# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Andere könnten Recht haben | |
> Warum können wir nicht ernsthaft über die Flüchtlingslage sprechen, | |
> Wolfram Eilenberger? Tee mit einem besorgten Philosophen. | |
Bild: Fragen statt Antworten. | |
Die Redaktion des Philosophie Magazins war mitten in der Konzeption des | |
Februar-Heft-Schwerpunkts. So was wie: „Sind wir dafür geschaffen, in | |
Paaren zu leben?“ Da stand Chefredakteur Wolfram Eilenberger auf und sagte: | |
„Das geht so nicht mehr.“ | |
Sie machten dann ein Titelthema zur Flüchtlingssituation. „Was tun?“ Der | |
erste politische Titel seit der Gründung des deutschen Ablegers vor etwas | |
über vier Jahren. 27 Philosophen beschäftigen sich mit Fragen, die die | |
Redaktion ihnen gestellt hat. Es steht sehr viel Kluges in dem Heft. | |
„Politische Titel wären für uns früher marktgefährdend gewesen“, sagt d… | |
Philosoph. Er sitzt in einem Café in Berlin-Mitte. Trinkt Tee. Hat das | |
Gefühl, dass erstens etwas aufbricht und er zweitens gar nicht anders kann. | |
Eilenberger, 43, ist Doktor der Philosophie, hat einen humoristischen | |
Bestseller geschrieben (“Finnen von Sinnen“) über das Land, aus dem seine | |
einen Kopf größere Frau kommt. Hat die inhaltliche Marktlücke als deutscher | |
Fußballphilosoph besetzt. Philosophie, Politikanalyse, Humor, Fußball – das | |
ist der Bildungskanon des unbeschwerten Neubürgertums. Oder war? „Jetzt | |
brechen neue Fragehorizonte auf“, sagt er. | |
Er gehört zu dem neuen Typus, der nicht weiß, was er sagen soll, wenn man | |
ihn fragt, wie es geht. Persönlich läuft alles. Aber. Er schläft jetzt | |
öfter schlecht. Merkt, wie er immer ernster wird. Überlegt, was passiert, | |
wenn Deutschland der schwedischen Erkenntnis folgt, dass mehr nicht mehr | |
geht. Was es für den Balkan bedeutet, für die Gestrandeten. Fürchtet das | |
Schlimmste. Überlegt auch, ob nicht Politiker richtigliegen, bei denen ein | |
bestimmtes Milieu bisher ohne zuzuhören ausgeschlossen hat, dass das | |
überhaupt sein kann. | |
## Das Denken verlernt | |
„Sind Sie eigentlich links?“, frage ich ihn. Jetzt schaut er fast | |
verzweifelt hinter seiner Brille vor. Als wäre das eine Idiotentestfrage. | |
Bei der der Fragende durchfällt. „Das ist kein Begriff, der in meinem | |
Vokabular eine Rolle spielt“, seufzt er. Er hält das Niveau, auf dem | |
Politik und Mediengesellschaft diskutieren, manchmal im Kopf nicht mehr | |
aus. Speziell nach Köln. „Wir haben das Denken verlernt“, sagt er. Und | |
zählt ein paar überregionale Kolumnisten auf, für die das besonders | |
zutrifft. | |
Zentrale Probleme seien die Nichtüberwindung eines mittlerweile 25-jährigen | |
Unernstes. Und der „Mangel an geistiger Gelenkigkeit“. Das führe zu | |
diskursiver Lagerbildung und dem reflexhaften Rückgriff auf überholte | |
ideologische Sicherheiten. Ergebnis sei die „Verrohung der Diskussion“, die | |
wir haben. Es braucht das Gegenteil, und die Frage ist auch hier: Was tun? | |
Das war genau der Punkt, an dem seine Redaktion war, als er gesagt hatte, | |
dass es so nicht mehr geht. Der Change beginnt in dem Moment, in dem man | |
die Fragen stellt, die man selbst hat. Die man wirklich ernstnimmt. Gegen | |
eine Politik- und Medien-Simulationsmaschine, die immer unernster wird, je | |
lauter, pathetischer oder die anderen immer mehr verachtend sie ihre | |
Antworten hinaushaut. | |
Fragen statt Antworten. Es gibt keine Antworten, die man aus der jeweiligen | |
geistigen Schublade holen kann und die es bringen. Es geht nicht darum, | |
sich „treu“ zu bleiben und den politischen Gegner aus dem | |
Platitüden-Schützengraben als den Bösen, Ignoranten und | |
Zukunftsgefährdenden zu attackieren, bis alles zu spät ist. | |
Die geopolitische Realität der globalen Bewegung von Menschen Richtung | |
Europa ist so kompliziert und so divers und so gefährlich (etwa für die | |
EU), sagt Eilenberger, dass man sich selbst in geistige Bewegung setzen und | |
sich permanent und ernsthaft „zu dieser Realität repositionieren“ muss. | |
Sagen wir es ganz brutal: Andere könnten Recht haben. | |
18 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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