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# taz.de -- Die Wahrheit: Schieb ab, Mann!
> In Bayern flutscht‘s mal wieder gehörig: Flüchtlinge im Freistaat
> bearbeiten ihre Anträge jetzt einfach selbst.
Mustafa K. starrt ins grün-weißliche Verwirrspiel des Bearbeitungsbogens 26
a und murmelt in seinen struppigen Islamistenbart: „Kreuz gemacht, zweite
Reihe, einmal unten Strich, Paragraf 12 ff!“. Was zunächst sehr befremdlich
wirkt, ergibt Sinn, wenn man weiß, dass Mustafa Teilnehmer an einem neuen,
bisher im Verborgenen wirkenden bayrischen Pilotprojekt ist, das sich zum
Ziel gesetzt hat, die Bearbeitungszeiten von Asylanträgen drastisch zu
verkürzen.
Der Clou an der Sache sei, wie der Brauamtssekretär a. D. Hans-Martin
Hublmoser stolz erklärt: „Es kostet weder mehr Geld, noch müsse man extra
jemanden dafür einstellen. Außer mich natürlich!“ Der frühere
Oberverwaltungsrat wurde speziell für diese Aufgabe aus dem Ruhestand in
den aktiven Staatsdienst zurückversetzt, um den massenhaft ins schöne
Bayern strömenden Flüchtlingen sprichwörtlich Beine zu machen.
Das lange Warten auf einen Asylbescheid soll ein Ende finden, die Prozesse
deutlich optimiert und Abschiebungen sollen schneller umgesetzt werden –
das sind die offiziellen Ziele des Projekts „Retourkutsche“, wie es in
Kreisen der bayerischen Regierung genannt wird. Für Mustafa und seine
vielen Kollegen heißt es einfach: „Schieb ab, Mann!“
Er sitzt deshalb acht Stunden täglich in einem heruntergekommenen
Bürogebäude in München-Neuperlach und sichtet Formulare. „Macht er Kreuz
hier, hat er schon verloren“, erklärt Mustafa in vergleichsweise gutem
Deutsch und schränkt gleich wieder ein: „Es sei denn, er sagt, dass er
schiitisch-jüdischer Hisbollah-Peschmerga ist, dann lass ich ihn drin.“ Das
komme zwar selten vor, müsse aber wegen der Härtefallregel so gemacht
werden.
## Kompliziertes Regelwerk
Generell scheinen die Regeln, nach denen die Flüchtlinge ihre Asylanträge
bearbeiten, sehr kompliziert zu sein. So dürfen nur Muslime die Anträge von
Christen bearbeiten, Juden wiederum nur die von Muslimen. Schiiten
bearbeiten Sunniten und Orthodoxe bearbeiten Aleviten. Den
liegengebliebenen Rest macht die Putzfrau während der Nachtschicht.
Alle neuen Sachbearbeiter sind gut vorbereitet, sie haben vor
Arbeitsantritt den Leitfaden „Fälle, Fakten, Formulare“ sowie einen
Crashkurs in Beamtendeutsch erhalten. So sind sie in der Lage, einwandfrei
Paragrafen zu zitieren, können aber andererseits nicht mal beim Bäcker
Brötchen kaufen. „Macht nix“, sagt Mustafa, „ich hasse Gebäck!“
Die Verantwortlichen scheinen nach den ersten sechs Wochen Testbetrieb
zufrieden zu sein. „Das Projekt ist ein großer Erfolg“, meint
Chef-Abschieber Hublmoser, der sich selbstverliebt den Schnurrbart
zwirbelt. „Wir haben in den sechs Wochen mehr Anträge bearbeitet als im
normalen Asylprozess in zwei Jahren. Unsere Abschiebequote beträgt zudem 86
Prozent!“
## Stolze Werte
Das ist ein zugegebenermaßen stolzer Wert, der nach bayerischer Ansicht
Vorbild für ganz Deutschland sein sollte. Doch es gibt auch Kritik und
deutlichen Widerspruch. Dieser kommt vor allem von den bayrischen Linken,
die das Projekt als menschenverachtend beschreiben und eine Obergrenze für
Abschiebungen fordern. „Herr Hublmoser täte gut daran, die scheinheilige
Schnurrbartzwirbelei sein zu lassen und den Menschen eine echte Perspektive
aufzuzeigen!“, schimpft Beate Bruns, linke Landrätin aus Hiltpoltstein.
Dabei gebe es diese Perspektive sehr wohl, meint Hublmoser: „Alle
Mitarbeiter unserer Flüchtlingsbehörde dürfen automatisch bleiben!
Vorausgesetzt, sie erfüllen ihre Abschiebequote.“ Er wähle die Mitarbeiter
selbst aus, betont Hublmoser. Alle Sachbearbeiter brächten die nötige
eiskalte Aura und die skrupellose Stringenz eines deutschen Beamten bereits
mit.
Angesichts dieser Äußerungen scheint Mustafa wohl das schwarze Schaf unter
den Mitarbeitern zu sein. Der gebürtige Syrer, der seit zwei Jahren in
Deutschland ist, drückt auch mal ein Auge zu, wenn es sich um eine hübsche
ledige Frau handelt oder um einen Kumpel, der an der selben Universität war
wie er selbst. Das sollen wir aber bitte nicht in die Zeitung schreiben,
sagt er lächelnd und stempelt dabei, ohne hinzusehen, weiter
Abschiebungsanweisungen ab. Die Quote dürfe schließlich nie zu kurz kommen.
26 Jan 2016
## AUTOREN
Michael Gückel
## TAGS
Asyl
Bürokratie
Urlaub
Horst Seehofer
Forschung
Verschwörungsmythen und Corona
Science-Fiction
CDU/CSU
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