen, wenn wir an die vielen | |
kleinen Territorialherren denken – und es muss eine treibende Kraft | |
dahinter sein. | |
Und die wäre? | |
Seit man vor bald 40 Jahren begonnen hat, die Prozessakten systematisch | |
auszuwerten, ist das immer klarer geworden: Es war eine Graswurzelbewegung. | |
Das gilt zumal für die großen Wellen der Verfolgung … | |
… wie im Mecklenburgischen, wo es nach dem Dreißigjährigen Krieg zu einer | |
echten Hexenprozess-Epidemie mit 2.000 Opfern kommt? | |
Dahinter stand immer die Bevölkerung als treibende Kraft. | |
In den Städten bleibt die Zahl der Prozesse klein: In Lübeck wissen wir von | |
nur zwei Todesurteilen, es gab nur eine einzige Verbrennung im damals | |
bedeutenden Emden. | |
Das ist eine wichtige Beobachtung: Ganz unabhängig von der Konfession | |
finden wir weder in den großen Städten noch bei wirklich mächtigen Fürsten, | |
dass Hexerei eine Bedeutung hat: Für die Reichen und Starken ist das eine | |
Sache von Bauern. | |
Aber wieso denn das? | |
Beim Verschwinden der Hexenverfolgungen spielt die Entkoppelung der Städter | |
von der Urproduktion eine Rolle: Ab dem 19. Jahrhundert haben die meisten | |
Konsumenten von Milch oder Eiern mit deren Produktion nichts mehr zu tun – | |
und auch nicht mehr mit den eigenartigen Krankheiten, die in den Ställen | |
auftreten. Zugleich schreitet die Anonymisierung voran: Sehr oft finden wir | |
am Beginn von Hexerei-Beschuldigungen ja einen Schadensfall von der Art, | |
dass vielleicht die Nachbarsfrau in die Wiege geschaut und ’ei, | |
dutzidutzidutzi!‘ gemacht hat – und am nächsten Tag ist das Kind tot. | |
Und kurz darauf brennt dann die Nachbarin? | |
Aus derartigen Zusammenhängen bilden sich in Deutschland Klägergruppen, | |
sogenannte Ausschüsse, die an die Obrigkeit herantreten, mit dem Auftrag, | |
die Schuldigen zu bestrafen. Dass Hexen verbrannt wurden, war ein | |
demokratisches Verlangen. | |
Macht das das historische Phänomen anfällig für Theorien, mit der die | |
Hexenverbrennung selbst auf ein Komplott zurückgeführt wird – wie die | |
prominente These, das Ganze sei eine geplante, bevölkerungspolitische | |
Maßnahme, die vor 30 Jahren die Bremer Professoren Gunnar Heinsohn und Otto | |
Steiger vorgetragen haben? | |
Ach, die. Die haben ja nur die ältere Sichtweise des 19. Jahrhunderts neu | |
aufgelegt. | |
Die ältere Sichtweise? | |
Ja, die Umwertung der Hexen. Die geht einerseits auf die Brüder Grimm | |
zurück, die in den Hexen weise Frauen der Germanen sehen wollten, | |
andererseits glaubte man im 19. Jahrhundert, von liberaler Seite her, an | |
die ganz große Verschwörung: Die Hexerei ist ein Verbrechen der Kirche – | |
das war die These von Jules Michelet. Das bildet den Hintergrund der | |
Verschwörungstheorie von Heinsohn und Steiger. | |
… und die völkische Hexenbegeisterung der Nazis wäre das Bindeglied zum 19. | |
Jahrhundert? | |
Nein, es ist generell die Suche nach einer Obrigkeit, die Verfolgungen | |
inszeniert – um die Bevölkerung zu unterdrücken. | |
12 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Hexenverfolgung | |
Hexen | |
Hexenverfolgung | |
Reiseland Belgien | |
Norwegen | |
Hexenverfolgung | |
Hexen | |
Hexen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Renaissancedrama „Susanna“: Der Humor des Hexenbrenners | |
Herzog Heinrich Julius von Braunschweig Wolfenbüttel war ein Mensch der | |
Neuzeit. Hexenverfolgung und Spaß finden in seinem ersten Drama zusammen. | |
Hexenprozesse: Die Hexenjäger-Universität | |
Die vor 400 Jahren gegründete Universität von Rinteln war mal eine | |
Autorität – in Sachen Hexenprozesse. Heute ist sie weitgehend vergessen. | |
Hexenmalerei in Brügge: Eine Erfindung der klerikalen Eliten | |
Das belgische Mittelalterstädtchen Brügge widmet sich der Hexenmalerei – | |
mit der Kunst von Pieter Breugel dem Älteren und Kollegen. | |
Hexenverfolgung in Norwegen: Wasser, Feuer, Stille | |
Im nordnorwegischen Vardø wurde ein Mahnmal für die als Hexen ermordeten | |
Frauen errichtet. Von 300 Einwohnern wurden 91 Frauen hingerichtet. | |
Hexen-Gedenken: Optimierte Erinnerung | |
Der Osnabrücker Stadtrat hätte als Hexen verurteilte Männer und Frauen | |
gerne freigesprochen, doch die Rehabilitierung ist juristisch unmöglich | |
Kirche bedauert Hexenverfolgung: Der Teufel im Köter | |
In Schleswig sollen Hexen rehabilitiert werden. Die Kirche steht dem Plan | |
positiv gegenüber, die Stadt ist noch zögerlich. | |
Späte Rehabilitierung: Hexenhatz | |
Mehrere Initiativen in Norddeutschland wollen eine Rehabilitierung | |
verurteilter vermeintlicher Hexen erreichen. Mal bremst die Kirche, mal die | |
Politik. |