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# taz.de -- Jochen Distelmeyer über Rollenklischees: „Alles ist ganz diffus�…
> Früher sang Jochen Distelmeyer für die Band Blumfeld, heute singt er
> Songs von Lana Del Rey. Ein Gespräch über Stereotype und
> Geschlechterperspektiven.
Bild: „Der Moment ist entscheidend“: Jochen Distelmeyer guckt ernst.
Auf seinem neuen Album „Songs from the Bottom Vol. 1“ (Four Music/Sony)
inszeniert sich Jochen Distelmeyer, der ehemalige Sänger und Gitarrist der
Hamburger Band Blumfeld, als gewiefter Interpret von zwölf
englischsprachigen Songs, unter anderem von Britney Spears, Lana Del Rey
und Radiohead. Meist sparsam mit Gitarre und Klavier instrumentiert und
arrangiert, stellt der 48-Jährige dabei vor allem seine Stimme in den
Vordergrund.
taz.am wochenende: Jochen Distelmeyer, „Beautiful Cosmos, das Finale Ihres
neuen Albums stammt von Ivor Cutler, einem britischen Exzentriker, der auch
im Beatles-Film „Magical History Tour“ mitspielt. Machen Sie mit Ihrem
Album auch so etwas wie eine „Magical History Tour“ durch verschiedene
Popepochen?
Jochen Distelmeyer: Ja, es ist ausschließlich Musik, die ich gut finde, ich
fühle sie sogar. Sie beruht auf Haltungen oder Ansätzen von Songwriting,
von denen ich glaube, dass sie etwas mit meiner eigenen Arbeit zu tun hat.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Songauswahl getroffen?
Während der Lesereise für meinen Roman „Otis“ im vergangenen Jahr habe ich
immer einige Coverversionen gespielt, Stücke, die ich etwa gehört habe, als
ich geschrieben habe. „Just like this train“, „I could be the one“ und
„Bitter Sweet Symphony“ gehören vom Gefühl her auch zusammen, die Songs
erzählen etwas gemeinsam.
Und was?
Sie handeln von Hadesfahrten. Durchgängen, Eingängen in Löcher, Leaks und
Literatur. Mit dem Titel „Songs from the Bottom“ deute ich an, dass es ums
Abtauchen in Tiefen und Keller geht. „I take you down“, wo wir uns alle
irgendwann treffen werden.
Wie machen Sie die Songs zu Ihren eigenen Versionen?
Das geschieht, weil sie mich als Songs ansprechen, selbst ein Lied wie
Aviciis „I could be the one“, das ich zuerst im Autoradio hörte und bei dem
ich zunächst dachte, er sei ein bisschen stumpf zusammenarrangiert, aber
die Hooks, die Melodieführung, den Text, fand ich sofort touchy. Mich
erinnert diese Art von Songwriting durch Majorlabel-Kontrollgremien etwa
bei Britney Spears „Toxic“ auch an eine bestimmte Songwriting-Kultur, wie
es sie in Nashville gab: An Countrysongs waren meist mehrere Komponisten
beteiligt, wie ein Chor.
Wie war das bei „Videogames“ von Lana Del Rey?
Damit verhält es sich ein wenig anders. Als das Stück 2010 auftauchte,
korrespondierte es mit der seit 9/11 spürbaren Verunsicherung der
geschlechtlichen Rollenverständnisse, wie sie auch in den US-Fernsehserien
zu sehen ist. „Videogames“ war in den USA und in England gar nicht
veröffentlicht worden. Erst auf Initiative der deutschen Universal wurde
der Song zum Hit. Lana Del Rey besingt darin augenzwinkernd ein spießiges
Rollenverständnis. Der große Erfolg ihres Stücks beruht auf seinem Angebot
einer rückwärtsgewandten Vorstellung von Männlein und Weiblein.
Lana Del Rey entspricht vielen Klischeevorstellungen, die Deutsche von den
USA haben.
Richtig, ihre Musik hat viel mit Projektionen von Europa auf die USA zu tun
und umgekehrt. Trotzdem fand ich den Song sehr vielsagend, mich hat die
musikalische Tradition fasziniert, in der er inszeniert wurde, sein Bezug
zu Girlgroups wie den Ronettes. Wie diese wirkte auch Lana del Rey sehr
gemacht, sowohl, was ihren Song als auch, was das dazugehörige Video
anbelangt. Del Rey versuchte damit die Lücke zu füllen, die durch den Tod
von Amy Winehouse entstanden war.
Was passiert mit Ihnen als Mann, wenn Sie die weibliche Perspektive
einnehmen?
Kommt drauf an. Bei „Toxic“ wollte ich auf diesen sirenenhaften Ruf, der
Anrufung der Britney-Spears-Nymphe aus einer bluesigen Männerposition
antworten. Bei „Videogames“ wiederum ergeben sich dadurch, dass ich das aus
männlicher Perspektive singe, noch mal andere Bedeutungsebenen.
Welche?
Del Rey bietet ein Rollenklischee als okaye Position an. In dem Moment, in
dem ein Typ dies singt, ist das erst mal logisch. Trotzdem stimmt das, es
verweist für mich auf etwas, was ich in den Linernotes als “sexual politics
der Antike“ bezeichne. Ich habe die unbewusste Wahrnehmung von 9/11, dass
es weniger einen Clash der Kulturen und mehr einen Clash der Sexualmoral
gibt. Siehe auch die erste Staffel von „Homeland Security“, das sind alles
rassistische Stereotype, die darin zusammengeführt werden.
Was genau haben US-Fernsehserien mit Ihren Coverversionen zu tun?
Ich meine Lana Del Reys „Videogames“. In dem Moment, in dem ich das als Typ
singe, beanspruche ich genau wie sie: „I do it all for you“. Wir erleben
derzeit auf der politischen Agenda den Rachefeldzug des starken Mannes. Vor
dem Hintergrund einer durch 9/11 und Finanzkrise in Verruf geratenen
stereotypen Vorstellung von Männlichkeit. Entweder der weiße Ritter, der
rettet, oder der potenzielle Vergewaltiger und Aggressor. Das fing nicht
erst an Silvester in Köln an, das kam schon bei Dominique Strauss-Kahn zum
Vorschein. Ich glaube aber, Frauen und Männer sind gleich stark und gleich
schwach. Auch wenn Jungs das nicht gern hören, weil Fragen von sexual
politics immer nur über Bande debattiert werden: Da nie jemand direkt von
seinem Begehren spricht, entsteht eine babylonische Sprachverwirrung. Alles
ist ganz diffus.
Einen Song zu covern bedeutet ja, sich etwas anzuverwandeln, sich mit
fremden Federn zu schmücken. Bei „Songs from the Bottom“ wird von der
ersten Sekunde an klar, dass Sie singen, Ihre Stimme steht im Vordergrund.
Das ist Absicht. Man versteht dadurch, was erzählt wird. Dass „Bitter Sweet
Symphony“ etwa ein sehr geiler Text ist. Oder „Toxic“ oder die Bedeutung
des Songs „Turn Turn Turn“. Dann verfolge ich auch diesen Ansatz,
orchestral arrangierte Songs für mich auf ihre Essenz runterzustrippen. Ich
will damit zeigen, dass das, was uns da berührt, nicht nur die
Instrumentierung ist, das Gewand, in dem es dargebracht wird, sondern, es
ist schon auch der gemeinte Song.
Wie ist Ihre Gefühlslage, wenn Sie einen Song nachspielen? Ist das
vergleichbar mit einem Schauspieler, der eine Rolle verkörpert?
Wenn mir die historischen Fakten bewusst sind, die da mitschwingen,
reflektiere ich sie nicht mit. Bei mir ist eher der Moment entscheidend,
wann ich einen Song zum ersten Mal gehört habe, ob er mir was bedeutet, ob
ich ihn spielen und singen kann, so dass ich das Gefühl habe, es ist mein
Ding.
13 Feb 2016
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Jochen Distelmeyer
Geschlechterrollen
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Jochen Distelmeyer
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