# taz.de -- Forscher und Aktivist Hajo Funke: Der Zweifler | |
> Die NSU-Mordserie war für den Politikwissenschaftler einschneidend. Sie | |
> machte ihn zum größten Kritiker des Verfassungsschutzes. Ein Portrait. | |
Bild: Bücher, Klavier und Katze: im Arbeitszimmer von Hajo Funke | |
Berlin/ Stuttgart taz | Die Verabredung ist schon fix, für diesen Herbst. | |
In die Berliner Außenstelle des Verfassungsschutzes ist Hajo Funke geladen, | |
Treptow, im Osten der Stadt. Zum Präsidenten persönlich, Hans-Georg Maaßen. | |
Auf Fachtagungen hatte Funke mit dem obersten Verfassungsschützer an | |
Stehtischen Small Talk gehalten. Jetzt wollen sich beide, der | |
Wissenschaftler und der Geheimdienstchef, näher kennenlernen. Es dürfte | |
kein Small Talk mehr werden. | |
Denn Anfang August setzte sich Funke an seinen Laptop, schrieb einen neuen | |
Beitrag für seinen Blog. Eine Rücktrittsforderung, gerichtet an Hans-Georg | |
Maaßen. „Ohne Maß und Mitte“, titelte Funke. Da wurden gerade die | |
Ermittlungen wegen Landesverrat gegen zwei Netzpolitik-Journalisten publik, | |
ausgelöst vom Verfassungsschutz. Nach den NSU-Vertuschungen „die zweite | |
Ungeheuerlichkeit“, hielt Funke empört fest. Maaßen „sollte so schnell wie | |
möglich zurücktreten, um dieses Schattenreich auf ein rechtsstaatliches | |
Amtsverständnis zurückzuschneiden“. | |
Hajo Funke ist eine Koryphäe. 25 Jahre forschte der 70-Jährige zum | |
Rechtsextremismus in Deutschland, bis auf einen Aufenthalt in Berkeley | |
stets an der Freien Universität Berlin. Kaum einer tut es so emsig: 19 | |
Bücher schrieb Funke. Untersuchte Rassismus bei Ostdeutschen nach der | |
Wende, forschte über die Republikaner, sezierte das deutsche NS-Gedenken. | |
Auch nach seiner Emeritierung 2010 ließ Funke nicht locker. Erst recht | |
nicht, als 2011 der NSU aufflog. | |
Eine rechte Mordserie mit neun toten Migranten und einer Polizistin – damit | |
hatte selbst Funke nicht gerechnet. „Jahrelanges Morden, so verdeckt, das | |
hätte ich nicht erwartet“, sagt er noch heute. Mit der NSU-Aufklärung ist | |
Funke wieder gefragt. In drei Untersuchungsausschüssen sprach er als | |
Sachverständiger. Kaum eine TV-Dokumentation zu dem Thema, die Funke nicht | |
heranzieht. | |
Nun hat er auch selbst nachgelegt. Gerade veröffentlichte Funke ein Buch, | |
406 Seiten stark: „Staatsaffäre NSU“. Es ist eine Abrechnung über „einen | |
Machtkampf gegen die Wahrheit“. Und es ist ein Bruch. | |
## Plötzliche Politisierung | |
Es ist nicht so, dass Funke das Staatshandeln nicht von jeher kritisch | |
hinterfragte. Als Student nimmt er am 2. Juni 1967 in Berlin an der | |
Demonstration gegen den Schah-Besuch teil. Dort wird Benno Ohnesorg, auch | |
er Student, erschossen. Es ist Funkes Politisierung, „über Nacht“, wie er | |
sagt. An der Universität tut sich Funke später mit ProfessorInnen im linken | |
Dienstagskreis zusammen, unterstützt Studierenden-Proteste. | |
Aber Funke stellte sich nie außerhalb des Systems. Das Bundeskriminalamt | |
lud ihn zu Tagungen, die Richterakademie als Redner. Als er über Neonazis | |
in Oranienburg forschte und sich in einem lokalen Anti-rechts-Bündnis | |
engagierte, tauschte er sich auch mit Verfassungsschützern aus. Alles kein | |
Problem. Dann kam der NSU. | |
Die rechte Terrorserie sei eine „Sicherheitskatastrophe“, begleitet von | |
einer „langen Kette“ an „Vertuschungen und Sabotage“, schreibt Funke in | |
seinem Buch. „Systematisch“ seien die untergetauchten Beate Zschäpe, Uwe | |
Mundlos und Uwe Böhnhardt „vor ihrer Entdeckung geschützt worden“. Man | |
müsse fragen, ob die Behörden an der „Terrorstrategie“ gar „beteiligt | |
waren“. Schuldig, allen voran: der Verfassungsschutz. Dieser führe ein | |
„Schweigekartell“ an, sei „unkontrollierbar“, ein „Staat im Staat“. | |
Schwerste Geschütze. Hat Funke das Vertrauen in den Staat verloren? Der | |
70-Jährige sitzt in seinem Wohnzimmer im bürgerlichen Westberlin, es | |
herrscht akademisches Chaos. Bücher türmen sich überall, in der Ecke ein | |
aufgeklapptes Klavier, zwischen allem streicht die Katze herum. Die Frage | |
nach dem Staatsvertrauen lässt Funke innehalten, er macht den Blick streng. | |
„Sagen wir so“, antwortet er, „mein Misstrauen ist unendlich gewachsen“. | |
## Nüchterne Fassade | |
Monatelang hat sich Funke durch die NSU-Ermittlungen gegraben. Mit jedem | |
Detail verlor er mehr den Glauben. V-Leute des Verfassungsschutzes in | |
rechten Spitzenpositionen, die Gewalt anheizten und sich im NSU-Umfeld | |
bewegten – und der Geheimdienst wusste nichts davon? Das Amt gab Hinweise | |
nicht weiter, aus „Quellenschutz“. Schredderte Akten über Spitzel, als der | |
NSU bekannt wurde. | |
„Ich habe so was nicht erwartet“, gesteht Funke. „Es hat mich in eine Art | |
Dauerschock versetzt.“ Funke spricht an diesem Augustnachmittag seine | |
Empörung ruhig aus, sie ist eingehegt hinter der Fassade des nüchternen | |
Wissenschaftlers. Er kramt Notizen heraus, zeichnet Skizzen, will alles | |
genau belegen. Es gibt auch andere Momente. Dann sitzt Funke hinten in den | |
NSU-Untersuchungsausschüssen, kommentiert halblaut Zeugenaussagen, ärgert | |
sich über Fragen der Abgeordneten, schüttelt schimpfend den Kopf. | |
Funke lassen die Ungereimtheiten nicht los. Er reist durch die Republik. | |
Zum NSU-Prozess in München, in die Untersuchungsausschüsse der Länder. Als | |
in Stuttgart Florian Heilig, ein junger ehemaliger Neonazi in seinem Auto | |
verbrennt, kurz bevor ihn Beamte nochmals zu seinen Hinweisen zum NSU | |
befragen wollen, besucht Funke dessen Familie. Er wird zu deren Vertrauten, | |
nimmt Handy, Laptop, Camcorder und externe Festplatte des Verstorbenen an | |
sich, um sie von einem Spezialisten auswerten zu lassen. Den | |
Sicherheitsbehörden ist ja nicht mehr zu trauen. | |
## Er lässt nicht locker | |
Nicht zum ersten Mal wird Funke jetzt selbst zum Aufklärer, zum Aktivisten. | |
Als Mitte der 1990er Jahre der Bosnienkrieg tobt, reist Funke nach | |
Sarajevo. Als 2003 die Irak-Invasion der USA bevorsteht, fliegt er nach | |
Bagdad. Funke war nie Forscher im stillen Institutskämmerchen. Er will sich | |
selbst ein Bild machen, Konflikte begreifen, so nah ran wie möglich. Und | |
das nicht nur als Forscher – wie jene betonen, die ihn kennen: Funke sei | |
Demokrat durch und durch, den nicht loslasse, wenn sich Gewalt in | |
Gesellschaften bricht und vereinbarte Regeln fallen. Sei es durch Neonazis. | |
Sei es durch Institutionen. | |
In Stuttgart aber wird Funkes Rollenwechsel zum Problem. Seit Wochen pochen | |
die Mitglieder des Untersuchungsausschusses auf die versprochene Herausgabe | |
der Datenträger, sprechen von „Verschleppung“. Funke saß deshalb im Juli | |
wieder dort – diesmal nicht als Experte, sondern als Zeuge. Er, der dem | |
Ausschuss schon mal mangelnden Aufklärungswillen vorwarf, mauerte selbst. | |
Er könne nichts machen, sagte Funke, begleitet von einem Anwalt. Die | |
Auswertung der Datenträger dauere teilweise noch an, teils seien diese | |
wieder bei der Familie. Er berief sich auf seinen Quellenschutz als | |
Publizist. | |
Es wirkte, als verheddere sich der Professor in seinen vielen Rollen: als | |
Beobachter, als Aktivist, als Vertrauter der Familie Heilig und als | |
nüchtern analysierender Sozialwissenschaftler. Der Ausschussvorsitzende | |
Wolfgang Drexler, temperamentvoller Schwabe und SPD-Mann, drohte, Funke | |
bewege sich auf dünnem Eis. Für die Aussageverweigerung habe er „kein | |
Verständnis“. Im Ausschuss erwägt man nun eine Beschlagnahme der | |
Datenträger, die Staatsanwaltschaft ermittelt. | |
## „Ich bin Empiriker“ | |
In seinem Berliner Wohnzimmer schüttelt Funke den Trubel ab. Er habe sich | |
aus der Sache herausgezogen, sagt er. Auch um sich selbst zu schützen. Nun | |
stellt Funke wieder Fragen. | |
Der Ausschuss in Stuttgart ist inzwischen überzeugt, dass Florian Heilig | |
sich selbst tötete: vielleicht aus Liebeskummer, vielleicht aus psychischer | |
Labilität. Für Funke ist das: Unsinn. Heilig wurde „in den Tod getrieben“, | |
weil er bedrängt wurde von Neonazis und Polizei. Für Aufklärung könnte er | |
in dieser Frage selbst sorgen, wenn er mithelfen würde, die Datenträger | |
vorzulegen. | |
Der Ausschuss geht auch davon aus, dass der Mord an der Polizistin Michèle | |
Kiesewetter in Heilbronn Böhnhardt und Mundlos zugeschrieben werden kann, | |
bei denen sich die Tatwaffen fanden. Funke hält auch das für Unsinn. Hätten | |
doch Zeugen geschildert, dass mindestens fünf Personen an der Tat beteiligt | |
waren und kein Phantombild passe auf Mundlos und Böhnhardt. | |
Dass Experten die Bilder als fragwürdig einstufen, dass sich Zeugenaussagen | |
widersprechen – stimmt alles nicht, sagt Funke. In seinem Buch wirft er | |
noch ganz andere Fragen auf. Kann es sein, dass die beiden NSU-Terroristen | |
beim Bombenanschlag 2004 in Köln „staatlich observiert“ wurden? Dass | |
Mundlos und Böhnhardt sich nicht selbst erschossen, sondern ermordet | |
wurden? Dass die Polizistin Kiesewetter sterben musste, weil sie „zuviel | |
wusste“, über rechte Verstrickungen in der Polizei? | |
Funke lässt hinter vielem ein Fragezeichen. Ganz festlegen will er sich | |
nicht. Aber er schafft so Stoff für die, die im NSU-Komplex inzwischen | |
alles für eine große Verschwörung halten. Andererseits bohrt Funke auch in | |
jenen Fragen, die bis heute tatsächlich rätselhaft sind. Und behauptet | |
nicht selbst der frühere CDU-Obmann des NSU-Ausschusses im Bundestag, | |
Clemens Binninger, dass Kiesewetter kein Zufallsopfer war und mehr als zwei | |
Täter vor Ort gewesen sein müssen? Wieder ein Fragezeichen. | |
„Ich bin Empiriker“, sagt Funke. „Ich nehme Indizien ernst.“ Und so lan… | |
etwas nicht sicher ausgeräumt sei, müsse er Fragen stellen dürfen. | |
## Ein Rest an Staatsräson | |
In seinem Buch gibt Funke auch Antworten. Als Reaktion auf das NSU-Versagen | |
brauche es einen gesellschaftlichen Aufbruch. Die Forderung, den | |
Verfassungsschutz abzuschaffen, nimmt er nicht in den Mund. So viel | |
Staatsräson ist dann doch noch. Aber: Es bedürfe einer Reform an „Haupt und | |
Gliedern“, V-Leute gehörten abgeschafft und die Abteilung Rechtsextremismus | |
aufgelöst. Sonst, so Funke, existiere die „Gefahr der Wiederholung“. | |
Was Verfassungsschutzpräsident Maaßen wohl dazu sagt? Funke ahnt es: „Er | |
wird all das nicht machen. Maaßen will keine Aufklärung, keine Reform und | |
keine Kontrolle seines Dienstes.“ | |
An dem Treffen mit ihm hält er dennoch fest. Er wolle mit Maaßen | |
diskutieren, sagt Funke, „etwas Druck machen“. Am Ende geht es für ihn doch | |
immer darum: Er will etwas verändern. | |
10 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Benno Stieber | |
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