# taz.de -- Auch dicke Frauen sind schön: „Ja, man sieht meinen Bauch“ | |
> Katrin Lange liebt Mode. Sie trägt Kleidergröße 54. Aber „Fat Acceptance… | |
> ist in Deutschland noch nicht vorgesehen. | |
Bild: Katrin Lange betreibt ein Modeblog und fühlt sich als dicke Frau mittler… | |
Die ersten Fotos für ihren Blog schoss Katrin Lange mit ihrer | |
Spiegelreflexkamera, einem Stativ und dem Selbstauslöser. Mit der Zeit | |
wanderte das Set aus ihrem Zimmer in den Garten hinter dem Haus und | |
schließlich auf das Dach ihrer Universität oder in die Bielefelder | |
Einkaufsstraße – und so in die Öffentlichkeit. Mit der Zeit formte sich in | |
Langes Kopf ein Gedanke: „Was wäre eigentlich, wenn ich anfangen würde, | |
mich zu akzeptieren?“ | |
Es ist ein einfacher Gedanke. „Aber er schlug in meinem Kopf ein wie eine | |
Bombe“, sagt Lange. Ein Foto zeigt sie an einem sonnigen Tag auf der Treppe | |
vor einer Haustür. Schwarze Hose, ein schmaler, weißer Gürtel, dazu ein | |
ärmelloses schwarzes Top und eine pastellfarbene Chiffonbluse, die ihren | |
Körper locker umspielt. Die Kleider haben die Größe 54. | |
Es ist nur eines von vielen Fotos auf Langes Modeblog „Reizende Rundungen“. | |
Die studierte Grafikdesignerin ist 26 Jahre alt, kommt aus Bielefeld, ist | |
Fat-Acceptance-Aktivistin und bloggt seit 2009 über Plus-Size-Mode. Dabei | |
präsentiert Lange nicht nur die neusten Trends und ihre liebsten | |
Modelabels. Sie bloggt über Selbstliebe. Darüber, dass auch dicke Menschen | |
ein Recht darauf haben, ein zufriedenes Leben zu führen. Denn Mode, da ist | |
Lange sicher, kann politisch sein. | |
„Ja, ich weiß, man sieht meinen Bauch ziemlich sehr doll in dieser Hose“, | |
schreibt Lange unter dem Foto. „Aber ich habe beschlossen, dass mir das | |
egal sein kann.“ Dieses Selbstbewusstsein ist bei Menschen mit ihrem | |
Körperumfang keinesfalls die Regel. „Die Schönheitsnormen unserer | |
Gesellschaft sind super engstirnig, vor allem für Frauen“, sagt Lange. | |
Schönsein, das wird allzu oft gleichgesetzt mit Glücklichsein, mit | |
Erfolgreichsein, mit Geliebtwerden. | |
Wer dick ist, ist faul, bewegt sich nicht, isst nur bei McDonald’s – so | |
lauten die gängigen Vorurteile. In einer Studie des Integrierten | |
Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) Adipositas-Erkrankungen in | |
Leipzig von 2012 nahm die Mehrheit der Befragten nicht nur an, dass | |
Fettleibigkeit generell selbst verschuldet sei. Sie bewerteten dicke | |
Menschen auch in Bezug auf ihren Charakter besonders negativ. | |
„Jeder glaubt, er hätte das Recht, mich öffentlich auf meine Gesundheit | |
anzusprechen“, sagt Lange. Dabei wüssten diese Menschen weder etwas über | |
ihren Lebensstil, noch würden sie sich um die Gesundheit anderer Fremder | |
kümmern – etwa um die des Rauchers, der ihnen auf der Straße begegnet. | |
„Etwas an mir stört sie“, sagt Lange. „Sie trauen sich aber nicht, zu | |
sagen: ‚Du bist fett und hässlich’.“ Neuere IFB-Studien zeigen, dass die | |
anhaltende Stigmatisierung sich oft im Selbstbild dicker Menschen | |
widerspiegelt, etwa in Form starker Minderwertigkeitsgefühle. In der Folge | |
ziehen sich viele Betroffene aus der Öffentlichkeit zurück. „Jahrelang habe | |
ich mich nicht getraut, in der Öffentlichkeit zu essen“, weiß auch Lange zu | |
berichten. | |
Schon als Kind war sie dicker als andere Kinder in ihrer Klasse. Nicht, | |
weil sie faul war: Mit zehn Jahren war Lange Mitglied in der | |
Rettungsschwimmergesellschaft, zwei Mal in der Woche ging sie zum Training. | |
Trotzdem war sie überzeugt davon, unsportlich zu sein. | |
Ihre ganze Jugend über litt Lange unter ihrem Körper, quälte sich mit | |
Kohlsuppendiäten und Weight-Watchers-Programmen. | |
Ich habe mir immer gesagt: Irgendwann bin ich dünn, und dann wird mein | |
ganzes Leben besser.“ Doch die Diäten scheiterten, die Pfunde waren bald | |
wieder drauf und das Selbstwertgefühl noch tiefer im Keller. | |
## Schwarzes, knielanges Kleid | |
Dann kam das Jahr 2009 und damit das Abitur. Lange brauchte ein Kleid für | |
den Abschlussball. Im Internet stieß sie das erste Mal auf | |
Plus-Size-Modeblogs aus den USA und Großbritannien. Auf Deutsch gab es | |
solche Blogs damals noch kaum. „Das war eine ganz neue Welt“, sagt Lange | |
und lacht. Plötzlich sah sie, dass auch dicke Frauen schöne Kleider tragen | |
können; dass es schöne Kleider für dicke Frauen überhaupt gibt. | |
Lange begann, selbst Modefotos von sich ins Netz zu stellen. Zunächst war | |
das alles andere als ein gutes Gefühl. „Am Anfang fand ich mich auf 90 | |
Prozent der Fotos immer noch hässlich oder zu dick oder falsch“, sagt sie. | |
Doch mit der Zeit habe sich das geändert. Nicht zuletzt, weil ein guter | |
Freund mit Erfahrung die Kamera in die Hand nahm – und Lange sich quasi | |
durch seine Augen sah. „Das hat am Ende viel dazu beigetragen ein ganz | |
anderes Bild von meinem Körper zu bekommen.“ | |
Ein anderes Foto. Lange steht in einem schwarzen, knielangen Kleid auf | |
einem Kiesweg. Neben ihr blühen die Büsche, über ihr leuchtet das saftige | |
Grün eines Baumes. Lange trägt keine Strumpfhose. Gefühlt ist das eine | |
kleine Revolution. Im Sommer 2014 sei es ihr das erste Mal egal gewesen, | |
„ob Leute meine Beine sehen wollen oder nicht“. | |
Unsere Schönheitsnormen sind unerbittlich. Frauen sollen große Brüste und | |
einen kurvigen Po haben, aber bloß keinen Bauch. Lange Haare auf dem Kopf, | |
aber sonst nirgends. Und fast kein realer Mensch kann heranreichen an die | |
Idealkörper, die uns jeden Tag auf unzähligen Kanälen begegnen. „Es gibt | |
absurd viele Dinge, die an einem Menschen äußerlich ‚falsch‘ sein können… | |
sagt Lange. „Zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, zu viele Falten. Das kann | |
jeden treffen.“ | |
Wie im wahrsten Sinne des Wortes verrückt unsere medial geprägte | |
Körperwahrnehmung ist, zeigt sich da, wo auf Fotos Beine verlängert, Brüste | |
vergrößert, Nasen gerichtet werden und jede einzelne Hautfalte | |
wegretuschiert. Wo es Schönheits-OPs für Schamlippen gibt und Frauen mit | |
Kleidergröße 40 als Plus-Size-Models gelten. Für das eigene | |
Selbstwertgefühl sei es wichtig, sich mit medialen Bildern identifizieren | |
zu können, sagt Lange: „Was hätte ich als 16-Jährige dafür getan, dicke | |
Vorbilder wie Adele oder Beth Ditto zu haben.“ | |
## „Das kann eine dicke Frau nicht tragen“ | |
Die Fat-Acceptance-Bewegung entwickelte sich in den USA. Ende der 1960er | |
Jahre gründete sich dort die National Association to Aid Fat Americans | |
(NAAFA), um gegen die Diskriminierung dicker Menschen zu kämpfen und diesen | |
mehr Selbstwertgefühl zu geben. Die AktivistInnen wehren sich dagegen, dass | |
jeder dicke oder fette Körper automatisch auch als kranker Körper gesehen | |
wird. In Deutschland ist Fat Acceptance gerade erst in der Entstehung. Doch | |
neben Langes „Reizenden Rundungen“ gibt es inzwischen ein paar weitere | |
deutsche Blogs; etwa „Nimmersatt“ oder „Conservatory Girl“. | |
„Immer wieder kommt der Vorwurf, es gehe uns um eine Idealisierung des | |
Dickseins“, sagt Lange. Das sei Quatsch. Natürlich solle nicht jeder Mensch | |
dick sein. Es gehe darum, die ganze Spanne von Körpern zu akzeptieren – von | |
ganz dünn bis ganz dick. „Ich wünsche mir einen Laufsteg, auf dem neben | |
einer Size Zero auch eine 38, eine 42 und eine 54 laufen, und dass das | |
völlig normal ist.“ | |
Mit der Zeit wurde Lange immer mutiger, immer rebellischer. Sie will mit | |
den Normen brechen. Ihre Antwort auf das tagtägliche „Das kannst du als | |
dicke Frau doch nicht tragen“ ist ein klares „Doch, kann ich“. Und so | |
postet sie Fotos von sich in einer Korsage, im Querstreifenpulli, im Bikini | |
– nicht ohne auch über ihre Unsicherheit zu sprechen. Lange ist heute | |
glücklich damit, wer sie ist und wie sie aussieht. Gerade lebt sie in | |
Großbritannien und legt eine Pause auf ihrem Modeblog ein. „Ich würde gerne | |
zurückkehren zu meinem 16-jährigen Ich und mir sagen: Du wirst auch noch | |
glücklich sein.“ | |
## Widerwärtigkeiten von Maskulinisten | |
Das, was dicken Menschen entgegenschlägt, ist oft alles andere als harmlos. | |
„Hass ist ein starkes Wort, das will ich eigentlich nicht benutzen“, sagt | |
Lange. Und doch: Bei manchem, was sie erzählt, drängt dieser Begriff sich | |
auf. Da ist etwa der Blogeintrag von Detlef Bräunig, einem selbsternannten | |
Maskulinisten und Unterhaltspreller. Grundtenor seiner Beiträge: Frauen | |
sind zum Vögeln da, ansonsten sind sie vor allem eine Last. | |
Im Oktober 2014 schrieb Bräunig über dicke Frauen. So einen „Trümmer“ ha… | |
er sich auch mal „gehalten“. Dadurch sei sein „Spermahaushalt stets im | |
optimalen Gleichgewicht“ gewesen. Es sei jedoch schwierig, diese | |
verzweifelten dicken Frauen wieder loszuwerden. Peinlich werde es, „wenn | |
der Sandsack flennend in die Firma rennt und einen dort sucht“. Nachdem | |
Bräunig sich mehrere Absätze lang in seiner Misogynie gesuhlt hatte, | |
erwähnte er Lange und empfahl seinen Lesern, sich auf ihrem Blog mal an | |
einer „jungen und fetten Dame“ zu „ergötzen“. | |
Mehr als zwei Wochen brauchte Lange, um die Beleidigungen zu entfernen, die | |
Männermagazin-Leser unter so gut wie jedem ihrer Fotos hinterließen. Von | |
„fette Bratze“ bis „Wer mit der Sex hat, zieht sich doch alle möglichen | |
Krankheiten zu“ hätten die Kommentare gereicht. „Das war ein kaum | |
vorstellbares Level von Widerwärtigkeit“, sagt Lange. Solche Kommentare | |
seien für dicke Frauen, die sich im Internet zeigen, tagtägliche | |
Beleidigungen. Sie habe gelernt, damit umzugehen – „aber das sollte man | |
nicht lernen müssen“. | |
12 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
## TAGS | |
Körper | |
Frauen | |
Übergewicht | |
Familie | |
Heidi Klum | |
Gossip | |
Magersucht | |
Feminismus | |
Ehe | |
Übergewicht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Familienstudie der AOK: Deutschland wird immer fetter | |
Die AOK hat 5000 Eltern zu ihren Gewohnheiten befragt, um Aussagen über | |
Familiengesundheit zu treffen. Doch die Studie ist nicht differenziert | |
genug. | |
Hashtag gegen Germany's Next Topmodel: Heidi kriegt ihr Fett weg | |
Feministinnen rufen auf Instagram zu einer Kampagne gegen Heidi Klums Show | |
auf: #NotHeidisGirl wehrt sich gegen normierte Schönheitsideale. | |
Beth Ditto in Berlin: Treffen der Diversitätlichkeiten | |
Geburtstagsständchen und Mehrgenerationentanz: Ex-Gossip-Sängerin Beth | |
Ditto stellt ihr erstes Soloalbum „Fake Sugar“ im Huxleys vor. | |
Gesundheit in der Modebranche: Charta gegen Magermodels | |
Zwei französische Konzerne wollen Models mit Größe 32 vom Laufsteg | |
verbannen. Grundsätzlich soll mehr auf Gesundheit geachtet werden. | |
Sexismus in Social Media: Zu dick für Facebook | |
Das Bild eines Plus-Size-Models wird gelöscht, weil sich Nutzer_innen | |
schlechtfühlen könnten. Die Körper dicker Frauen sind auf Facebook | |
„unerwünscht“. | |
Über das Ende einer Partnerschaft: Gehen? Bleiben? Gehen? Bleiben? | |
Manche Frauen wollen weg von ihrem Mann. Aber innere und äußere Zwänge | |
halten sie immer wieder davon ab, sich zu trennen. | |
Übergewichtige werden stigmatisiert: Spießrutenlaufen für Dicke | |
Für Übergewichtige hat die Ausgrenzung Folgen: Sie haben ein erhöhtes | |
Risiko, an Depressionen oder Angststörungen zu erkranken. |