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# taz.de -- Hexenverfolgung in Norwegen: Wasser, Feuer, Stille
> Im nordnorwegischen Vardø wurde ein Mahnmal für die als Hexen ermordeten
> Frauen errichtet. Von 300 Einwohnern wurden 91 Frauen hingerichtet.
Bild: Königin Sonja und der Architekt bei der Eröffnung des Mahnmals.
Im August 1621 wurde Lisebet Nilsdatter im nordnorwegischen Vardø wegen
Hexerei angeklagt. Die Gerichtsakten verzeichnen, sie habe sich „in Ziegen
und Katzen verwandelt“ und dem Satan versprochen, „ihm mit ihrem Leib zu
dienen“.
Um ihre Schuld zu beweisen, wurde die Beschuldigte an Händen und Füßen
gefesselt und in die eiskalten Fluten der arktischen Barentssee geworfen.
In den Akten heißt es weiter: „Wurde der Wasserprobe unterzogen und schwamm
wie ein Korken.“
Damit war die Sache fürs Inquisitionsgericht klar: Da die Angeklagte
obenauf schwamm, galt das als Beweis ihrer Schuld, denn das reine Element
des Wassers stoße den vom Teufel besessenen Körper ab. Wäre sie dagegen
untergegangen, stünde ihre Unschuld fest.
Die Akten verzeichnen abschließend, dass die Beschuldigte „in einer Reihe
von Hexenprozessen vorgeladen wurde, bei denen 12 Frauen hingerichtet
wurden“. Auch diese Frauen schwammen auf der Wasseroberfläche und wurden
zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.
## Inquisitorische Gelüste
Die an der Universität Tromsø lehrende Historikerin Liv Helene Willumsen
hat seit Jahren die Hexenprozesse in der Finnmark des 17. Jahrhunderts
erforscht, einer Region von der Größe Belgiens. Willumsen fand heraus, dass
in der Finnmark, in der lediglich 0,8 Prozent der norwegischen Bevölkerung
lebten, 31 Prozent von Norwegens Hexenprozessen stattfanden.
Allein in Vardø, einem dem Festland vorgelagerten kleinen Kaff mit damals
kaum mehr als 300 Einwohnern, wurden zwischen 1601 und 1692 insgesamt 91
Personen wegen Hexerei hingerichtet.
Die Historikerin fand heraus, dass die Festungskommandanten, die die
eigentliche Macht in Vardø und in der Finnmark innehatten und lediglich dem
dänischen König in Kopenhagen unterstellt waren, vornehmlich die weibliche
Bevölkerung im Visier hatten, die 81 Prozent der Angeklagten ausmachte.
Besonders die Zugezogenen waren den inquisitorischen Gelüsten der
Festungskommandanten ausgeliefert.
Liv Helene Willumsen hat ihr Wissen in eines der außergewöhnlichsten
norwegischen Projekte eingebracht: Sie beriet den Schweizer Architekten
Peter Zumthor und die Künstlerin Louise Bourgeois, die beide am
nordöstlichen Ende der 2.500 Kilometer langen National Tourist Route, dort,
wo der Varanger-Fjord ans russische Territorium grenzt, eine beeindruckende
Installation errichteten.
## Das Mahnmal wurde auf dem Hinrichtungsplatz erbaut
Das „Detour“-Programm der National Public Roads Administration, die bereits
zahlreiche ähnliche Projekte durchführte, sah für Vardø ein künstlerisch
gestaltetes Denkmal vor, in Steilneset, dem vermeintlichen
Hinrichtungsplatz aus dem 17. Jahrhundert.
Dabei ist nicht nur ein Mahnmal entstanden, das schlicht und würdevoll der
Opfer gedenkt. Denn anders als Tausende anderer Denkmäler im städtischen
Raum ist Zumthors und Bourgeois’ „Witch Memorial“ Land Art, die sich wie
selbstverständlich in die atemberaubende Naturkulisse einfügt.
Als Gedenkort zeugt das Memorial von einer künstlerischen Kraft, die es
erübrigt, mit vielen Worten seine Bedeutung hervorzukehren. Es überrascht
deswegen nicht, dass dem „Witch Memorial“ vor einigen Monaten der North
Norwegian Architecture Prize 2013 zuerkannt wurde.
Nachdem Louise Bourgeois und Peter Zumthor 2006 mit dem Bau beauftragt
worden waren, einigten sich beide auf eine recht archaische Formensprache.
„Zumthor und ich haben Erde, Wasser, Feuer und Licht genutzt, um Ansichten
der Stille zu schaffen“, sagte Bourgeois.
## Eine riesige, fragile Holzskulptur vor der Meeresenge
Der Schweizer Architekt, der damals mit der zum Himmel geöffneten
Bruder-Klaus-Kapelle auf den Eifel-Feldern von Mechernich-Wachendorf
beschäftigt war, eiferte auch in der norwegischen Arktis naturwüchsigem
Bauen nach. Eine kleine Kapelle, daneben ein umfriedeter Gottesacker,
findet sich ebenso in Vardø.
Wer an diesem besinnlichen Ort vorbeikommt, sieht vor sich das „Witch
Memorial“ wie eine riesige, fragile Holzskulptur auftauchen, dahinter die
Meeresenge der Barentssee, und am Horizont den Domen, den Hexenberg auf dem
norwegischen Festland.
Der Graubündner Peter Zumthor hatte schon immer ein Gespür für mythische
Orte. Unweit von Steilneset ragt die Vardøhus-Festung aus dem frühen 18.
Jahrhundert empor, das lange als uneinnehmbar geltende Bollwerk gegen das
übermächtige russische Reich.
Allerdings hat sich der Schweizer auch von der lokalen Tradition
inspirieren lassen. Die begehbare Holzkonstruktion des Denkmals erinnert an
die Trockenfischanlagen, die heutzutage in den Außenbezirken von Tromsø vor
sich hin rotten und weitgehend vergessen sind.
## Bei Wind und Wetter, Tag und Nacht begehbar
Zumthor hat diesen Schatz gehoben und die verkeilten Stäbe des Gestells in
schier endlosen Reihen hintereinander angeordnet. Herausgekommen ist eine
125 Meter lange, standfeste Konstruktion, die mit minimalem Materialaufwand
auskommt: Holz und Segeltuch, die Materialien der frühen Schifffahrt.
Zumthor war es wichtig, dass die von grobem Segeltuch geschützte
Ausstellungspassage, die über den Kreuzungspunkten der Holzstäbe eingepasst
wurde, bei Wind und Wetter, bei Tag und Nacht über eine Rampe betretbar
ist. Wer den endlos anmutenden Gang entlanggeht, vorbei an 91 schwarzen
Tafeln, deren weiße Schriftzüge die Anklageschriften wiedergeben, fühlt
sich niemals allein: Wind und Meeresrauschen sind ständige Begleiter.
Entlang der schwarz gestrichenen Wände fügte Zumthor 91 Gucklöcher hinzu,
die sich zu den Tafeln und den 91 Glühbirnen gesellen: Sie geben den Blick
auf Dorf und Meer frei. Die klare und sinnliche Raumgestaltung, in der
jedes Detail den konzisen Gesamtentwurf verrät, steht im Dienst der Opfer,
derer das „Witch Memorial“ gedenken will.
Während Peter Zumthors Denkmal zur meditativen Versenkung einlädt, liefert
Louise Bourgeois’ Installation „The Damned, the Possessed and the Beloved“
ein starkes Bild zu den Hexenprozessen. Inmitten eines gläsernen Kubus ließ
Bourgeois einen metallenen Stuhl aufrichten, durch den fünf Stichflammen
züngeln.
## In Armeeuniform, mit Perlenkette, Ring und Armreif
Die Arbeit spielt mit theatralischen Effekten: Sieben ovale Spiegel, die
den Stuhl umfangen, verzerren das Konterfei des Besuchers und lassen an die
schmerzverzerrten Gesichter der Opfer denken.
In Vardø gibt es niemanden, der mehr über die Geschichte von Steilneset,
die Folterungen in der mittelalterlichen Festung, die Mentalität der
Kommandanten und die lange Tradition der „Vardøhus Festning“ erzählen kann
als Elisabeth Eikeland, Majorin der norwegischen Armee und erste weibliche
Festungskommandantin unter 44 Vorgängern.
Gäste empfängt sie in Armeeuniform, mit Perlenkette, Ring und Armreif. Im
kleinen Büro der neuen Festung aus dem 18. Jahrhundert hängt über ihrem
Schreibtisch ein Plakat von Rammstein: „Ich bin ein großer Fan von
Rammstein und habe ihre Konzerte in Deutschland gehört. Aber mich
interessiert nur ihre Musik, nicht ihre Gesinnung.“
Um nicht missverstanden zu werden, beruft sich Eikeland ausdrücklich auf
Carl Albert von Passow, einen mecklenburgischen Aufklärer, der 1739 vom
dänischen König nach Vardø versetzt wurde, um den nordöstlichen Zipfel
Norwegens gegen die Russen zu verteidigen. Eikeland erzählt, der Deutsche
habe nicht nur die seinerzeit modernste Festungsanlage errichtet, sondern
mit seinem liberalen Gedankengut den Nährboden für die Inquisition
ausgetrocknet.
## Der Terror der Deutschen
Ebenso berichtet sie von einer ganz anderen deutschen Geschichte: Vor 60
Jahren wurde die Festung von der deutschen Wehrmacht besetzt, und nachdem
zwei Partisanen die norwegische Fahne gehisst hatten, ordnete
Reichskommissar Josef Terboven, der eigens nach Vardø gereist war, die
Erschießung der beiden Norweger an.
Vom Terror der Deutschen in Vardø ist auf den Fotos eines
Wehrmachtssoldaten, die im kleinen Vardøhus-Museum ausgestellt sind, nichts
zu spüren. Eher von typisch deutscher Kameradschaft.
Den Menschen in Vardø ist diese Schreckenszeit weit entrückt. Lieber machen
sie heute Werbung fürs Steilneset Memorial. Leider mit wenig Erfolg. Denn
den Touristen der Hurtigruten-Kreuzfahrtschiffe, die für ganze zwei Stunden
am Hafen anlegen, bleibt für eine Besichtigung keine Zeit.
17 Mar 2014
## AUTOREN
Klaus Englert
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