# taz.de -- Mein Wahlkampftagebuch (2): Das Spätzla-Klischee | |
> Ressentiments gegen Schwaben sind reaktionär. In manchen Fällen sind sie | |
> eine knallharte Umwandlung von Neid auf Erfolg und gutes Leben. | |
Bild: Einfach mal hinfahren und selbst schauen, ist doch urgemütlich. | |
Berlin taz | Es fängt schon damit an, dass Leute immer „die Schwaben“ | |
sagen, wenn sie Baden-Württemberger meinen. Selbst empfindliche | |
Identitätsfanatiker, die sonst auf Differenzierung bis zehn Stellen hinter | |
dem Geschlechterkomma insistieren. In dem Fall sagen sie: Och. Das sei doch | |
eine Soße. Das ist, als würde man sagen: Balkan? Alles Jugoslawen. Oder | |
Serben. | |
Also: Es gibt Schwaben, Badener, Württemberger, Hohenzollern, | |
(Unter-)Franken. Es gibt die Hohenloher, die sich durch Widerstand gegen | |
die Schwaben definieren. Es gibt Menschen, deren Vorfahren laut Ahnenpass | |
seit 1506 aus Schwäbisch Gmünd kommen. Und Zugereiste, deren Vorfahren | |
nicht aus Schwäbisch Gmünd kommen. Speziell Stuttgart hat eine | |
vergleichsweise erfolgreiche Integration aller Beteiligten in eine neue | |
Kultur hinbekommen (von den Hohenlohern mal abgesehen). | |
Diese Kultur besteht mitnichten aus Weckla, Bretzla, Spätzla und | |
Maultäschla. Auch nicht aus einem fanatischen Reinigen der Trottoirs | |
(Bürgersteige) in einem festen und niedergeschriebenen Rhythmus | |
(Kehrwoche). Wenn überhaupt, dann kehren diejenigen leidenschaftlich, deren | |
Ahnen vor zwei Generationen aus Italien oder der Türkei gekommen sind. | |
Übrigens sagen Baden-Württemberger auch nicht „schwätzen“, wenn sie reden | |
meinen. | |
„Wir haben dann noch ein bissle geschwätzt.“ | |
## Anderswo lebt man ebenfalls gut | |
Brrr. So was sagen nur Leute, die von über der Mainlinie kommen und sich | |
einschleimen wollen. Baden-Württemberger antworten dann allenfalls: | |
„Schwätz net domm raus!“ | |
Aber das ist was völlig anderes. | |
Die ganzen Klischees werden aber nicht nur aus Ignoranz benutzt, sondern | |
häufig steht ein Ressentiment dahinter. Das besteht darin, dass es sich bei | |
den Baden-Württembergern um eine kulturell, sprachlich und | |
gesellschaftspolitisch zurückgebliebene Species handelt. Leute, die wie | |
blöde kehren, arbeiten, Autos produzieren und verkaufen, als ob es im Leben | |
nichts Wichtigeres gäbe als Geld. Ist ja auch bescheuert, denn anderswo | |
lebt man ebenfalls gut. Vom Länderfinanzausgleich aus Baden-Württemberg. | |
Wenn einer ausnahmsweise dezent darauf hinweist, dass Geld auch verdient | |
werden muss, dann hassen sie die Baden-Württemberger erst recht. Wo kommen | |
wir denn da hin, wenn erfolgreiches Wirtschaften eine Qualität sein soll? | |
Das führt doch nur zu dem unmoralischen Turboneokapitalmaterialismus dieser | |
besser verdienenden Spätzlesfresser. Die ja auch noch so geizig sind, dass | |
sie das viele Geld nicht mal ausgeben. Doppelt bescheuert. | |
## Mal hinfahren und selbst schauen? | |
Diese Ressentiments und dazu die Ablehnung von Flüchtlingen aus | |
Baden-Württemberg in Berlin, gerade in sich für links haltenden Milieus | |
(“Schwaben raus“), das ist nicht lustig, sondern in manchen Fällen | |
knallharte Umwandlung von Neid auf Erfolg und gutes Leben. | |
Und es ist reaktionär. | |
Dass Baden-Württemberg und Städte wie Stuttgart, Freiburg, Tübingen | |
vielleicht inzwischen die politische und gesellschaftliche Moderne in | |
Deutschland definieren? Unmöglich! Vielleicht mal hinfahren und selbst | |
schauen? Wozu? Der weltweit erste grüne Ministerpräsident? Lieber gar kein | |
Fortschritt als so ein Fortschritt! | |
Was allerdings wirklich stimmt: Manche Baden-Württemberger sprechen kein | |
Hochdeutsch. Aber nicht, weil sie es nicht können. Sondern, weil sie es | |
nicht nötig haben. | |
24 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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