| # taz.de -- Provokation: Thierse sagt zum Abschied laut Ade | |
| > Wolfgang Thierse, der schon ewig in Prenzlauer Berg lebt, schimpft über | |
| > Süddeutsche, die beim Bäcker keine Schrippen bestellen, sondern Wecken. | |
| > Droht Berlin die nächste Schwaben-Debatte? | |
| Bild: Wo er auch hinsieht: überall Schwaben! Der Prenzlberger Wolfgang Thierse. | |
| Silvesterabend, Tram M1 Richtung Kastanienallee. „Recht hat er, 90 Prozent | |
| der Bewohner sind hier weg. Stattdessen nur noch Schwaben.“ Der | |
| Mittzwanziger wendet sich an eine Gruppe Feierkids. Die sind verunsichert, | |
| beschwichtigen: „Wir kommen aus Dresden.“ | |
| Wolfgang Thierse, SPD-Bundestagsvizepräsident und Langzeitanwohner am | |
| Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, hat sich mal wieder zu Wort gemeldet – | |
| und die Emotionen fliegen hoch. „Ich ärgere mich, wenn ich beim Bäcker | |
| erfahre, dass es keine Schrippen gibt, sondern Wecken“, sagte Thierse der | |
| Morgenpost. „In Berlin sagt man Schrippen. Daran könnten sich selbst | |
| Schwaben gewöhnen.“ | |
| Und weiter: „Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt | |
| in Berlin sind. Und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche. Sie | |
| kommen hierher, weil alles so bunt und so abenteuerlich und so quirlig ist. | |
| Aber wenn sie eine gewisse Zeit da waren, dann wollen sie es wieder so | |
| haben wie zu Hause.“ Der Mittzwanziger in der Tram M1 hat die Steilvorlage | |
| Thierses dankbar aufgegriffen. | |
| Spricht da ein alter Mann, der sich mit dem Abschied aus der Politik noch | |
| arrangieren muss? Immerhin gestand Thierse auch: „Die Droge der | |
| öffentlichen Aufmerksamkeit kann süchtig machen. Wenn man von heute auf | |
| morgen aus diesem Leben in ein rein privates als Nobody umsteigt, ist das | |
| mit Entzugserscheinungen verbunden.“ | |
| Oder muss sich Berlin durch die x-te Schwabendebatte quälen? Der | |
| SPD-Politiker Klaus Mindrup, der sich für seine Partei um die Nominierung | |
| als Direktkandidat bei der Bundestagswahl 2013 bewirbt, will die | |
| Gentrifizierungsfrage von den Schwaben trennen: „Natürlich haben wir ein | |
| Problem mit der sich zuspitzenden Wohnungssituation“, sagte Mindrup der | |
| taz. „Gleichwohl sind wir eine offene und tolerante Stadt.“ Mindrup hatte | |
| im Sommer bekannt gegeben, notfalls auch in einer Kampfkandidatur gegen | |
| Thierse anzutreten. Kurz darauf hatte das 69-jährige Urgestein, das seit 22 | |
| Jahren im Bundestag sitzt, seinen Abschied von der Politik bekannt gegeben. | |
| Neben Mindrup bewirbt sich am Kollwitzplatz auch Andreas Otto um ein | |
| Bundestagsmandat. Der Grünen-Politiker lebt seit 1985 in Prenzlauer Berg. | |
| Auch er sieht im Viertel kein Schwabenproblem. „Wo viele verschiedene Leute | |
| zusammenkommen, gibt es Reibung“, sagte Otto zur taz. „Ich würde einem | |
| Ostdeutschen wie Wolfgang Thierse raten, selbstbewusst aufzutreten. Wenn er | |
| eine Schrippe will, soll er eine Schrippe bestellen.“ | |
| Den umkämpften Wahlkreis im „Schwabenkiez“ gewannen 2009 aber nicht die SPD | |
| und die Grünen, sondern Stefan Liebich von der Linkspartei: Er setzte sich | |
| mit 28,8 Prozent der Erststimmen durch. Thierse kam knapp dahinter auf | |
| Platz zwei. Enttäuschend schnitten damals auch die Grünen ab. Ihr | |
| Direktkandidat Heiko Thomas aus Nordrhein-Westfalen erhielt nur 16,4 | |
| Prozent der Erststimmen. Bei den Zweitstimmen in der Grünen-Hochburg gab es | |
| knapp zwanzig Prozent. | |
| Auch wenn sich nun sowohl SPD als auch Grüne gute Chancen ausrechnen: | |
| Liebich will seinen Wahlkreis verteidigen. „2009 hatten wir bundesweit ein | |
| phantastisches Ergebnis von zwölf Prozent erzielt“, sagte der gebürtige | |
| Wismarer der taz. „Davon sind wir momentan in den Umfragen weit entfernt. | |
| Und das wirkt sich natürlich in den Wahlkreisen aus. Aber ich werde | |
| kämpfen.“ | |
| So überwiegen nach Thierses Schwaben-Suada die ruhigen Töne. Einzig Günther | |
| Oettinger, EU-Kommissar und CDU-Politiker mit unverkennbar schwäbischem | |
| Idiom, ließ es sich nicht nehmen, auf den alten Mann mit dem Bart zu | |
| dreschen. „Ohne die Schwaben wäre die Lebensqualität in Berlin nur schwer | |
| möglich. Denn wir zahlen da ja jedes Jahr viel Geld über den | |
| Länderfinanzausgleich ein.“ Ob es auch in Brüssel Wecken gibt, ließ er | |
| offen. | |
| 1 Jan 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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