# taz.de -- Erneut möglicher NSU-Zeuge gestorben: Zeit für Antworten | |
> Wieder ist ein potenzieller Zeuge aus dem NSU-Komplex überraschend | |
> verstorben. Im Umfeld herrscht Todesangst. Nicht zu Unrecht. | |
Bild: Das Auto, in dem der Zeuge Florian H. 2013 ums Leben kam. Kleine Auswahl … | |
Hajo Funke, emeritierter Berliner Politikprofessor und Experte in diversen | |
NSU-Untersuchungsausschüssen, schrieb in seinem Buch „[1][Staatsaffäre | |
NSU“], dass Todesangst bei Zeugen und Todesfälle im Zusammenhang mit dem | |
NSU-Komplex so lange nicht aufhören würden, bis die „Struktur der | |
Hintermänner aufgeklärt“ sei. | |
Funke bezog sich damit auf eine Reihe aufsehenerregender Todesfälle im | |
Zusammenhang mit dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007, der | |
dem NSU zugeschrieben wird. Vieles spräche dafür, so Funke, dass die | |
Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Mord zumindest nicht | |
allein begangen haben könnten. | |
Die bittere Voraussage Funkes könnte sich bestätigen: Wie jetzt öffentlich | |
wurde, ist am Montag, den 8. Februar 2016, Sascha W. tot aufgefunden | |
worden. Er war der Verlobte von Melisa M., die ihrerseits [2][vor einem | |
Jahr] verstorben ist. Sie wiederum war die Exfreundin von Florian H., der | |
im [3][September 2013] Suizid begangen haben soll. | |
Florian H. und Melisa M. ist gemeinsam, dass sie Aussagen zum | |
Kiesewetter-Mordfall in Heilbronn gemacht haben. Florian H. starb an dem | |
Tag, an dem er von Ermittlern des LKA vernommen werden sollte. Er | |
verbrannte im September 2013 in seinem Auto auf den Stuttgarter Canstatter | |
Wasen. Die ermittelnden Behörden sprachen von Suizid. Zuvor hatte der | |
Nazi-Aussteiger behauptet, er wisse, wer Kiesewetter ermordet habe. | |
## „Da stimmt was nicht“ | |
Seine Exfreundin, Melisa M., sagte zwei Jahre später nicht öffentlich vor | |
dem baden-württembergischen Untersuchungsausschuss zum NSU aus. Vier Wochen | |
nach dieser Aussage starb sie mit zwanzig Jahren an einer Lungenembolie. | |
Laut Gerichtsmedizin „dürfte“ die Ursache in einer bei einem Motorradunfall | |
eine Woche zuvor erlittenen Verletzung gelegen haben. | |
Im Fall Sascha W. hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe eine Obduktion | |
angeordnet, weil keine natürliche Todesursache festgestellt werden konnte. | |
Auch für ein Fremdverschulden gebe es „bislang keine Anhaltspunkte“, so | |
Sprecher Tobias Wagner gegenüber [4][heise.de]. Laut dem vorläufigen | |
Obduktionsergebnis deute für die Staatsanwaltschaft Karlsruhe alles auf | |
einen Suizid hin, zumal es eine elektronisch verschickte Abschiedsnachricht | |
gäbe. | |
Mit dem endgültigen Ergebnis sei in mehreren Wochen zu rechnen, so Wagner | |
zur taz. Zudem gebe es noch Ermittlungen im Umfeld des Toten, die eine | |
mögliche Motivation für den Suizid belegen sollen. Anders als Florian H. | |
und Melisa M. habe Sascha W. keine direkten Aussagen zum NSU-Komplex | |
gemacht, betonte Wagner. | |
Hajo Funke sagt zu dem Fall: „So viele Tote aus Selbstmordgründen? Da | |
stimmt was nicht. Es ist ein Muster. Es gibt im Umfeld von der verstorbenen | |
Melisa M. Menschen, die riesige Angst von einer Mischszene von | |
rechtsextremer und organisierter Kriminalität (OK) haben. Die Angst ist | |
nicht unbegründet.“ | |
## Der Staat muss die Zeugen schützen | |
Sascha W. ist bereits der fünfte mögliche tote Zeuge seit dem Auffliegen | |
des NSU: 2009 fand man die verbrannte Leiche von Arthur C., sein Name | |
tauchte in den Ermittlungsakten zum Kiesewetter-Mord auf. Thomas R., auch | |
bekannt als V-Mann „Corelli“, war mehr als 18 Jahre lang für den | |
Verfassungsschutz aktiv. Er erlag einer angeblich unerkannten Diabetes. | |
Sein Name stand auf einer bei NSU-Mitglied Mundlos gefundenen Adressliste. | |
Laut Funke spreche alles dafür, dass Florian H. in den Tod getrieben wurde. | |
Ob er Aufklärung durch das Innenministerium fordere? „Fordern? Es ist | |
zuständig: Die sollen ihren Job machen! Das Ministerium muss Einfluss | |
nehmen auf das LKA und das Landesamt für Verfassungsschutz | |
Baden-Württemberg (LfV). Wie viele Menschen sollen noch sterben, bis etwas | |
geschieht?“ | |
Der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss kam zu dem [5][Ergebnis], dass | |
„der Verdacht gezielter Sabotage“ im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex | |
naheliegend sei. Damit wurde erstmals vonseiten des Staates formuliert, was | |
unabhängige Beobachter schon lange sagen. Jetzt müssen die Institutionen | |
endlich unter Beweis stellen, dass sie diejenigen schützen wollen, die zur | |
Aufklärung beitragen könnten: Viele dürften nicht mehr übrig sein. | |
16 Feb 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://kontur-verlag.de/Nationalsozialismus-und-Rechtsextremismus/Staatsaff… | |
[2] /NSU-Ausschuss-in-BaWue/!5014651 | |
[3] /Tod-eines-mutmasslichen-NSU-Zeugen/!5018326 | |
[4] http://www.heise.de/tp/artikel/47/47412/1.html | |
[5] http://www.thueringer-landtag.de/mam/landtag/aktuell/2014_8/drs58080.pdf | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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