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# taz.de -- Debatte Bürgerkrieg in Syrien: Politik als Ausweg
> Die Opposition ist geschwächt, die Lage unübersichtlich. Eine politische
> Lösung wird ohne Assad als Übergangsfigur nicht auskommen.
Bild: Ohne Assad wird es nicht gehen. Diese Ansicht scheint sich durchzusetzen
Um den IS zu besiegen, ist es noch zu früh; schließlich ist er der perfekte
Feind, um die USA davon zu überzeugen, Baschar al-Assad an der Macht zu
lassen. Zunächst aber müssen alle Alternativen zum syrischen Regime
beseitigt werden. Auf diesen Gedankengängen basiert Putins Syrienstrategie.
Sie ist einfach, brutal – und verdammt effektiv. Tatsächlich gewöhnen sich
die Amerikaner, die einem größeren Engagement in Syrien zögerlich
gegenüberstehen, allmählich an den Gedanken, dass Assad die Übergangsfigur
für Syrien wird. Man muss nur zwischen den Zeilen der
amerikanisch-russischen Vereinbarung zur Waffenruhe lesen, in dem die mit
al-Qaida verbündete Al-Nusra-Front und all jene oppositionellen Kräfte, die
nicht unterzeichnen wollten, von der Waffenruhe ausgenommen sind.
Diese Regelung erlaubt den Russen, ihre Luftschläge gegen jene
Oppositionsgruppen fortzusetzen, die in den nordsyrischen Provinzen
Latakia, Idlib und Aleppo eine ernstzunehmende Bedrohung für das Regime
darstellen. Zum Beispiel die dschihadistische Al-Nusra-Front und die
Brigaden der salafistischen Miliz Ahrar al-Scham. Diese konnte sich noch
nicht zur Einhaltung der Feuerpause durchringen und könnte deshalb zum
legitimen Ziel für russische Luftschläge werden.
Al-Nusra und Ahrar al-Scham sind die treibenden Kräfte der
Anti-Assad-Front, die von Saudi-Arabien, der Türkei und Katar unterstützt
werden. Aufgrund ihrer militärischen Stärke hatten Beobachter vor einem
Jahr bereits auf Assads bevorstehende Niederlage gewettet. Doch nach der
Ankunft der Russen im September 2015 war plötzlich alles anders. Fünf
Monate voller grausamer und willkürlicher Luftschläge im Norden Syriens
kehrten den Trend um. Dazu trug auch die Unterstützung von irakischen und
afghanischen Schiitenmilizen bei, die an der Seite von Assads Armee und der
libanesischen Hisbollah kämpften. Jetzt ist es die Niederlage der
Oppositionskräfte, die allgemein erwartet wird. Allein im letzten Monat
gelang es dem Regime, wichtige Hochburgen zurückzuerobern und bis auf 25
Kilometer zur türkischen Grenze vorzurücken.
Russische Luftschläge auf bewohnte Gebiete im Norden töteten Berichten
zufolge Hunderte Zivilisten und zwangen Zehntausende zur Flucht. Auch
Schulen und Krankenhäuser wurden nicht verschont. Und das Schlimmste könnte
erst noch kommen – schließlich konzentriert sich Assad darauf, Aleppo als
strategisch wichtige Stadt und Hochburg der Opposition im Norden Syriens
anzugreifen. Das Regime hat dafür schon einen Plan: Die Stadt belagern,
durch Aushungern und Luftschläge die in der Stadt ausharrenden 28.000
Kämpfer und 350.000 Zivilisten zermürben. Und dann den finalen Angriff
starten.
## Eine blutige Konfrontation
Natürlich gilt das Bombardieren von Zivilisten als Kriegsverbrechen, aber
es ist unwahrscheinlich, dass Assad sich darum schert, nachdem seine
Luftwaffe in den letzten Jahren bereits 9.000 Zivilisten mit über Aleppo
abgeworfenen Fassbomben getötet hat, was die UN-Resolution 2139/14
verurteilt. Stattdessen macht sich das Regime wohl eher Sorgen darum, dass
der Kampf um Aleppo am Ende dem IS bei seinem Vormarsch in Nordsyrien
hilft. Im Januar war der IS aus Idlib und Aleppo bereits vertrieben, von
einer militärischen Koalition aus Al-Nusra-Front, den Ahrar
al-Scham-Salafisten und dem, was von der Freien Syrischen Armee noch übrig
war.
Es war eine blutige Konfrontation, die mehr als 7.000 Kämpfern das Leben
kostete. Diese Milizen werden jetzt von Russland durch permanentes
Bombardement geschwächt – was dem Regime den Weg für seinen Vormarsch
ebnet. Sie räumt aber auch ein Hindernis aus dem Weg, das den IS bisher aus
Aleppo herausgehalten hat. Deshalb hat Assad in all diesem Durcheinander
auch noch heimlich Waffen an die kurdischen YPG-Milizen geliefert. Er
braucht sie doppelt: Sie sollen die Grenzübergänge in Azaz, nördlich von
Aleppo, unter ihre Kontrolle bringen. Im Fall einer Niederlage wäre das ein
empfindlicher Schlag für die Opposition, weil dies ihre
Hauptversorgungsroute blockieren würde. Das erklärt auch, warum die Türkei
in den letzten Tagen kurdische Stellungen in Syrien beschossen hat.
Wie der Kampf um Aleppo auch ausgehen wird: Der Wind scheint sich zu Assads
Gunsten gedreht zu haben. Sogar die Amerikaner, bisher scharfe Gegner des
syrischen Regimes, setzen ihr Geld mittlerweile vor allem dafür ein, die
kurdische YPG mithilfe ihrer Luftwaffe gegen den IS zu lenken.
## Amerikanisches Einverständnis
Öffentlich erhebt US-Außenminister John Kerry zwar noch immer seine Stimme
gegen Assad. Genau wie seine türkischen und saudischen Verbündeten, die
sogar mit einer (unwahrscheinlichen) Invasion Syriens drohten. Hinter den
Kulissen allerdings scheint es, als stimmten die USA mit den Russen
überein, dass es notwendig ist, IS-nahe Salafistengruppierungen zu
entmachten. Und dann die Friedensverhandlungen in Genf neu zu beginnen mit
einer geschwächten Opposition, die nicht fähig ist, eine politische Lösung
zu verhindern.
Denn an diesem Punkt der Krise muss eine politische Lösung gefunden werden.
Nicht nur, um den Druck auf die EU und die Nachbarstaaten zu lindern, an
deren Türen Millionen von Flüchtlingen klopfen. Sondern vor allem, um sich
wieder dem eigentlichen Ziel der internationalen Gemeinschaft zuzuwenden:
dem Krieg gegen den IS.
Wenn die USA es schaffen, die syrische Opposition von der Wiederaufnahme
der Verhandlungen mit Assad zu überzeugen, ohne Vorbedingungen zu stellen,
dann könnte vielleicht ein bislang unerwartetes Übergangsszenario erreicht
werden. Assad hat bereits vorgeschlagen, am 13. April Parlamentswahlen
abzuhalten. Natürlich werden viele Gruppierungen den Wahlurnen fernbleiben
– allein schon die Familien der 470.000 Getöteten, von denen Zehntausende
vom Regime barbarisch abgeschlachtet wurden. Trotzdem sollte man nicht
überrascht sein, wenn tatsächlich eine Mehrheit der Syrer Assad wählt: In
Ermangelung plausibler Alternativen erscheint er am Ende vielen als der
einzige Warlord, der ihre Sicherheit garantieren kann. Nach fünf Jahren
Blutbad wird diese Sicherheit kostbarer sein als die Freiheit.
Übersetzung aus dem Englischen: Nina Apin
13 Mar 2016
## AUTOREN
Gabriele Del Grande
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