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# taz.de -- Flüchtlinge und Holocaustgedenken: Das Trauma am Ende der Treppe
> Museen und Gedenkstätten suchen nach neuen Wegen, um Flüchtlinge über
> Nationalsozialismus und Holocaust zu informieren.
Bild: Die Geschichte des Holocaust auch an Flüchtlinge zu vermitteln, ist für…
Berlin taz | Die Luft staut sich, die Zellenwände drücken. Die Gedenkstätte
des Gestapo-Gefängnisses Köln katapultiert die Gräuel der NS-Zeit ins Jetzt
– und den jungen Flüchtling zurück in den Krieg. Unvermittelt rastet er
aus. Stürzt nach vorne. Sein Kopf prallt gegen eine Wand. Fest muss ihn ein
Mann umklammern, bis er sich wieder beruhigt.
Die beklemmende Enge hat den jungen Asylbewerber in sein eigenes Trauma
zurückgeworfen, als er mit seiner Berufsschulklasse das
NS-Dokumentationszentrum in Köln besucht und die steile Treppe in das
ehemalige Gefängnis hinabsteigt.
„Niemand war darauf vorbereitet“, sagt Barbara Kirschbaum, Leiterin der
Bildungsarbeit in der Gedenkstätte. Ihre Einrichtung sei daher „sehr
zurückhaltend“, wenn es darum geht, die dortige Geschichte an Flüchtlinge
zu vermitteln, die noch nicht lange hier sind. Es sei wichtig, vorab viel
zu besprechen. „Und eventuell wird man die Gedenkstätte rauslassen.“ Denn
egal, wie gut die Vorbereitung auch sei: Am Ende der Treppe überfalle
manche wieder die Erinnerung an die eigenen traumatischen Erlebnisse, sagt
Kirschbaum.
Solche Erfahrungen zeigen, vor welche Herausforderungen die Museen und
Gedenkstätten sich derzeit gestellt sehen – vor allem, wenn Integration von
Geflüchteten in Deutschland nicht nur Spracherwerb und Arbeit bedeutet,
sondern auch das Verständnis der deutschen Geschichte einschließen soll.
Aktuell suchen immer mehr Einrichtungen, die Ausstellungen über den
Holocaust und den Nationalsozialismus organisieren, Zugang zu den
Flüchtlingen, die in diesen Tagen ins Land kommen.
Das Jüdische Museum Frankfurt zum Beispiel will dafür schon in den
Erstaufnahmeeinrichtungen ansetzen, wie die Sprecherin des Museums, Daniela
Unger, sagt. Ab März sollen DolmetscherInnen auf Initiative des
Kulturdezernats kostenlose Führungen begleiten. Vorab würden
MuseumspädagogInnen für traumatisierte Menschen sensibilisiert. Dabei sei
es besonders wichtig, „zu zeigen, wie viele Parallelen es zwischen Islam
und Judentum gibt“, sagt Unger.
Auch andere Kultureinrichtungen wie das Jüdische Museum Berlin und die Alte
Synagoge Essen gehen diesen Weg. Der Grund dafür ist ein verbreitetes
Unbehagen vor einem Antisemitismus, den besonders Flüchtlinge aus Nahost
womöglich im Gepäck haben.
## Überrascht von der Brutalität des Holocaust
Die Sorge ist nicht unbegründet, sagt Micha Brumlik, ehemaliger Direktor
des Fritz-Bauer-Instituts, das sich mit der Geschichte des Holocaust
befasst. „Speziell bei Flüchtlingen aus dem muslimisch-arabischen Raum sind
Judentum und Israel häufig – nicht ausschließlich und nicht nur – mit ein…
israelfeindlichen antisemitischen Bedeutung versehen.“
Museen müssten daher „den gemeinsamen Hintergrund und Ursprung“ der
Weltreligionen betonen. Problematisch sei die Lesart in manchen
Kulturräumen, die NS-Zeit als modernes Aufbegehren gegen Kolonialismus und
Imperialismus zu sehen. Er plädiert daher für ein „realistisches Bild des
Nationalsozialismus“ mit all dem Grauen, das er über Juden und andere
Gruppen gebracht hat. Brumlik: „Man muss das in aller Drastik präsentieren,
mit schockierenden Fotografien und Filmen.“
Mancher Asylsuchende sei „überrascht von der Brutalität“ des Holocaust, d…
im arabischen Raum mit dem „Feindbild Israel“ oft kein Thema ist, sagt
Samuel Schidem. Der Dozent für politische Bildungsarbeit mit Schwerpunkt
Nationalsozialismus und arabische Welt versucht seit zwei Jahren in
Flüchtlingseinrichtungen Workshops zum Thema anzubieten. Denn es brauche
nicht nur Sprachkurse, sondern auch Informationen zum „Asylrecht, dem
geschichtlichen Hintergrund und was das auch mit dem Holocaust zu tun hat“.
Bislang stoße er damit auf Ablehnung: „Die meisten Einrichtungen haben
Angst, dieses Fass aufzumachen.“
## Führungen auf Arabisch geplant
Wichtig sei, zwischen Historie, aktueller Politik in Israel und jüdischem
Leben zu unterscheiden, sagt Uri Robert Kaufmann, Leiter der Alten Synagoge
Essen. „Wir sind ein städtisches Museum und keine Außenstelle des
israelischen Außenministeriums.“ Fassungslos erinnert er an geplante
Angriffe gegen sein Haus bei einer Anti-Israel-Demonstration vor eineinhalb
Jahren. Um jüdische Kultur differenziert auch an Geflüchtete zu vermitteln,
plant er Führungen auf Arabisch, speziell für Erstaufnahmeeinrichtungen.
In der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin geht
man das Thema andersherum an. Gerade werden Module zu „Rassismus in der
Mehrheitsgesellschaft“ erarbeitet. Elke Gryglewski, Leiterin der
Bildungsabteilung, warnt vor Pauschalisierungen: Man müsse untersuchen,
„was an dem angeblichen Antisemitismus bei Geflüchteten tatsächlich real
ist“.
Rückwirkungen des Nahostkonflikts auf Deutschland und auch Antisemitismus
sind im Jüdisch-Islamischen Forum des Jüdischen Museums Berlin durchaus ein
Thema. Doch auch dessen Pressesprecherin Katharina Schmidt-Narischkin
betont: „Wir sind keine politische Institution, setzen uns aber mit
gesellschaftspolitischen Themen auseinander.“
Beim Zugang zu Geflüchteten setzt die Einrichtung auf ein kreatives
Programm, teilweise mit spielerischem Zugang: Kinder in Notunterkünften
können T-Shirts auf Hebräisch bedrucken und werden demnächst ins Museum
eingeladen, um jüdische Hefezöpfe und Ramadan-Pide zu backen. Für
Flüchtlingsklassen gibt es seit Herbst einen Workshop zu Immigration.
Bisher hat den nur die B.-Traven-Oberschule in Berlin-Spandau genutzt, doch
weitere Anmeldungen gibt es.
Das mobile Projekt des Jüdischen Museums Berlin reist seit 2007 durchs
Land, es beschäftigt sich seit Oktober auch mit Flüchtlingsklassen. Das
Jüdische Museum München arbeitet derzeit „punktuell“ mit Flüchtlingsklas…
zusammen, wie Sprecherin Angela Brehm erklärt.
Bei der Beschäftigung mit Nationalsozialismus, Holocaust und Judentum müsse
den LehrerInnen und MuseumspädagogInnen klar sein: Jeder Flüchtling hat ein
anderes Vorwissen, eine andere Geschichte. Den jungen Asylbewerber, der im
Keller des ehemaligen Gestapo-Gefängnisses die Fassung verlor, kannte
niemand. Er ging erst seit zwei Tagen auf die Berufsschule.
27 Jan 2016
## AUTOREN
Astrid Ehrenhauser
## TAGS
Holocaust-Gedenktag
Holocaust
Pädagogik
Flüchtlinge
Antisemitismus
Donald Trump
Adolf Hitler
Islam
Jakob Augstein
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