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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Deshalb betet er für die Kanzlerin
> Soll man die AfD entlarven? Ein erschütternder Abend mit Winfried
> Kretschmann im baden-württembergischen Wahlkampf.
Bild: Winfried Kretschmann im Wahlkampf
Dann holt der baden-württembergische Ministerpräsident kurz aus, um den
Rahmen der globalen Flüchtlingsdynamik zu benennen – und da setzt ein
Grummeln und Brummeln im Saal ein. Begrenzte Steuerungsmöglichkeiten, lange
Prozesse, das wollen manche einfach nicht hören, und nicht alle sind
AfD-Claqueure.
Das sind so etwa 700 Leute im Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle bei
der Wahlveranstaltung der Stuttgarter Nachrichten. Keine rassistischen
Zwischenrufe oder Ausfälle. Trotzdem ist es ein erschütterndes Erlebnis.
Das Erschütternde ist die Ahnung, wie nah alles an der Kante ist, bei
manchen und damit für alle.
Ministerpräsident Kretschmann und die anderen Spitzenkandidaten der
Landtagswahl sollen die AfD „entlarven“. Deren Spitzenkandidat Jörg Meuthen
agiert auf Grundlage seines Professorentitels und ohne das
rechtspopulistische Vokabular einiger Parteifreunde als ehrbarer
Missverstandener. Tenor: Flüchtlingskritisch? Klar, aber das sind andere ja
auch. Man kann ihn nicht stellen, er ist immer schon weg.
Einige Bundesgrüne versuchen ja nicht nur die AfD, sondern auch die CSU und
ihren Ministerpräsidenten Seehofer als „Ermunterer des Mobs“ und „rechte
Hetzer“ zu entlarven, ganz besonders eifernde sogar den grünen
Parteikollegen Palmer. Die grundsätzliche Frage ist, was man damit
erreichen will. Wird damit im grünen Sinne die Welt besser? Werden dadurch
Menschen überzeugt und in der Mitte gehalten, wird der Rechtsruck
verhindert?
Ja, es ist für Menschen mit einer anderen politischen Position manchmal
nicht einfach, Seehofer und seine Politik- und Machterhaltungstrategien
auszuhalten. Aber er ist und bleibt ein Demokrat. Er ist einer von uns. Und
nicht einer von denen. Grüne, die Demokraten an den rechten Rand schieben,
stärken nicht die Demokratie, sondern den rechten Rand. Das ist fahrlässig.
## Merkels grüner Stalker
Als der AfD-Themenblock beendet ist, will plötzlich auch der CDU-Kandidat
Guido Wolf mitreden und nennt den Ministerpräsidenten den „großen
Kanzlerinnen-Versteher“. Kretschmann sei Merkels grüner „Stalker“, hat m…
in seiner Landtagsfraktion gehöhnt, und dass er für sie betet, wird in
allen Lagern belächelt. Dann soll Kretschmann antworten.
„Was mich umtreibt, was auch die Kanzlerin umtreibt“, sagt er leise: „dass
Europa an der Flüchtlingsfrage zerbrechen könnte.“ Das Grummeln und
Brummeln erstirbt. „Wer, um Gottes Willen, soll denn Europa zusammenhalten,
wenn nicht die Kanzlerin?“, sagt Kretschmann noch leiser. „Deshalb habe ich
gesagt, ich bete jeden Tag für die Kanzlerin.“
Jetzt hat er sie. Es ist Wahlkampf, es ist eine Showveranstaltung, aber sie
nehmen ihm ab, dass das hier keine Show ist, sondern todernst. Erst ist es
ganz still, dann bricht Beifall los, der größte des ganzen Abends. Von da
an hören sie ihm zu.
Was ich sagen will: Rassisten wählen Rassisten. Das wird durch „Entlarvung“
nicht geändert, sondern bestätigt. Es gibt eine emphatische
Bürgergesellschaft aus Grünen-, CDU- und SPD-Wählern, die teilweise aktiv
engagiert ist. Aber es gibt jenseits der Grünen-Wähler Menschen, die sich
schwer damit tun, dass alles sehr kompliziert ist, dass es nur europäisch
geht, dass dieser Krieg im Nahen Osten auch ihrer sein soll.
Es hilft nicht, denen zu sagen, dass sie in die Hölle kommen, wenn sie AfD
wählen. Moralische Scharfrichter sind Spalter. In dem Grummeln und Brummeln
einer zum Teil hyperventilierenden Gesellschaft muss man mit seinen Worten
und mit seiner Politik so verantwortungsvoll umgehen, dass der ganze Laden
zusammengehalten wird.
27 Feb 2016
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Schwerpunkt Landtagswahlen
Junge Alternative (AfD)
Winfried Kretschmann
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