| # taz.de -- Kirche bedauert Hexenverfolgung: Der Teufel im Köter | |
| > In Schleswig sollen Hexen rehabilitiert werden. Die Kirche steht dem Plan | |
| > positiv gegenüber, die Stadt ist noch zögerlich. | |
| Bild: Die Opfer sind lange tot, sollen aber in Schleswig jetzt rehabilitiert we… | |
| SCHLESWIG taz | Caterina Eggerdes war tot, als sie verbrannte – einen Tag | |
| vor dem 17. Juni 1551, als ihr Scheiterhaufen auf dem Markt errichtet | |
| wurde, hatte man ihr im Gefängnis Gift zu trinken gegeben. Ihr Bruder Peter | |
| soll dahintergesteckt haben. Ein Gnadenakt, um ihr die Folter zu ersparen, | |
| die bereits angeordnet war? Jens Nielsen schüttelt bedauernd den Kopf: „Ich | |
| fürchte nicht.“ Vermutlich habe sich Peter Eggerdes selbst schützen wollen | |
| – er, der Stadtvogt von Schleswig, durfte nicht zulassen, dass Caterina zu | |
| viel erzählt, wenn sie „gezwickt“ oder „gepiesackt“, mit glühenden Za… | |
| oder knochenbrechenden Schrauben gefoltert wurde. | |
| Caterina Eggerdes starb, weil sie der „Touwerie“, der Zauberei, bezichtigt | |
| wurde. Jens Nielsen gehört zu einer Gruppe, die Eggerdes und die anderen | |
| Frauen, die im 16. Jahrhundert in Schleswig verbrannt wurden, | |
| rehabilitieren wollen. Überall in Deutschland gibt es solche Gruppen, | |
| einige Städte und Kirchengemeinden haben sich bereits zu ihrer Mitschuld an | |
| der Verfolgung der angeblichen Hexen und Hexer bekannt. In Schleswig ist es | |
| noch nicht so weit. | |
| „Natürlich kann man die Frage stellen, ob es nicht wichtigere Themen gibt“, | |
| sagt Dorothea Messner, ein weiteres Mitglied der Gruppe. „Aber egal wie | |
| lange es her ist: Diese Frauen sind unschuldig gestorben. Und Minderheiten | |
| werden heute immer noch verfolgt und ausgegrenzt. Die Dinge haben einen | |
| anderen Namen, aber sie passieren weiterhin.“ | |
| Drei große Hexenprozesse sind aus Schleswig bekannt und dokumentiert: | |
| Zwischen 1551 und 1559 starben gut zwei Dutzend Menschen – alles Frauen, | |
| obwohl es im Umkreis auch Verbrennungen von angeblichen Hexern gab. „Aber | |
| wir mussten uns beschränken“, sagt Nielsen. Er selbst stieß durch seine | |
| Arbeit als Stadtführer auf das Thema und wurde auch in seiner | |
| Familiengeschichte fündig: Der Name eines Vorfahren tauchte im Zusammenhang | |
| mit Hexenprozessen auf. So ist der Kampf um die Ehre der Opfer für Nielsen | |
| eine Art Wiedergutmachung. Vor allem aber findet er es wichtig, über das | |
| vergessene Thema aufzuklären. „Wenigen Schleswigern und noch weniger | |
| Touristen ist klar, dass es hier Hexenverfolgung gab.“ | |
| Insgesamt hat die Gruppe 20 Prozesse aufgearbeitet, oft mit mehreren | |
| Angeklagten. Nur selten sind alle Fakten bekannt, teils fehlen die Namen | |
| der Beschuldigten. Die Taten ähneln sich: Bund mit dem Teufel, | |
| Schadenszauber gegen Nachbarn oder Verwandte. Dramatische Folgen hatte der | |
| Stolperer eines Pferdes, das dem Herrn des Gutes Lindau gehörte: Das Tier | |
| scheute vor einem Hund, den eine Frau namens Anneke Lutken über eine Hecke | |
| geworfen hatte. Gutsherr Bartram Rathow witterte den Teufel im Köter, er | |
| ließ Lutken und zahlreiche weitere Frauen verbrennen, da unter der Folter | |
| eine die andere beschuldigte. | |
| Der Prozess, der in der Gerichtsbarkeit des Gutsherrn stattfand, zeigt für | |
| Nielsen die Motive, die hinter dem Hexerei-Vorwurf standen. Machtausübung, | |
| Druck auf die Bauern: „Niemand ist sicher vor so einer Anklage.“ | |
| Die Schleswiger Gruppe hat eine kleine Ausstellung zusammengetragen, die | |
| einige Wochen gezeigt wurde – in einem evangelischen Gemeindezentrum. Die | |
| Kirche reagierte positiv auf die Idee, an die Hexen zu erinnern und ihre | |
| Namen reinzuwaschen. In einem Gottesdienst im Schleswiger Dom gedachte der | |
| Pastor der verbrannten Frauen. Die Stadt – Nachfolger von Stadtvogt | |
| Eggerdes – ist zögerlicher. Ingo Harder, der zu den Hexen-Rehabilitierern | |
| gehört und selbst Mitglied im Stadtrat ist, vermutet nicht böse Absicht, | |
| sondern Desinteresse: Angesichts vieler aktueller Probleme sind | |
| Scheiterhaufen, die vor 450 Jahren brannten, in den Augen der meisten | |
| Ratsmitglieder kein Top-Thema. | |
| Aber Harder, der für eine Freie Wählergruppe im Rat sitzt, will die Hexen | |
| demnächst auf die Tagesordnung setzen. „Es kommt nicht darauf an, ob es | |
| noch ein Jahr länger dauert, aber die Rehabilitierung ist notwendig“, sagt | |
| er. Er selbst – Bauunternehmer von Beruf, ein breit gebauter Mann mit einem | |
| kleinen Ohrstecker – kam zum Hexen-Thema, nachdem er eine Ausstellung mit | |
| mittelalterlichen Foltergeräten gesehen hatte. Der Gedanke daran, was | |
| Unschuldigen angetan wurde, die in die Mühlen eines Hexenprozesses | |
| gerieten, ließ ihn nicht ruhen. „Ich bin ein Mensch mit starkem | |
| Gerechtigkeitssinn“, sagt er. | |
| Die Ausstellung verzichtet auf Beinquetschen und Streckbänke, es gibt vor | |
| allem Texte über die Prozesse, ein paar Schalen mit Kräutern, die im Ruch | |
| standen, von Hexen verwendet zu werden, und ein paar Apothekerfläschchen, | |
| in denen Pflanzen in einer schlierigen Flüssigkeit treiben. Jens Nielsen | |
| grinst: „Der Nachlass einer alten Frau aus Flensburg – wer weiß, was sie | |
| damit getan hat.“ | |
| Die Dame mit ihren braunen Fläschchen war wahrscheinlich mehr Hexe als die | |
| Frauen, die im 16. Jahrhundert der Zauberei beschuldigt wurden. Oft ging es | |
| um rein wirtschaftliche Interessen: Lene Jürgens etwa besaß Land, das | |
| mehrere Bauern der Umgebung haben wollten. Die Frau wurde beschuldigt und | |
| brannte – angeblich stammte das Holz für ihren Scheiterhaufen von dem Land, | |
| um das es ursprünglich ging. „Missgunst, Neid, Habgier – es muss kein | |
| Teufel im Spiel sein, das machen die Menschen schön selbst“, sagt Nielsen. | |
| Bereits in den 1980er-Jahren arbeitete die Wissenschaftlerin Dagmar | |
| Unverhau die Geschichte der Schleswiger Hexen auf, auch damals gab es | |
| Versuche, sie zu rehabilitieren. Beim zweiten Mal soll es klappen. Die | |
| Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Karin Petersen-Nißen, will die | |
| Ausstellung ins Rathausfoyer holen: „Man muss über das Thema aufklären und | |
| die Menschen mitnehmen“, sagt sie. So könnte vielleicht auch der Stadtrat | |
| interessiert werden: „Es ist ein Tabuthema, weil es Ausgrenzung betrifft. | |
| Damit beschäftigt sich keiner gern“, sagt Petersen-Nißen. Daher sei es | |
| wichtig, dass sich die ehrenamtliche Gruppe der Frage angenommen habe. | |
| Das Fernziel der Gruppe ist, dass die Stadt ihre Schuld anerkennt und die | |
| Hexen – und sei es symbolisch – freispricht. Denkbar wären die Umbenennung | |
| einer Straße, eine Erinnerungstafel oder ein „Stolperstein“ auf dem Markt. | |
| Vielleicht lohnt es sich sogar für die Stadt: Caterina Eggerdes soll | |
| Schleswig verflucht und einen Krug mit einem Schadzauber vergraben haben. | |
| Würde ihre Ehre wiederhergestellt, könnte das den bösen Zauber lösen. | |
| 11 Mar 2014 | |
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