# taz.de -- Pressefreiheit in Marokko: Mal wieder vor Gericht | |
> Der marokkanische Journalist Anouzla muss nach einem „Bild“-Interview mit | |
> Haft rechnen. Er sagt, seine Aussagen seien falsch übersetzt worden. | |
Bild: Protest in Rabat. | |
Der marokkanische Investigativjournalist Ali Anouzla muss am Dienstag in | |
Rabat mal wieder vor Gericht. Schon 2013 wurde der Chefredakteur der | |
Internetzeitung Lakome wegen kritischer Berichterstattung verhaftet. Und | |
für die kürzliche Auszeichnung mit dem Raif-Badawi-Preis bekam er keinen | |
Applaus aus dem Königshaus. | |
Bei der Preisverleihung in Berlin im November gab Ali Anouzla Bild ein | |
Interview. Darin erwähnte er die sogenannten Roten Linien im marokkanischen | |
Königreich: Keiner darf über den Islam, die Monarchie und die | |
„territorialen Grenzen“ kritisch berichten. Letzteres wurde als „Situation | |
der besetzten Westsahara“ übersetzt. Deshalb startet wieder ein | |
Strafverfahren gegen Ali Anouzla. | |
„Der Nationalen Brigade der Justizpolizei habe ich erklärt, dass es um eine | |
falsche Deutung bei der Übersetzung geht. Diese Worte sind nicht meine, sie | |
spiegeln auch nicht meine Überzeugungen wider“, sagt Ali Anouzla und fügt | |
gleich hinzu: „Als unabhängiger Journalist, Freidenker und Demokrat habe | |
ich jedoch die Meinung, dass Menschen mit dieser Überzeugung ihre Meinung | |
äußern dürfen.“ | |
„Die Entscheidung des Regimes, Herrn Anouzla wegen dessen Äußerungen vor | |
Gericht zu stellen, erfüllt mich mit Abscheu“, sagt Julian Reichelt, | |
Chefredakteur von Bild.de. Diese Woche hat die Redaktion die Formulierung | |
im Text mucksmäuschenstill angepasst sowie mit einer Fußnote geschmückt. | |
Über Anouzlas Verfahren ist kein Wort zu lesen. „Wir haben die Übersetzung | |
des Dolmetschers übernommen. Zu Aufzeichnungen und Dokumentation äußern wir | |
uns nicht“, so Reichelt. | |
Der marokkanische Journalist ist nicht der Einzige, der nach der | |
Preisverleihung zurechtgewiesen wurde. „In den vergangenen Wochen wurden | |
von den marokkanischen Behörden Vorwürfe gegen die Projektarbeit der | |
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) in Marokko erhoben“, | |
erzählt Doris Bergmann, FNF-Pressereferentin. Die FNF hat die | |
Preisverleihung finanziell unterstützt. „Die Spielräume der | |
Zivilgesellschaft in bestimmten Bereichen sind enger geworden“, sagt | |
Bergmann. „Dazu gehört auch die Pressefreiheit.“ | |
## Sicherer Herkunftsstaat? | |
Auch der 32-jährige Samad Iach zählt zu den Journalist_innen und | |
Menschenrechtler_innen, denen das marokkanische Königreich vorwirft, „die | |
innere Sicherheit des Staates zu bedrohen“. Bei der Bewegung 20. Februar | |
(der marokkanischen Variante des arabischen Frühlings) hatte Iach die | |
Facebook-Seite Movement20 betreut. Jetzt arbeitet er als | |
Investigativjournalist für die Nachrichtenseite Lakome2, die Ali Anouzla | |
vor fünf Monaten ins Leben aufgerufen hat, da Lakome seit 2013 vom Staat | |
blockiert wird. „Diese Strafverfolgungen sind eine Art Abrechnung mit | |
denjenigen, die Freiheit, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit | |
verlangen“, bedauert der junge Redakteur. „Ich kann jetzt bis zu fünf Jahre | |
Gefängnis kriegen.“ | |
Einem „sicheren Herkunftsstaat“ à la Bundesregierung entsprechen solche | |
Arbeitsbedingungen nicht. Ali Anouzla berichtet ferner: „Die Behörden | |
verwenden auch illegale Methoden bei ihren Kontrollen wie Telefon- und | |
Mailüberwachung, Strafverfolgung, Einschüchterung, Bestechung. Unabhängige | |
Journalisten in Marokko befinden sich wie auf einem Minenfeld: Wir wissen | |
nicht, wann es explodiert.“ Der Journalist gibt zu, dass er inzwischen | |
immer häufiger zur Selbstzensur greife, um Probleme zu vermeiden. | |
2011 wurde in Marokko eigentlich eine Verfassung angenommen, die die | |
Menschenrechte stärkt. Seitdem beobachten jedoch zivilgesellschaftliche | |
Organisationen deutliche Rückschritte in Bezug auf die Meinungs-, | |
Versammlungs- und Pressefreiheit. Mehr als 40 Verfahren wurden im | |
vergangenen Jahr gegen Journalist_innen eingeleitet. 2015 stand Marokko auf | |
Platz 130 von 180 auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne | |
Grenzen. | |
„Wir dachten, mit dem Arabischen Frühling seien unsere Ängste gefallen“, | |
sagt Ali Anouzla. „Aber nein: Wir sind immer noch von einem Klima voller | |
Ängste geprägt.“ | |
Sicherheit im Königreich Marokko? Davon können viele Menschen derzeit nur | |
träumen. | |
5 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Charlotte Noblet | |
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