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# taz.de -- Freie Syrische Armee: Von aller Welt verlassen
> Die gemäßigte Freie Syrische Armee ist totgesagt worden. Zwei ihrer
> Generäle aus Aleppo blicken dennoch optimistisch in die Zukunft.
Bild: Im Schutz des Waffenstillstands: Protestaktion in Aleppo am 7. März 2016
Gaziantep taz | Das Hauptquartier der Freien Syrischen Armee (FSA) in der
türkischen Stadt Gaziantep ist so gut versteckt, dass General Adeeb
al-Shaliaf Mühe hat, es zu finden. Durch den Hauseingang eines Bürogebäudes
geht es eine Treppe hoch. Im dritten Stock macht al-Shaliaf Halt und
überlegt, wo er klingeln muss. Eine Tür gleicht der anderen, nirgends hängt
ein Klingelschild, auf dem FSA steht. Nach kurzem Zögern drückt er einen
Knopf. Die Tür öffnet sich und General Abdul Jabbar al-Oqaidi öffnet.
Schnell fühlt sich das Büro mit dem Gefolge der beiden FSA-Generäle.
Al-Oqaidi ist der Vorsitzende des Militärrats der Rebellen in Aleppo,
al-Shaliaf befehligt die Freie Polizei in der von der Front zerissenen
zweitgrößten Stadt Syriens.
Zwar hat sich die Lage an der Front [1][seit der Feuerpause] entspannt.
Aber Russland hat ein Tag nach Inkraftteten des Waffenstillstands
verkündet, dass dieser nur in sechs Regionen Syriens gelte. Jener Teil von
Aleppo, in dem aus russischer Sicht Terroristen kämpfen, gehört nicht dazu.
Russlands Bomben könnten also jederzeit wieder in der Stadt einschlagen.
Al-Oqaidi und al-Shaliaf haben dennoch die Ruhe weg. Sie sagen, dass sie
alles tun werden, damit die Waffenruhe hält. Sie bezweifeln aber, dass sich
die Gegenseite an die Abmachung halten wird. Gleichwohl waren es die
Rebellen, die die Feuerpause im Vorfeld auf zwei Wochen begrenzt haben. Aus
ihrer Sicht ist die Lage bei einer Fortsetzung der Schlacht um Aleppo alles
andere als ausweglos. Die Situation in der Stadt sei gut, im Norden von
Aleppo sei es schwieriger, sagt al-Oqaidi.
## Von einer Belagerung kann keine Rede sein
Was an einer Lage gut sein kann, in der die Gegner den Rebellen die einzige
Versorgungslinie Richtung Türkei abgeschnitten haben, während die russische
Luftwaffe die Stadt monatelang ins Visier genommen hat, erklärt der
Rebellenkommandeur mit militärischer Nüchternheit. „Die Russen konnten
nicht direkt an den Frontlinien bombardieren, weil sie sonst auch die
Regimekämpfer getroffen hätten. Also hat uns das Bombardement nicht so
beeinträchtigt“, sagt er. Von einer Belagerung der Rebellen in Aleppo könne
keine Rede sein. „Wir werden die Stadt künftig vom Westen durch die Provinz
Idlib versorgen“, sagt Oqaidi.
Ein Blick auf den Frontverlauf genügt, um zu wissen, dass die Versorgung
Aleppos über Idlib durch Gebiete verlaufen würde, die entweder von der
Kurdenmiliz YPG kontrolliert werden oder in denen die PKK-nahen Verbände
vorrücken. Kann so ein Plan funktionieren?
Die YPG, sagt General Adeeb al-Shaliaf, sei nur eine russisch-iranische
Schöpfung. „Die Amerikaner werden das erkennen und ihre Unterstützung
einstellen. Sie wollen ja auch sicher die Turkei nicht als Alliierten
verlieren“, meint al-Shaliaf. Die FSA verlässt sich im Moment also auf die
Annahme, dass ihre Gegner an Stärke verlieren, weil sie Brüche in ihren
Allianzen vermutet.
## Konflikt mit der Kurdenmiliz YPG
Nichts schmerzt die Anführer der FSA in Aleppo so wie die Angriffe der
Kurdenmiliz YPG im Norden der Metropole. Im vergangenen Jahr schickte
General al-Oqaidi einige Truppen nach Kobane, um den Kurden im Kampf gegen
den „Islamischen Staat“ (IS) beizustehen. Seine Soldaten starben neben den
Kurden in dem verlustreichen Kampf Haus für Haus und Block für Block. „Wie
nennt man jemanden, dem du zur Hilfe gekommen bist in schweren Zeiten, und
der dir in den Rücken fällt, wenn andere dann über dich herfallen?“, fragt
ein Mitarbeiter von General al-Oqaidi.
Während die FSA die Türken „noch“ als Freunde wahrnimmt, werden die USA
noch nicht als Feind gewertet. Aber Verbündete seien sie auch nicht mehr,
sagt General Abdul Jabbar al-Oqaidi. Vielleicht erkärt sich das Zögern der
Amerikaner, die in der jetzigen brenzligen Lage eher auf die Kurden als auf
die FSA setzen, auch damit, dass kaum jemand weiß, wer derzeit in Aleppo
zur FSA gehört und wie bedeutend die einst größte bewaffnete Gruppe der
syrischen Opposition insgesamt noch ist.
Westliche Experten läuten schon seit Jahren das Totenglöckchen für die
moderaten Rebellen. Russland argumentiert, dass am Boden in Syrien nur noch
Terroristen gegen das Regime kämpfen würden. Terroristen, die zu vernichten
seien. General Abdul Jabbar al-Oqaidi schüttelt den Kopf. In seiner Stadt
gebe es nur 100 Kämpfer der Jabbat al-Nusra, die sich zu Al-Qaida bekennt.
„Das wird im Westen völlig falsch eingeschätzt. Die FSA ist in Aleppo und
auch sonst in Syrien immer noch die größte Gruppe im Widerstand“, behauptet
der General.
## Die FSA und die Safalisten
Auf die Frage, ob er auch die zahlenmäßig bedeutenden Salafisten der
Rebellengruppe Ahrar-al-Sham zur FSA zählt, schweigen General al-Oqaidi und
die anderen Vertreter der FSA betreten. „Nun ja, wir sind alle Muslime“,
sagt al-Oqaidi, der gerade noch vom zivilen Staat und einer Demokratie für
alle Syrer, egal welcher Glaubensrichtung oder Ethnie gesprochen hat.
Die beiden FSA-Generäle verleihen im Bruston tiefster Überzeugung ihrer
Ansicht Ausdruck, dass der Kampf der FSA weitergehe, egal, wie
international isoliert sie dasteht. General al-Shaliaf will wissen, dass
Flüchtlinge aus der Türkei zurückkehren würden, um mit der Waffe in der
Hand gegen die Feinde der FSA zu kämpfen. General al-Oquaidi nennt Vietnam
und Afghanistan als Beispiele für die künftige Strategie der FSA, sollte es
wieder nichts werden mit einer dauerhaften Feuerpause.
Das lässt aufhorchen. Der Kommandeur der moderaten Rebellen in Aleppo lobt
den Partisanenkrieg aus dem Untergrund heraus gegen einen militärisch
überlegenen Gegner. Bisher hielten die FSA und andere Rebellengruppen ganze
Gebiete unter ihrer Kontrolle. Außerdem solle Russland dazu provoziert
werden, mit Bodentruppen in die Schlacht einzugreifen, sagt al-Oqaidi.
## Das Beispiel der Résistance
Ob dieser Plan B einer langjährigen Zermürbung der Russen und des
Assad-Regimes durch einen Partisanenkampf aufgehen kann, würde letztlich
davon abhängen, ob sich in Syrien noch genügend Partisanen finden. Die
Massenflucht gerade der Sunniten aus Syrien legt nahe, dass diejenigen, die
es können,sich im Moment lieber retten wollen.
Abdul Faisal (Name geändert) sitzt ein paar Kilometer weit weg von der
ungewohnt ruhigen Front beim Tee und räsoniert über den französischen
Widerstand gegen die Nazis. „Die Résistance hat sich auch Freie Armee
genannt. Aber die Résistance hatte die Welt auf ihrer Seite“, sagt Faisal.
Der syrische Widerstand gegen Diktator Bashar al-Assad scheitere dagegen,
weil sich die regionalen und internationalen Mächte gegen die Revolution
stemmen würden. „Wir sind von aller Welt verlassen“, sagt Faisal.
Der ehemalige Kämpfer ist bereits zweimal desertiert. 2012 schloss sich der
Offizier der syrischen Armee in Homs der FSA an. 2015 wollte er dann sein
Leben nicht mehr riskieren will für eine Revolution, die aus seiner Sicht
zum Scheitern verurteilt ist. Über die damals noch durchlässigere Grenze
flüchtete er in die Türkei.
Von den Kameraden, die er damals im Stich ließ, scheinen ihn zumindest
einige wegen seiner Fahnenflucht nicht zu verachten. „Ich halte täglich
Kontakt zu einigen Leuten aus meiner Einheit. Viele wollen einfach nur
raus. Das ist ein Massaker“, sagt Faisal.
## Keine Unterstützung aus dem Westen
Angesprochen auf die Zuversicht der Generäle von Aleppo schnaubt er empört.
Die FSA habe sich selbst in eine katastrophale Lage manövriert. Ihn wundert
es nicht, dass für al-Shaliaf und al-Oqaidi nun auch die Salafisten der
Ahrar-al-Sham zur FSA gehören. „Die eine FSA hat es nie gegeben. Das waren
immer einzelne Gruppen, die mal von der einen, mal von der anderen
ausländischen Macht ihre Waffen bekommen haben. Deren Befehle mussten sie
dann auch befolgen“, sagt Faisal.
Der ehemalige Kämpfer gibt den Rebellen einen hässlichen Namen: Söldner. Im
Moment folgten diese Söldner den Befehlen ihrer ausländischen Herren, die
Waffen schweigen zu lassen. Faisal rechnet aber nicht damit, dass die
zahlreichen ausländischen Akteure bald die Konflikte beilegen werden, die
sie zum Stellvertreterkrieg in Syrien getrieben haben. Dann werden die
Kämpfe weitergehen.
„Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn wir Hilfe bekommen hätten, eine
funktionierende Kommandostruktur aufzubauen für eine Armee, die wirklich
für Syrien kämpft“, sagt Abdul Faisal. Die ehrliche Unterstützung vom
Westen, die Faisal sich gewünscht hätte, habe die FSA aber nie bekommen.
Der Westen, sagt er, wolle keine Demokratie in Syrien. Sein Traum von der
syrischen Résistance ist ausgeträumt.
8 Mar 2016
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## AUTOREN
Cedric Rehman
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