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# taz.de -- Psychologie im Asylpaket II: Diagnosen unter Verdacht
> Bescheinigungen von Psychotherapeuten schützen Flüchtlinge nicht mehr vor
> Abschiebung. Damit wird ein Berufsstand degradiert.
Bild: Im Irak erhalten Geflüchtete Yogastunden gegen Kriegstraumata – in Deu…
Dieser Ton in einer Gesetzesbegründung ist neu. Man hört darin das
Vorurteil, ja das Misstrauen gegenüber Bescheinigungen, die Flüchtlingen
angeblich mal eben eine traumatische Belastungsstörung attestieren. Um sie
damit vor der Abschiebung zu bewahren. Im Asylpaket II heißt es dazu in
sperrigem Behördendeutsch: „Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden
insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen
psychischer Art (zum Beispiel Posttraumatische Belastungsstörungen) sehr
häufig als Abschiebehindernis geltend gemacht, was in der Praxis zu
deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt“. Im
Klartext: Psychiatrische Diagnosen werden instrumentalisiert, um Vorteile
für Flüchtlinge zu erlangen.
In der Begründung des Gesetzes zum Asylpaket II bezieht man sich dabei auf
den Bericht einer Unterarbeitsgruppe „Vollzugsdefizite“. Dieser Bericht
wiederum greift eine Erhebung aus Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 2011
mit 184 Flüchtlingen auf, wonach Abschiebungen häufig aus medizinischen
Gründen ausgesetzt werden. Zu 70 Prozent werden dabei psychische
Erkrankungen ins Feld geführt, allen voran eine „posttraumatische
Belastungsstörung“ (PTBS).
Die empirische Basis des Missbrauchsverdachts ist also dünn bis gar nicht
vorhanden. Trotzdem greift die Regierungskoalition mit dem Asylpaket II
durch: Künftig sollen nur noch approbierte Ärzte, gleich welcher
Fachrichtung, Bescheinigungen zu medizinischen Abschiebehindernissen
verfassen dürfen. Psychologische Psychotherapeuten hingegen, die in den
psychosozialen Zentren der großen Städte Flüchtlinge beraten und behandeln,
werden von diesen Stellungnahmen künftig ausgeschlossen.
„Das ist eine echte Verschärfung“, sagt Oda Jentsch, Anwältin für
Aufenthaltsrecht aus Berlin. Auch die Bundespsychotherapeutenkammer
protestiert. „Es ist bislang ständige Rechtsprechung, dass
Psychotherapeuten aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation befähigt sind,
insbesondere in asylrechtlichen Verfahren psychische Erkrankungen zu
diagnostizieren“, versichert Kammersprecher Kay Funke-Kaiser. Und Eva van
Keuk, psychologische Psychotherapeutin am Psychosozialen Zentrum für
Flüchtlinge in Düsseldorf, kündigt an: „Wir werden unsere fachlichen
Stellungnahmen weiterhin abgeben. Man wird sehen, wie die Ausländerbehörden
dann darauf reagieren.“
## Es zählt nur die Leidensgeschichte
Im Zentrum des Streits steht die PTBS, die sich nach Gewalterfahrungen
entwickeln und mit Panikattacken, Schlafstörungen, Depressionen und
Suizidgedanken einhergehen kann. Sie ist in der Fachwelt definiert, nicht
zuletzt als Krankheitsbild bei vom Auslandseinsatz zurückgekehrten
Bundeswehrsoldaten. Die PTBS soll künftig kein Abschiebehindernis mehr
sein. Eine „schwerwiegende Erkrankung“, die sich durch die Abschiebung
„wesentlich verschlechtern“ könnte und somit ein Hindernis wäre, könne in
Fällen von PTBS „regelmäßig nicht angenommen werden“, heißt es in der
Begründung zum Asylpaket II. Das heißt: Die seelischen Belastungen der
Flüchtlinge werden kleingeredet, obwohl die Zahlen aus Erhebungen etwas
anderes sagen.
Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge hat im Herkunftsland oder auf der
Flucht Gewalt gegen die eigene Person erlebt, mehr als jeder zweite hat
Leichen gesehen. Die aktuelle Situation verstärkt den Stress: Man wartet
ohne Arbeit und mit wenig Geld in einem fremden Land auf irgendwelche
Erlaubnisse oder Duldungen oder eben Abschiebeandrohungen der Behörden.
Jeder Deutsche in einer solchen Situation des Ausgeliefertseins, der
verzweifelt ist, würde hierzulande sofort eine Psychotherapie bekommen.
Aber, und das ist der Punkt: Der Albtraum vieler Asylpolitiker ist genau
dieser Schutzbedarf, den man ahnt, wenn man Flüchtlinge nach dem gleichen
Maßstab für psychische Belastungen messen würde wie die einheimische
Bevölkerung. Zumal zu jeder Behandlung noch die Kosten für Dolmetscher
dazugerechnet werden müssten.
Das heißt nicht, dass abgelehnte Asylbewerber nicht auch versuchen würden,
die psychologische Diagnostik zu nutzen, um einen Verbleib in Deutschland
zu erreichen. Dies liegt an der perversen Situation der Flüchtlinge selbst:
Ihr Kapital, um eine Anerkennung in Deutschland zu bekommen, sind nicht
ihre Fähigkeiten. Sondern es ist einzig und allein ihre Leidensgeschichte.
Doch auch wenn es solche Ausnutzungsversuche gibt, kann man nicht den
Berufsstand der Psychologen und dessen Diagnostik in toto deklassieren.
## Politisch motivierte Vorwürfe
Entfernt erinnert dies an die Degradierung der nichtärztlichen
Psychotherapeuten zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Die
Wehrmachtspsychologen waren vor allem bei der Luftwaffe tätig und wurden in
ihren Entscheidungsmöglichkeiten zu kriegsbedingten Erkrankungen und deren
Behandlungen immer mehr beschränkt – zugunsten der Militärpsychiater, die
drakonische Disziplinierungen forderten und die „Kriegsneurotiker“ als
charakterschwach darstellten. Der ranghöchste Militärpsychiater Otto Wuth
bezeichnete die geisteswissenschaftliche Psychologie als „eine Gefahr für
die Medizin“. Die Sorge der Militärpsychiater bestand darin, dass
nichtärztliche Psychotherapeuten Tausenden von traumatisierten Soldaten
eine vorzeitige Entlassung aus dem Wehrdienst ermöglichen könnten.
Die Zeiten sind heute sicher andere, aber der Vorwurf an die Psychologie,
„schwer überprüfbar“ zu sein und eine interessengeleitete Diagnostik
abzuliefern, wird weiterhin geäußert. Genau dieser Vorwurf war aber
wiederum immer auch selbst von politischen Interessen bestimmt.
Letztlich geht es der Regierungskoalition heute darum, mit dem Asylpaket II
die Zahl der Flüchtlinge, auch die Zahl der abgelehnten Asylbewerber, die
nur eine Duldung besitzen, in Deutschland zu reduzieren und den
Schutzbedarf von Flüchtlingen kleinzureden, um Geld zu sparen.
Vielleicht wäre es ehrlicher, dies auch offen zu sagen, als eine Branche
abzuwerten, deren Diagnostik längst breit anerkannt ist. Aber eben nur,
wenn sie die einheimische Bevölkerung betrifft.
15 Mar 2016
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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