# taz.de -- Neues Album von Distelmeyer: "Kunst ist zu wenig fürs Leben" | |
> Der ehemalige Songschreiber von Blumfeld ist mit einem neuen Soloalbum | |
> zurück. Musiker Jochen Distelmeyer über seine Stimme, die Songs und den | |
> Hass. | |
Bild: Musiker Jochen Distelmeyer feiert sein Solo-Comeback. | |
BERLIN taz | Vor zwei Jahren verkündete Jochen Distelmeyer das Ende der | |
zwischen Zitat-Montagen, Lyrik und Pathos angesiedelten Band und läutet nun | |
mit dem A-capella-Stück "Regen" sein Solodebüt ein. "Ich gehe durch die | |
Straßen ohne Gott und ohne Geld/ und ich sing’, damit du weißt, ich war dir | |
treu," heißt es darin gefühlsdick, aber auch "nackt". | |
"Es erinnert an Sprechtexte von früheren Alben, und ich fand es ganz schön, | |
dass "Regen" die Platte so nackt, offen einleitet und dass aus dieser | |
Stille, aus diesem geträumten Traum schließlich die Feedbacks | |
hervorkommen," erklärt Jochen Distelmeyer im Interview. | |
Nackt, auch weil Jochen Distelmeyer auf seinem Soloalbum – bei dieser | |
Nummer sogar a-capella – seine Stimme äußerst rein, klar und popmäßig | |
einsetzt. Während Bob Dylan seine Stimme immer wieder stark verändert und | |
mystisch aufgeladen hat, setzt Distelmeyer diese nüchtern ein: „Bob Dylan | |
hat sich eine Stimme erfunden. Er hat sich quasi gegen seine eigene Stimme | |
entschieden. [...] Ich würde das nicht so machen, ich habe mir nie eine | |
Stimme erfunden." | |
Der 1967 in Bielefeld geborene Musiker hingegen bleibt sich auf ganzer | |
Linie treu. Der Kompositionsprozess hat sich für Distelmeyer auch nach | |
Blumfeld nicht geändert: "Geändert hat sich, wie ich mich gewissen mir | |
wichtigen Fragen stelle." Mit "Verbotene Früchte" war für ihn der | |
"Blumfeld-Zusammenhang abgeschlossen. [...] Das Bild war gemalt. Next." Vom | |
Blumfeld-Ende zum aktuellen Album "Heavy" führt eine direkte Linie und war | |
doch anders geplant: "Ich wusste von Anfang an, dass ich irgendwann eine | |
Platte machen würde, auch wenn ich mir vorgenommen hatte, das | |
Liederschreiben ein bisschen länger ruhen zu lassen. Das hat aber nicht | |
geklappt. Ich konnte mich diesem Sog nicht widersetzen." | |
Sich nicht widersetzen, Gefühle zuzulassen – in dem eingangs zitierten Song | |
"Hass" wird Jochen Distelmeyer zum Katalysator und Mediator für die großen | |
Gefühle: "Es geht auch darum, den Hass sein zu lassen, ihn anzugucken oder | |
bereit zu sein, ihn zu spüren. Ich bin manchmal überrascht, wie friedlich | |
und zivilisiert es hier auf den Straßen noch zugeht." | |
Ist das Lethargie oder Resignation? "Vielleicht ist es auch einfach ein | |
sehr gesunder Umgang. Ich weiß nur, dass etwas in der Luft liegt, was sich | |
für gewöhnlich immer irgendwie entlädt. [...] Aber vielleicht sind die | |
Leute wirklich schlauer geworden. Vielleicht auch nur verängstigter." Und | |
wenn man nun nach Jochen Distelmeyer den Haß transformiert, hat man dann | |
gute Kunst? "Für einen Song gilt das natürlich, aber fürs Leben reicht es | |
nicht, wenn es Kunst ist. Kunst, das ist zu wenig fürs Leben." | |
25 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Rüdenauer | |
## TAGS | |
Jochen Distelmeyer | |
Hamburger Schule | |
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