# taz.de -- Auschwitz-Prozess in Detmold: Keine „guten SSler“ erlebt | |
> Weitere Zeugen sagen im Detmolder Prozess über den Alltag in Auschwitz | |
> aus. Eine Erklärung des Angeklagten wurde angekündigt. | |
Bild: Zeuge Justin Sonder auf dem Weg in den Gerichtssaal. | |
DETMOLD taz | Im Detmolder Auschwitz-Prozess haben die Verteidiger des | |
Angeklagten Reinhold Hanning eine Erklärung im späteren Verlauf der | |
Verhandlung angekündigt. Möglicherweise werde sich auch Hanning selbst | |
äußern. | |
Der ehemalige SS-Wachmann Hanning, der wegen Beihilfe zum Mord in | |
mindestens 170.000 Fällen in Auschwitz vor Gericht steht, machte auch am | |
Freitag keine Angaben. Mehr als ein genuscheltes „ich bin zufrieden“ auf | |
die Frage der Richterin Anke Grudda, wie es ihm denn heute gehe, war von | |
ihm nicht zu vernehmen. Immerhin verfolgte er das Verfahren mit deutlich | |
gesteigerten Interesse. | |
Am Freitag traten drei Nebenkläger in der Verhandlung auf, die als | |
Auschwitz-Überlebende Zeugnis von den grauenhaften Zuständen in dem | |
Konzentrations- und Vernichtungslager abgaben. Zunächst antwortete Leon | |
Schwarzbaum (94) auf Fragen. Der gebürtige Hamburger beschrieb, wie er | |
einmal miterlebt habe, wie gerade angekommene ungarische Juden zu Fuß auf | |
dem Weg zu den Gaskammern waren. „Das waren erschöpfte Menschen. Einer | |
wandte sich zu mir und sagte: ‚Wasser, Wasser‘!“ | |
Direkt habe er weder Morde durch das Giftgas Zyklon B noch die Krematorien | |
gesehen, als er in Auschwitz als Arbeitssklave inhaftiert war. „Aber wir | |
sahen das Feuer aus dem Schornstein des Krematoriums. Das waren verbrannte | |
Menschen. Es roch unerträglich.“ | |
Schwarzbaum zeigte der Richterin ein Foto, und sagte dazu: „Das waren meine | |
Eltern, meine Mutter, mein Vater und ich. Was war der Grund, warum man | |
meine Eltern umgebracht hat?“ Das Bild war von den Eltern vor | |
Kriegsausbruch an Verwandte der Familie in den USA verschickt worden und | |
blieb so erhalten. | |
## Aussage von Justin Sonder | |
Danach trat der 90-jährige Justin Sonder aus Chemnitz in den Zeugenstand. | |
Der spätere Kriminalermittler berichtete, wie er am Samstag, dem 27. | |
Februar 1943 von der Gestapo verhaftet und nach Dresden gebracht wurde. Von | |
dort transportierte die SS eine große Zahl sächsischer Juden mit dem Zug | |
nach Auschwitz, wo sie mitten in der Nacht ankamen. | |
An der Rampe habe die Selektion begonnen, bei der die Menschen nach ihrem | |
Alter und ihrem Beruf gefragt wurden. Er habe wartend mitbekommen, dass zum | |
Beispiel Gärtner von der SS nach rechts geschickt worden seien, während | |
etwa Maurer nach links gehen mussten. Als er vortreten musste, habe er | |
gesagt: „17 Jahre alt, Monteur“ und wurde nach links geschickt – zum | |
Weiterleben als Zwangsarbeiter in Auschwitz. | |
Sonder wurde in das Lager Auschwitz III Monowitz gebracht. Insgesamt | |
überstand er in Auschwitz 17 Selektionen, denn auch bei den | |
Sklavenarbeitern überprüfte die SS regelmäßig, wer noch am Leben bleiben | |
durfte. Einmal habe ihn ein Arzt, selbst Häftling, gerettet, als er schon | |
zu den zu Ermordenden gezählt worden war. Danach wurde Sonder zeitweise im | |
Block der Typhus-Kranken versteckt. | |
Auf die Frage, ob er einmal auch einen guten SS-Angehörigen in Auschwitz | |
getroffen hätte, sagte Sonder: „Nein! Grundsätzlich nein!“ | |
## Zeugin Erna de Vries | |
Als letzte Zeugin trat am Freitag die 92-Jährige Erna de Vries aus | |
Kaiserslautern auf, die 1943 zwei Monate in Auschwitz verbringen musste, | |
bevor die Nazis sie in das KZ Ravensbrück schickten. De Vries, deren damals | |
bereits verstorbener Vater Christ war, weswegen sie in der NS-Terminologie | |
als „Mischling“ galt, schilderte, wie sie und ihre Mutter nach Auschwitz | |
deportiert wurden. | |
Dort erkrankte sie an eitrigen Wunden. Bei einer Selektion habe man sie zu | |
der Gruppe der zu Ermordenen gezählt, als im letzten Moment ein anderer | |
SS-Mann auftauchte, der den Auftrag hatte, „Mischlinge“ zur Arbeit nach | |
Ravensbrück zu sammeln. Das rettete ihr damals das Leben. Ihre Mutter, die | |
in Auschwitz blieb, sah sie nie wieder. | |
Der Prozess wird am nächsten Donnerstag mit der Vernehmung weiterer Zeugen | |
fortgesetzt. | |
12 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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