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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Dr. Merkel und Mrs. Merkel
> Warum gibt es plötzlich zwei Bundeskanzlerinnen, die gute grüne und die
> schlechte grüne? Verkrustetes Denken steckt dahinter.
Bild: Gute Merkel, schlechte Merkel?
Mist, die alte Merkel ist weg. Hurra, die neue Merkel ist da. Im Spiegel
der vergangenen Woche haben zwei Redakteure Positionen bezogen, hinter
denen zwei aktuelle Prototypen des politischen Denkens (oder Fühlens)
aufscheinen. Beide sind verkrustet.
Der eine Typus hält Kanzlerin Merkels Flüchtlingspolitik für falsch, weil
angeblich grün und damit unvernünftig. Er selbst ist erwachsen und wählt
längst CDU. Grüne Politik ist für ihn ewiger Kindergarten. Er hat sich von
der neuen Merkel entfremdet.
Der andere Typus hält Merkels Flüchtlingspolitik für großartig, weil grün
oder links und eben nicht CDU. Er hat noch nie CDU gewählt und hält das für
eine beachtliche Lebensleistung. CDU ist für ihn prinzipienlos und nicht
menschlich. Er hat sich in die neue Merkel total verknallt.
## Illusionäres Lagerdenken
Beide Positionen sind deshalb verkrustet, weil sie nicht Realität
nachvollziehen (beides sind mehr oder weniger moderne sozialdemokratische
Parteien), sondern ein illusionäres Lagerdenken bewahren wollen. Hier:
Grüne blöd. Dort: CDU blöd.
Warum sind die in den 70ern, 80ern, 90ern politisierten Deutschen so
besessen von einem polarisierten Welt- und Parteienbild, dass sie
programmatische Entwicklungen konsequent ausblenden? Ich fürchte: Weil sie
nicht politisch strukturiert sind, sondern moralisch. Gut (ich) und böse
(andere). In der Not wird nun sogar Merkel in zwei geteilt; die Gute und
die Böse. Dabei steht doch gerade sie für die Überwindung dieses Schmarrens
im 21. Jahrhundert. (Schröder übrigens auch.)
Es gibt beim politischen Reagieren auf die Flüchtlingsdynamik im Moment
zwei entscheidende Politiker in Deutschland. Die eine ist die
CDU-Kanzlerin. Der andere ist Winfried Kretschmann, der Grüne
Ministerpräsident von Baden-Württemberg und - qua Bundesrat - faktische
Vizekanzler.
Typ 1 sagt: Merkel ist überraschend unvernünftig, der Grüne überraschend
vernünftig.
Typ 2 sagt: Merkel ist menschlich und pragmatisch, der Grüne unmenschlich
und machtbesessen.
Soll heißen: Haben Merkel und Kretschmann eine identische Position (was sie
entgegen der Pauschalbehauptungen nicht haben), dann steigt Merkel damit
moralisch hoch und Kretschmann fällt hinunter (Typ 2) bzw. Merkel ist als
Realpolitikerin nicht mehr ernst zu nehmen, aber Kretschmann gewinnt an
Respekt und Reputation (Typ 1).
## Grünes Moralposing
Und das nenne ich verkrustetes Denken. Selbstverständlich muss man
Parteien, Gremien, Konkurrenten, Gefühle, unpolitische Gesellschaft usw.
managen. Aber dennoch muss die entscheidende Frage sein: Wie verhält sich
Merkels Politik, wie verhält sich Kretschmanns Politik zur europäischen und
globalen Realität? Und nicht: Wie verhält sie sich zur CDU von annotobak
oder den alternativen Utopien vom Tunix-Kongress oder selbstgefälligem
Grünen Moralposing auf Twitter (“Eine Schande!“- „Einfach nur noch
erbärmlich!“ - „Menschenrechte haben keine Obergrenze!“). Ein „kulture…
Überlegenheitsdiskurs“, wie Navid Kermani das nennt, ist bekanntlich eine
Moralgrüne Spezialität. Löst aber kein einziges Problem, sondern trägt nur
zur Vergiftung der Diskussion bei.
Der Schriftsteller Navid Kermani hat in einem der besten Interviews, das
ich je gelesen habe - auch im Spiegel - gezeigt, was Entkrustung ist. Wie
man auch sprechen kann. Klug, differenziert, lösungsorientiert und jenseits
der alten rechthaberischen Illusionsgefängnisse.
Merkel hat zumindest in der Flüchtlingspolitik aufgehört, sich der Realität
zu verweigern. Und die regierenden Grünen in den Ländern verweigern sich
der flüchtlingspolitischen Realität auch nicht.
Die eine Frage lautet: Was machen Bürgertyp 1 und Bürgertyp 2 - weiter
flüchten oder standhalten?
1 Feb 2016
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Schwerpunkt Angela Merkel
Grüne
Schwerpunkt Flucht
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Baden-Württemberg
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Schwerpunkt AfD
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