| # taz.de -- Heim für traumatisierte Flüchtlinge: Verunsichert und verschreckt | |
| > Im Refugium in Berlin-Reinickendorf wohnen schwerkranke und | |
| > traumatisierte Flüchtlinge. Die Plätze reichen aber nicht für den Bedarf. | |
| Bild: Pflegt den Kontakt zur Basis: Aydan Özoguz in einem Flüchtlingsheim im … | |
| Berlin taz | Im Flur hängen Bilder vom kurdischen Newroz-Fest, von einem | |
| Ausflug in einen Tierpark und vom Erntedankfest, man sieht fröhliche | |
| Gesichter. „Auch die Sternsinger waren bei uns“, erzählt die Leiterin des | |
| Refugiums, Clauda Da Silva. An der Wand hängen aber auch Termine für eine | |
| psychologische Sprechstunde, für Berufsberatung und Hausaufgabenhilfe. | |
| „Alle Kinder hier gehen in die Schule“, sagt da Silva. Auf einem weiteren | |
| Aushang wird der Besuch der Staatsministerin für Integration, Aydan Özoguz, | |
| angekündigt, mit Foto. | |
| Dem Amt nach ist Özoguz die Beauftragte für die Flüchtlingspolitik, im | |
| Kanzleramt hat sie ihr Büro. Doch weil die Flüchtlingspolitik zur Chefsache | |
| geworden ist, zu der sich alle und jeder zu Wort melden, steht die | |
| SPD-Politikerin im Schatten der Kanzlerin und ihres eigenen Parteichefs, | |
| Sigmar Gabriel. Beide haben sie Peter Altmaier (CDU) zum Koordinator der | |
| Flüchtlingspolitik ernannt, er ist ihr Nachbar im Kanzleramt. Özoguz | |
| kümmert sich eher um die Mühen der Ebene: Sie pflegt den Kontakt zur Basis, | |
| etwa zu den Wohlfahrtsverbänden und den Ehrenamtlichen. Darum ist sie an | |
| diesem Tag hier. | |
| Das Marie-Schlei-Haus in Berlin-Reinickendorf ist ein Refugium für | |
| besonders schutzbedürftige Flüchtlinge – die erste Einrichtung dieser Art | |
| in Berlin. Sie beherbergt derzeit über 170 Personen, davon 48 Frauen, 46 | |
| Männer und 78 Kinder. Die meisten sind hier, weil sie schwere Erkrankungen | |
| haben oder schwer traumatisiert sind – Frauen, die vergewaltigt und | |
| gefoltert wurden, Kinder, die Krebs haben, oder Männer, die psychisch | |
| erkrankt sind. „Wir sind eine Mischung aus Krankenhaus und Psychiatrie“, | |
| sagt Da Silva. | |
| Früher ein Pflegeheim für Behinderte, wurde die Einrichtung 2013 zum | |
| Flüchtlingsheim umgewidmet. Die Bewohner kommen aus Krankenhäusern, | |
| Wohnheimen und Psychiatrien hierher, in Absprache mit dem zuständigen | |
| Berliner Landesamt (Lageso). Die meisten wohnen bereits mehr als ein Jahr | |
| hier, manche von Anfang an. | |
| Im Idealfall verlassen sie das Heim, wenn sie eine Wohnung finden, im | |
| schlechtesten Fall, wenn sie abgeschoben werden. Aber die Fluktuation ist | |
| gering und die Warteliste sehr lang. „Der Bedarf ist weitaus höher, die | |
| Plätze reichen nicht aus“, sagt Da Silva. Doch auch die Bürokratie sorgt | |
| für Probleme: Schon oft hätten dringende Operationstermine verschoben | |
| werden müssen, weil irgendein Stempel fehlte. Eine Gesundheitskarte, hofft | |
| Özoguz, könnte hier für Erleichterung sorgen. | |
| ## Gegen den Generalverdacht | |
| „Die politischen Debatten wirken sich konkret auf unsere Arbeit vor Ort | |
| aus“, sagt Manfred Nowak, der Leiter des AWO-Kreisverbands Mitte. Dass in | |
| Berlin im Oktober ein Flüchtlingskind entführt und ermordet wurde, hat | |
| viele Eltern verunsichert und verschreckt. Und als über die Einstufung | |
| Afghanistans als „sicheres Herkunftsland“ debattiert wurde, gab es Proteste | |
| von AWO-Mitarbeitern. „Die Flüchtlinge sind gut vernetzt und bekommen mit, | |
| was besprochen wird“, sagt Nowak. Auch die Pläne, den Familiennachzug | |
| einzuschränken, sorgten zuletzt für Unruhe. Özoguz ist strikt dagegen: „Das | |
| würde erst recht eine Sogwirkung entfalten und zu noch mehr Bildern von | |
| toten Kindern im Mittelmeer führen“, ist sie überzeugt. | |
| Zu den Übergriffen in Köln sagt Özoguz: „Es steht zu befürchten, dass die | |
| Flüchtlinge für die Übergriffe verantwortlich gemacht werden.“ Aber es | |
| dürften nicht alle zu potenziellen Kriminellen abgestempelt werden. Ihre | |
| Forderung: „Bitte einen kühlen Kopf bewahren und nicht unter | |
| Generalverdacht stellen.“ Es sei wichtig, herauszufinden, ob es sich um | |
| eine neue, perfide Art der organisierten Kriminalität handle und wie die | |
| Täter zur Verantwortung gezogen werden könnten. | |
| Für die lauten Töne in der Debatte sind andere in der Regierung zuständig. | |
| 8 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bax | |
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