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# taz.de -- Mein Wahlkampftagebuch (1): Gefalzt, getackert und geschrumpft
> Der glücklose Kandidat: SPD-Spitzenkraft Nils Schmidt wurde in der
> Koalition erfolgreich vom Partner zum Musterschüler geschrumpft.
Bild: Stolz auf die Null: Baden-Württembergs SPD-Spitzenkandidat Nils Schmidt …
Die SPD von Baden-Württemberg hat ihren Spitzenkandidaten Nils Schmid in
zwei Hälften geteilt. Man entdeckt das, wenn man das Regierungsprogramm
durchblättert, mit dem die SPD in den Landtagswahlkampf zieht. Über einer
Doppelseite der DIN-A4-Broschüre steht: „Unser Regierungsteam“, darunter
ist ein Gruppenfoto abgedruckt. Weil Schmid der Chef und außerdem Finanz-
und Wirtschaftsminister ist, steht er genau in der Mitte des Teams.
Allerdings befindet sich in der Mitte dummerweise auch der Knick zwischen
den beiden Seiten, Drucker sagen: der Falz. Der Falz geht mitten durch den
Mann. Aber die Wahlkampfhelfer haben nicht nur ihren Spitzenkandidaten in
zwei Teile gefalzt, sie haben ihm eine Heftklammer in den Kopf getackert
und die zweite in den Schritt.
Drei Wochen vor der Landtagswahl am 13. März schlingert Schmids SPD
zwischen 14 und 16 Prozent. Natürlich strotzte die Partei im Südwesten nie
vor Kraft. Aber nun fällt sie tiefer denn je. Wie konnte es so weit kommen?
Einerseits ist da die innerparteiliche Missgunst. Spricht man zum Beispiel
mit einem einflussreichen SPD-Mitglied über dessen Parteifreunde, dann ist
von so vielen Tierarten die Rede, dass man meint, im Ohr habe man den
Audioguide der Wilhelma, das ist der Stuttgarter Zoo.
## Musterschüler statt Partner
Das andere Problem der SPD ist Winfried Kretschmann, der seinen Finanz- und
Wirtschaftsminister erfolgreich vom Partner zum Musterschüler geschrumpft
hat. Die Szene, die alles erzählt, fand im Juli 2014 auf dem Sommerfest der
baden-württembergischen Landesvertretung statt. Die Spätzle waren vertilgt,
das Tannenzäpfle floss, es war Mitternacht. Da stand Nils Schmid auf der
Bühne: Hallo! Der Nils! Hat Geburtstag! Endlich schauten alle auf ihn. Da
schnappte sich Kretschmann den Moment – und dirigierte spontan „Viel Glück
und viel Segen“. Im Kanon! Hallo! Der Kretsch! Niemand redete mehr über
Schmid.
Das dritte Problem geht tiefer: Die SPD ist nur eine Art Betriebsrat in
Baden-Württembergs Parteiensystem, der ab und zu mehr Lehrerstellen
fordert. Sie müsste sich grundsätzlich fragen: Wessen Partei sind wir?
Viele Wahlkreise machen CDU und Grüne unter sich aus. Baden-Württembergs
gutsituierte Industriearbeiter wählen auch nicht so gern
sozialdemokratisch.
Ein lohnendes Ziel wäre es, die Partei der Einwanderer zu werden. In viele
Kreisverbänden engagieren sich Sozialdemokrat_innen mit
Migrationshintergrund. Nils Schmid spricht türkisch, seine Frau kommt aus
einer türkischen Familie. Aber obwohl der Ansatz teilweise schon gelebt
wird, verfolgt ihn die SPD nicht systematisch.
## Eine Ampel wurde abgeschaltet
Und nach dem 13. März? Eine Ampel unter Kretschmann hat die FDP am Sonntag
abgeschaltet. Spannend ist es trotzdem, vor allem seit in der ersten
Umfrage die Grünen führen. Schwarz-Grün oder – wer weiß – Grün-Schwarz.
Ganz vielleicht doch Grün-Rot. Oder etwas ganz Neues: Schwarz-Rot plus FDP,
denn für das, was anderswo Große Koalition heißt, sind CDU und SPD zu
schwach.
Gefalzt, getackert und geschrumpft – ab Wahlsonntagabend dürfte Schmid sich
innerparteilichen Umsturzversuchen ausgesetzt sehen. Wenn sich aber für die
SPD eine halbwegs realistische Machtoptionen bietet, kann das Schmid
helfen: Wenn schon verlieren, dann wenigstens regieren, also erst mal
stabilisieren – diese alte Logik nutzte nach der Bundestagswahlpleite 2013
Sigmar Gabriel. Der erstaunlichste Fall dieser Art ereignete sich 2004 in
Sachsen. Dort zerbröselte die SPD unter Spitzenkandidat Thomas Jurk. 9,8
Prozent, das schlechteste Ergebnis der SPD in der Geschichte der
Bundesrepublik. Ein paar Wochen später wurde Jurk stellvertretender
Ministerpräsident.
23 Feb 2016
## AUTOREN
Georg Löwisch
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Schwerpunkt Landtagswahlen
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