# taz.de -- Portrait Stefan Mappus: Der Geprügelte | |
> Bei der Wahl 2011 war der CDU-Mann der große Verlierer. Dann folgte eine | |
> Zeit voller Schmäh von der eigenen Partei. Wie geht es ihm heute? | |
Bild: Am Ende klagte er gegen seine Anwälte: Stefan Mappus im Oberlandesgerich… | |
Seine Hände ruhen auf den Armlehnen des wuchtigen Hotelsessels, die Beine | |
sind im rechten Winkel aufgestellt. Stefan Mappus sitzt wie auf einem | |
Thron. Seit fast zwei Stunden schon. Der Kaffee, schwarz, ist kalt | |
geworden, das Wasser, Sprudel, noch fast voll. | |
Mappus spricht von damals, 2011, und von heute. Er sei überzeugt, sagt er, | |
dass manche in seiner Partei und manche Journalisten von ihm einen | |
Politikertyp gezeichnet haben, den es so nie gab. Brachial nannte man ihn | |
oder Rambo. Dann aber sagt Mappus: „In der Gesamtschau hatte ich sehr viel | |
Glück im Leben.“ | |
Stefan Mappus war mal CDU-Ministerpräsident in Baden-Württemberg, einer der | |
jüngsten. Und derjenige mit der kürzesten Amtszeit: 15 Monate. Er hatte das | |
Amt von Günther Oettinger übernommen und von ihm auch Stuttgart 21 geerbt. | |
Mappus war Ministerpräsident, als Polizisten einem Demonstranten mit | |
Wasserwerfern den Augapfel aus dem Gesicht spülten. Und er führte | |
Wahlkampf, als ein Tsunami über Fukushima zog und Merkel dazu bewegte, | |
deutsche Atomkraftwerke abzuschalten. | |
Bis heute streiten CDU-Anhänger darüber, wer denn nun schuld daran war, | |
dass ihre Partei nach 58 Jahren die Regierung des Landes verlor, | |
ausgerechnet an die Grünen: Mappus oder Fukushima? Der Mann, der wuchtigen | |
Bauch zu gegelten Haaren trug oder eine der größten Umweltkatastrophen in | |
der Geschichte der Menschheit? | |
Klar aber war: Politisch zu verantworten hatte diese historische Niederlage | |
Mappus. Was macht so ein Karriereende mit einem Menschen? | |
Aus der Staatskanzlei in ein Start-up | |
Mappus erfährt per E-Mail, dass die taz ihn gerne treffen würde. Dass er | |
überrascht sei, schreibt er zurück. Er stimmt einem Telefonat zu. Dann | |
einem Treffen, aber nicht in München, seinem Arbeitsort, auch nicht an | |
seinem Wohnort. Er wählt eine neutrale Stadt, Düsseldorf. | |
Inzwischen macht Mappus in IT, Big Data. Er ist Vorstandsmitglied in der | |
Firma. Ein bisschen, sagt er, fühle es sich wie in einem Start-up an, mit | |
all den jungen Leuten. Er ist der Netzwerker nach außen, kümmert sich um | |
Partnerfirmen, deshalb kommt er an diesem Tag auch aus Köln, bleibt nur für | |
ein Mittagessen mit einem Unternehmensberater in Düsseldorf, nachmittags | |
geht’s nach Marburg, dann Stuttgart. Zwei bis drei Tage in der Woche ist er | |
in München, in der Geschäftsstelle seines Unternehmens. Das wächst und soll | |
bald 300 Mitarbeiter haben. Spannend, nennt Mappus es, dort zu arbeiten. | |
Ruhig und vermittelnd nennen sie ihn im Unternehmen. Auch das ist spannend. | |
Es gibt Politiker, die sind besonders beliebt in ihrer Partei, und jene, | |
die von der Bevölkerung geliebt werden. Und es gibt Politiker wie Mappus, | |
die anstrengend sind, laut – und es trotzdem oder gerade deshalb weit | |
bringen. | |
Mit 23 zog er in den Gemeinderat Mühlacker ein, mit 32 wurde er | |
Staatssekretär, dann Minister, Fraktionschef und schließlich mit 43 | |
Ministerpräsident. Das Parlament sei immer etwas ganz Besonderes gewesen, | |
sagt Mappus. Nach seiner Abwahl sagten viele, es sei ihm nur um Macht | |
gegangen. | |
Gegen Bürger kann selbst Mappus keine Schlacht schlagen | |
Mappus positionierte sich rechts von der Parteimitte, trat für den Schutz | |
ungeborenen Lebens ein, für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, für | |
Atomkraft. Er hatte es abgelehnt, dass homosexuelle Paare sich in | |
Standesämter trauen lassen dürfen. Bis heute spricht er gerne über Franz | |
Josef Strauß. | |
In seiner Regierungszeit aber trieben ihn Skandale. Erst Steuer-CDs, dann | |
Stuttgart 21. Dessen Bau war bei Mappus’ Amtsantritt längst entschieden, | |
nur hatten seine Vorgänger unterschätzt, wie rasant Protest wachsen kann. | |
Der schwarze Donnerstag, der gewaltsame Polizeieinsatz gegen Demonstranten, | |
die zum großen Teil Schüler, Rentner, ganz normale Bürger waren, verlangte | |
Mappus eine Entscheidung ab, die so gar nicht zu ihm passte. | |
Er konnte nicht mehr gewinnen, indem er laut ist und Schlachten schlägt. Es | |
ging nicht darum, politische Gegner zu erledigen, sondern die Bevölkerung | |
zurückzugewinnen. Mappus musste sich mit Vertretern der Bahn und | |
S21-Gegnern in ein Schlichtungsverfahren setzen und von Heiner Geißler | |
öffentlich belehren lassen. Wie die Schulbuben, sagt er heute. Der Erfolg | |
war mäßig: Etliche Kompromisse hat die Bahn nie umgesetzt. | |
Sein größter Fehler aber war ein anderer: Der Kauf von Anteilen am | |
Energieversorger EnBW, den seine Regierung am Parlament vorbei eingefädelt | |
hatte. Dem französischen Stromkonzern Électricité de France (EDF) hatten | |
45,1 Prozent des Unternehmens gehört. EDF signalisierte, sie verkaufen zu | |
wollen. | |
Freunde halten zusammen – die CDU nicht | |
Mappus sagte damals, er habe verhindern wollen, dass unliebsame | |
Großaktionäre einsteigen und deshalb schnell gehandelt. Sein Freund Dirk | |
Notheis, ein Mitarbeiter der Bank Morgan Stanley, beriet ihn dabei. Er soll | |
es auch gewesen, der vorschlug, dass Parlament zu umgehen. | |
Doch der Landesrechnungshof warf Mappus vor, einen unverhältnismäßig hohen | |
Preis gezahlt zu haben. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn wegen Untreue an. | |
Die neue Regierung setzte einen Untersuchungsausschuss ein. 15 Mitglieder | |
untersuchten in 135 Sitzungsstunden und 51 Zeugenbefragungen die | |
Rechtmäßigkeit des Kaufs. Bis heute ist Mappus mit Gerichtsverfahren | |
beschäftigt. Am Ende hatte er sogar seine eigenen Anwälte verklagt. | |
In Düsseldorf sitzt nun ein Mann, der so gar nicht mehr angriffslustig | |
klingt. Mappus spricht langsam. Nie klingt er abfällig – aber wie einer, | |
der bis heute nicht versteht, was ihm widerfahren ist. „Es hat immer eins | |
gegolten bei der CDU in Baden-Württemberg: Wenn’s eng wird, halten wir | |
zusammen.“ Die Wahrheit aber ist: Zusammengehalten hat die Partei nur gegen | |
Mappus. | |
Am Tag nach der Landtagswahl hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel Mappus | |
mitfühlend auf die Schulter geklopft. „Arme Sau“ nannte ihn ein | |
Präsidiumsmitglied. Doch schon ein halbes Jahr später war er wie eine | |
Persona non grata seiner Partei. | |
Es gehört zum Spiel der Verbliebenen: sich nach so einer Wahl abzusetzen, | |
um zu überleben. Mappus aber glaubt, mit ihm seien manche besonders hart | |
umgegangen. Er nimmt es seinen früheren Parteikollegen übel. „Wie einige | |
daran mitgewirkt haben, mich zum Großkriminellen machen zu wollen.“ Andere | |
die er für Parteifreunde hielt, haben nicht interveniert. | |
Nicht auf der Gästeliste | |
Dabei scheinen andere gescheiterte Parteifunktionäre in der Union längst | |
rehabilitiert: Horst Seehofer bringt Karl-Theodor zu Guttenberg als seinen | |
Nachfolger ins Gespräch, Christian Wulff ist bei internen | |
Parteiveranstaltungen zu Gast. Und Mappus? Wer will ihn? | |
Vergangenen Mai gab es Grund zu feiern, in Mühlacker, dem Ort, in dem | |
Mappus seine politische Karriere im Stadtrat begonnen hatte. Eine | |
Gartenschau wurde eröffnet. Dass sie stattfindet, hatte noch Mappus’ | |
Ministerrat entschieden. Trotzdem stand er nicht auf der Gästeliste. Man | |
hatte ihn vergessen, sagt Günter Bächle, CDU-Gemeinderat im Ort. | |
Bächle galt früher als Förderer von Mappus und sagt, die aktuelle | |
Landesführung werde sich noch die „Finger nach dem Ergebnis lecken“, dass | |
Mappus bei seiner Abwahl bekommen hatte. 39 Prozent. Aktuell sehen Umfragen | |
die CDU bei knapp 30 Prozent. Bächle war es, der die fehlende Einladung zur | |
Gartenschau bemerkte und Mappus noch einlud. Dann schlug er ihm vor, seinen | |
alten Ortsverband mal wieder zu besuchen. | |
Günter, bist du sicher, dass das eine gute Idee ist, hatte Mappus ihn | |
gefragt. | |
Comeback im Musikhaus | |
Dann stand er im Januar im Musikhaus in Mühlacker. Neujahrsempfang des | |
Stadtverbandes, über 100 Gäste. Sie mussten noch zusätzliche Stühle | |
aufstellen, sagt Mappus. Und dass es wie früher war. Zu reden. Zu | |
beobachten. Zu testen. Worauf reagieren die Zuhörer? Mappus sprach über | |
Europa, forderte gegenseitige Rücksichtnahme der Mitgliedstaaten, warnte | |
vor Gefahren für die EU. | |
Mappus redet jetzt gerne über Geschichte. Nur wer Geschichte versteht, | |
glaubt er, kann gute Politik machen. Deshalb ist ihm wichtig, was war. Und | |
nein, für ein politisches Amt stehe er noch nicht zur Verfügung. Es hat ihn | |
aber auch noch niemand danach gefragt. | |
Stefan Mappus liest nun wieder viel. Am liebsten Biografien. Zuletzt | |
beeindruckte ihn die von Steve Jobs, dem Apple-Gründer. „Nach allem was man | |
hört, war er nicht einfach. Aber er war seiner Zeit voraus, hat gegen alle | |
Widerstände Dinge durchgesetzt, die sich als wegweisend herausgestellt | |
haben“, sagt Mappus. „Das bewundere ich sehr.“ | |
Anm. d. Red.: In einer früheren Version des Textes hieß es, EnBW habe Teile | |
von sich verkaufen wollen. Es war aber der französische Stromkonzern EDF, | |
der Teile von EnBW verkaufen wollte. Danke für die Hinweise in den | |
Kommentaren. | |
12 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Christina Schmidt | |
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