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# taz.de -- Stadtsoziologe Holm über Berlin: „Schwabenhass ist ein Phantom“
> Der Stadtsoziologe Andrej Holm über ein Thema, das sich verselbstständigt
> hat. Es überlappe dabei die Diskussion über steigende Mieten und
> Verlustgefühle.
Bild: Schmiererei in Prenzlauer Berg.
taz: Herr Holm, sind Sie beunruhigt über Parolen wie „Kauft nicht beim
Schwab’n“?
Andrej Holm: So etwas beunruhigt mich nicht. Warum sollte es?
Weil sich solche Äußerungen an Nazi-Parolen anlehnen und zugleich in einer
der mittlerweile teuersten Ecken der Stadt auftauchen. Sie betreiben den
„[1][gentrification blog]“ und dokumentieren darin Aufwertungsprozesse.
Besteht nicht die Gefahr, dass solche Äußerungen den Protest gegen
Gentrifizierung in Verruf bringen?
Es ist völlig unklar, aus welcher Richtung die neuen Parolen kommen.
Inhaltlich gibt es keine Verbindung zu Nachbarschaftskonflikten.
Schließlich steht da ja nicht: „Mieten runter“, oder?
Nein, aber dass sich Einwohner von Prenzlauer Berg gegen den Zuzug von
vermeintlich schwäbischen Gutverdienern wehren, hat ja Tradition.
Ob ein Jugendlicher „Tötet Schwaben!“ an die Wände sprüht oder Satiriker
die Vertreibung von Nichtschwaben fordern: Bei alldem handelt es sich um
Einzelphänomene. Seitdem Bundestagsvizepräsident Thierse öffentlich
gefordert hat, dass auch Schwaben beim Berliner Bäcker Schrippen statt
Wecken sagen sollten, hat sich das Thema verselbständigt. Alle reden über
Schwabenhass. Dabei gibt es den gar nicht. Das Ganze ist eine
Scheindiskussion.
Die Schwaben sind also nicht das Problem?
Die Statistik zeigt, dass Menschen von überallher nach Berlin ziehen. Die
stärkste Wanderungsbeziehung haben wir mit Hamburg und Nordrhein-Westfalen,
die Baden-Württemberger spielen empirisch kaum eine Rolle. Als jemand, der
lange in Prenzlauer Berg gewohnt hat, kann ich sagen, dass der Hass gegen
eine bestimmte Gruppe, woher auch immer, nicht das Lebensgefühl der
Menschen dort prägt.
Was manifestiert sich dann an den Wänden? Hass gegen Besserverdiener?
So einfach ist es nicht. Eine Parole wie „Kauft nicht beim Besserverdiener“
ergibt ja überhaupt keinen Sinn. Die Hässlichkeit solcher Sprüche verweist
für mich darauf, dass bestimmte Diskussionen nicht offen geführt werden.
Wem gehört Prenzlauer Berg heute? Wem gehört die Stadt? Darüber sollte man
sprechen. Über die Verlusterfahrungen, die viele Bewohner von Prenzlauer
Berg gemacht haben: dass zum Beispiel alte Treffpunkte schließen und sich
die neuen Konsumangebote fremd anfühlen. Darüber hat auch Thierse als
Ostberliner versucht zu sprechen. Aber keiner wollte es hören.
Darüber wird doch andauernd gesprochen: Touristen in Neukölln, Schwaben in
Prenzlauer Berg. Kommen die Berliner mit Veränderungen nicht klar?
Mich ärgert die Totalität der Diskussion. Man muss doch Kritik an
Veränderung üben können, ohne gleich in den Verdacht zu geraten, ein
Schwaben- oder Touristenhasser zu sein. Dass die Touristifizierung von
Nachbarschaften Wohnraum verteuert und Anwohner belästigt, ist ein reales
Problem. Man muss endlich wieder über Mietenpolitik sprechen und nicht über
Schwaben. Dann wäre schon viel gewonnen.
6 May 2013
## LINKS
[1] http://gentrificationblog.wordpress.com/
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Berlin
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Schwaben
Mieten
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