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# taz.de -- Blumfeld-Comeback in Köln: 20 Jahre Schweigen
> Beim ersten Konzert nach ihrer Wiedervereinigung wird Blumfeld als
> wichtigste Band der Hamburger Schule gefeiert. Was bleibt vom Mythos?
Bild: Moment restaurativer Nostalgie: Blumfeld (Andre Rattay, Jochen Distelmeye…
Der Hubschraubersound ist noch der gleiche. Gut eine Minute brummen die
Rotoren über den Köpfen der 1.500 Zuschauer am Mittwochabend in der Kölner
Live Music Hall. Sie leiten Blumfelds Song „Draußen auf Kaution“ ein, den
Auftakt ihres zweiten Albums „L’etat et moi“.
Blumfeld selbst sind nicht auf Kaution draußen, sondern auf Bewährung. 2007
löste sich die Hamburger Band auf, nun 2014, haben sie sich zu einem
Comeback in Originalbesetzung als Trio entschlossen. Anlass ist der runde
Geburtstag von „L’etat et moi“. Vor 20 Jahren wurde das Werk
veröffentlicht, das den Mythos der Hamburger Band begründete.
Über zwölf Songs voller Gitarrenlärm und simplen Songwriting erzählte
Gitarrist und Sänger Jochen Distelmeyer davon, wie sich der Staat – schöne
Grüße an Michel Foucault – in alle Körper und Küsse hineinschreibt. „L�…
et moi“ – das war auch formvollendete Poesie, mit der der Sänger die
Sensibilität eines romantischen Dichters und die Collagentechnik von HipHop
verband.
Auch am Mittwoch waren Distelmeyers Songtexte wieder der Star, aber anders
als zu ihrer Entstehungszeit werden sie frenetisch mitgesungen. Blumfeld
sind Popstars und spielen ein Greatest-Hits-Set. Nach sechs Songs brechen
sie die werkgetreue Aufführung ab und tragen neuere Songs aus Distelmeyers
glücklosem Soloalbum im Sound von 1994 vor.
## Der lange Schatten des zweiten Albums
Der Zitatpop von Blumfeld wird so zum Selbstzitat. Auf den fünf Werken nach
„L’etat et moi“ arbeiteten Blumfeld daran, den langen Schatten ihres
zweiten Albums hinter sich zu lassen, am Mittwoch machten Blumfeld selbst
„L’etat et moi“ zu dem Album, das die Band definiert hat.
Distelmeyer selbst wirkte dabei wie immer zugleich berührt und unbeteiligt.
Mal rief er mit seiner weichen Stimme „Yeah“ ins Mikro, dann erklärte der
47-Jährige, wie sehr er sich über den „super“ Abend freue. Da war er nicht
der einzige. Erst nach fünf Zugaben wurde die Band von der Bühne gelassen,
als sich ein durchgeschwitzter Sänger auf der Bühne eine Zigarette
anzündete.
Dabei liegt in der Nonchalance, mit der sich Blumfeld an diesem Abend durch
ihre Klassiker spielen, gerade das Problem. Der fantastische „Verstärker“
einmal ausgenommen – bei dem Song ersetzt Feedback eines
Gitarrenverstärkers den Refrain – sind die Stücke von „L’etat et moi“…
sonderlich gut gealtert. Auffällig besonders, wenn man Blumfeld mit Sonic
Youth vergleicht, die sich vor einigen Jahren auf einer ähnlichen Tour
durch ihr Meisterwerk „Daydream Nation“ gespielt haben.
War die Sonic-Youth-Wiedereingliederung der Freeform-Gitarren in das Format
Popsong von „Daydream Nation“ doch Blaupause für den Sound von „L’etat…
moi“. Im Gegensatz zu den Vorbildern fehlt Blumfeld das Können am
Instrument, um den Lärm über das Songformat hinaus interessant klingen zu
lassen. Dass Jochen Distelmeyer nach „L’etat et moi“ erst die Chartsband
Münchner Freiheit und dann den Liedermacher Hanns Dieter Hüsch für sein
Songwriting entdeckte, geschenkt – Feedback wurde für Blumfeld zur
Sackgasse.
## Geschäftsgrundlage aller Beteiligter
Die Darbietung am Mittwochabend war mehr die Wiederholung bekannter
musikalischer, textlicher und körperlicher Gesten als ein Comeback der
Band, die „L’etat et moi“ komponiert hatte. Ursprünglich formulierte
Distelmeyer in den Texten eine Sensibilität für die Verbindung von Privatem
und Politischen, und traf eine Stimmung, die nach dem Scheitern des
Realsozialismus, den Pogromen von Hoyerswerda und Rostock und der linken
Rezeption von Cultural Studies und französischem Poststrukturalismus einen
historischen Moment artikulierte.
Dieser historische Moment ist längst vorbei, das Umfeld von damals
zerstreut, prekarisiert oder in der Realpolitik angekommen. So wird das
Comeback von Blumfeld zu einem Moment restaurativer Nostalgie – was haben
wir damals doch gedacht, geliebt und gehofft. Über die 20 Jahre, die
seitdem vergangen sind, zu schweigen, war am Mittwochabend
Geschäftsgrundlage aller Beteiligter, das Publikum inklusive. Die Ironie
ist, dass sich darin zeigt, wie viel Zeit vergangen ist. Blumfeld
verkauften zum Tourauftakt ihren „Spirit of 1994“ als All-Inclusive-Urlaub
vom Alltag. Vor 20 Jahren hätten sie sich den Eskapismus nicht getraut.
28 Aug 2014
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
Hamburger Schule
Köln
Hamburger Schule
Pop
Jochen Distelmeyer
Berlin
Musik
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