# taz.de -- Schwaben im Exil in Berlin: Die Weckle sind weg | |
> In Prenzlauer Berg gentrifizieren sich die Süddeutschen nun gegenseitig: | |
> Die Schwäbische Bäckerei schließt – die Miete ist zu hoch. | |
Bild: Es geht um die Brezel in Prenzlauer Berg. | |
Die Schwaben haben hier wie da einen schlechten Ruf: Zu Hause gelten sie | |
als geizig; in der Berliner Diaspora hingegen als verschwenderisch, was den | |
Kauf von überteuerten Wohnungen angeht; zudem können sie nirgendwo ihre | |
fürchterliche Sprache loswerden. Das treibt ab und an selbsternannte | |
Urberliner auf die Palme. Am bekanntesten ist Wolfgang Thierses Ausspruch, | |
man möge doch bitte in seinem Kiez Prenzlauer Berg – wo viele Schwaben | |
Eigentum erworben haben – Schrippen bestellen und keine „Weckle“. | |
Vor zwei Jahren blies Thierse zum Kulturkampf und hinterließ damit ein | |
politisches Erbe, das alle seine anderen Taten in den Schatten stellte | |
(angeblich ist der SPD-Politiker auch mal Bundestagspräsident gewesen). In | |
der Folge wurde der Mann mit dem Rauschebart Opfer vieler Spottattacken; | |
zahlreiche Medien richteten ihr Augenmerk auf die „Schwäbische Bäckerei“ | |
wenige hundert Meter von Thierses Wohnung am Kollwitzplatz entfernt. Dort | |
gibt es zwar Schwabenecken und Ostschrippen Seit an Seit. Aber weil der | |
Name so schön passt, entwickelte sich das Geschäft an der Prenzlauer Allee | |
zu einem Schauplatz der Schwabenhasserei. Regelmäßig wurden | |
süddeutschenfeindliche Sprüche an die Hausfassade geschrieben; bis heute | |
werden die Fensterscheiben „regelmäßig angespuckt“, berichtet Inhaber | |
Oliver Sporys. | |
Doch das Feindbild tritt nach mehr als fünf Jahren den Rückzug an. Ende | |
Dezember schließt Sporys, der noch fünf weitere Bäckereifilialen in der | |
Stadt betreibt, sein Geschäft in Prenzlauer Berg – ausgerechnet er ist ein | |
Opfer der steigenden Mieten. „Exorbitant hoch“ sei die schon jetzt, | |
schimpft der 48-jährige Pforzheimer; und sie wäre bei Vertragsverlängerung | |
noch mal gestiegen. Alternative Standorte im Kiez hätten sich nicht | |
ergeben. Glaubt man der oft verkündeten These, dass die Schwaben durch | |
massenhaften Zuzug und Wohnungskauf die Mietpreise versaut haben, lässt | |
sich anhand der Bäckerei auch ein Beleg für deren übermäßige Sparsamkeit, | |
die sie angeblich nur zu Hause pflegen, entdecken. Denn laut Sporys hätten | |
schlicht zu wenige Menschen bei ihm eingekauft. Er meint: „Für teure | |
Wohnungen wird viel Geld ausgegeben; beim Essen dagegen gespart.“ Sprich: | |
Die Prenzelberger gingen lieber zu den billigeren Aufbackbäckern. | |
Vielleicht lag es auch einfach daran, dass die „Weckle“ zuletzt oft arg | |
luftig waren, also vielleicht der Bäcker an guten Zutaten geizte. | |
Statt der Prenzlauer Berger kommen künftig die Kreuzberger in den Genuss | |
der schwäbischen Teigwaren. Ausgerechnet im angeblich so teuren Wrangelkiez | |
hat Sporys ein neues Geschäft gefunden; im Februar wird eröffnet. Da | |
Kreuzberg ja schon vor der Wende von Schwaben geflutet wurde und gerade | |
nicht Zentrum des Schwabenhasses scheint, ist das vielleicht keine | |
schlechte Adresse. | |
19 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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