# taz.de -- Berliner Piraten wählen Landesliste: Der Käpt‘n macht den Steue… | |
> Die Piratenpartei kürt ihren Vorsitzenden Bruno Kramm zum | |
> Spitzenkandidaten. Er verteidigt das linke Profil des Landesverbands. | |
> Reicht das für den Wiedereinzug? | |
Bild: Hat jetzt auch im Wahlkampf den Hut auf: Bruno Kramm, Landeschef und Spit… | |
BERLIN taz | Wer ist bloß dieser „Schulze Simpel“? Der Name fällt häufig… | |
als es um die Aufstellung der Landesliste geht, aber unter den | |
BewerberInnen taucht er nicht auf. Vielleicht ein Running Gag in der | |
Piratenpartei? Irgendwann begreift der Beobachter, dass „schulze-simple“ | |
ein Wahlverfahren ist, genauer gesagt ein Programm zur einfachen Auswertung | |
eines komplexen Wahlverfahrens. Einfach nur Kreuzchen machen ist bei den | |
Piraten nicht: Es werden Präferenz-Rankings abgegeben, die zueinander in | |
Bezug gesetzt werden. Weil das ganz schön kompliziert ist – auf Wikipedia | |
wird es in verwirrenden Formeln und Pentagrammen vorexerziert –, überlässt | |
man es der Software. | |
Ist so was nerdig oder Avantgarde? Vor viereinhalb Jahren, als die Berliner | |
Piratenpartei unverhofft zum Shootingstar im Wahlkampf ums Abgeordnetenhaus | |
wurde und aus dem Stand fast 9 Prozent einfuhr, schien auch die Stunde der | |
digital erweiterten demokratischen Praktiken gekommen zu sein: Per „Liquid | |
Feedback“ und Online-Abstimmungstool sollte die Fraktion den Willen der | |
Basis ganz organisch in parlamentarisches Handeln umsetzen. Mit den Jahren | |
wurde klar: So einfach ist das alles nicht. Aber der Anspruch ist noch da. | |
Samstagnachmittag, ein Saal im Haus des Neuen Deutschland am Ostbahnhof. | |
Draußen Plattenfassaden in sibirischer Kälte, drinnen 80 Piraten, die nicht | |
nur mit schwächelndem WLAN kämpfen, sondern auch das Kunststück vollbringen | |
wollen, sich am eigenen Schopf aus dem 3-Prozent-Umfrageloch zu ziehen. | |
Bezeichnenderweise macht am Ende ein Mann mit Hut das Rennen um den | |
Spitzenplatz: Bruno Kramm, 48 Jahre, seit Ende 2014 Landeschef der Partei, | |
Dark-Wave-Musiker und -Produzent. Bei seinen Auftritten als Künstler sieht | |
er schon mal aus wie ein Monsterclown, zu seiner Politikerkluft gehören | |
dagegen ein breitkrempiger Filzhut und eindrucksvolle Cowboystiefel. | |
Am Abend zuvor hat Kramm den Parteitag mit einer programmatischen Rede | |
eröffnet. Angesichts des Umfragetiefs und vor dem Hintergrund, dass tags | |
zuvor 35 PiratInnen der konkurrierenden Linkspartei ihre Unterstützung | |
zugesagt haben (darunter drei der sieben Fraktionsmitglieder, die die | |
Piratenpartei bereits verlassen haben), könne man ja auch den Kopf in den | |
Sand stecken, hat Kramm gesagt. „Ich selbst könnte mich zur nächsten | |
Tournee verabschieden und in den seligen Rausch eintauchen, den Sex and | |
Drugs and Rock’n‘ Roll so mit sich bringt.“ | |
Und Kramm hat die Frage gestellt: „Warum machen wir dann den Scheiß?“ Seine | |
Antwort an sich selbst: „Weil wir müssen.“ Die Piraten müssten ein „neu… | |
Kapitel aufschlagen, was sag ich, schreiben“. Es ist eine Rede von | |
poetischer Sprachgewalt und eine, die jeden Zweifel am politischen Profil | |
der Partei auszuräumen sucht. | |
Während der rechte Mob einen völkisch-nationalen Aufstand herbeilüge, so | |
Kramm kämpferisch, während Flüchtlingsheime in Flammen aufgingen und „Staat | |
und Polizei auf Grundrechte scheißen“ wie gerade in der Rigaer Straße in | |
Friedrichshain, seien die Anträge zum piratischen Wahlprogramm „von | |
emanzipativer, progressiver Sichtweise durchdrungen“. Wer da von einem | |
Rechtsruck spreche, mache bloß Wahlkampf für die Linkspartei. | |
Es gibt diese Vorwürfe, und die Bundespartei sei daran nicht unschuldig, | |
hört man von Parteitagsteilnehmern. Aber dass die Berliner Piratentruppe | |
keine rechte oder neoliberale Nummer ist, sieht man auf den ersten Blick. | |
Der anwesende Restbestand der Fraktion bedient zuverlässig das | |
nonkonformistische Klischee, wobei Claus Gerwald-Brunner, der Hüne mit | |
Kopftuch und Blaumann, nicht die einzige auffällige Erscheinung ist. Es | |
gibt viele bunthaarige Menschen in Kapuzenpullis, die vor ihren MacBooks | |
Veggie-Döner mampfen, ein paar Kinder krabbeln herum. | |
Nach gefühlt stundenlangen Abstimmungen über das Prozedere der | |
Kandidatenkür (Soll der Spitzenplatz separat gewählt werden? Wie viele | |
Minuten Redezeit erhalten die BewerberInnen zur Vorstellung? Bekommen sie | |
auf Wunsch eine Verlängerung?) ist es so weit: 15 Piraten und 4 Piratinnen | |
präsentieren sich und antworten auf Fragen aus dem Saal: wie sie die | |
Zusammenarbeit mit der Basis gewährleisten wollen; was die Piraten von | |
anderen linken Parteien unterscheidet; und auch, ob sie einer mafiosen | |
Vereinigung angehören, beispielsweise der Atlantikbrücke? | |
## Nicht noch mal denselben Fehler machen | |
Bei der letzten Runde macht Bruno Kramm mit knapp 60 Prozent das Rennen. | |
Piratenparteitage sind keine Krönungsmessen. Die Aufstellung der folgenden | |
30, 40 oder 50 Listenplätze wird sich noch bis in den Sonntagabend ziehen. | |
Denselben Fehler wie 2011, als die Landesliste mit Müh und Not ausreichte, | |
um die errungen Sitze im Parlament zu besetzen, will man nicht wiederholen. | |
Auch wenn nichts darauf hindeutet, dass es ab September noch Sitze geben | |
wird. | |
„Dass wir noch mal so einen Hype generieren, ist unwahrscheinlich“, gibt | |
Simon Kowalewski freimütig zu, der Piratenabgeordnete mit den langen grünen | |
Haaren, den schon äußerlich kaum etwas mit dem immer stromlinienförmigeren, | |
längst parteilosen Fraktionschef Martin Delius verbindet. „Aber 2011 waren | |
die Prognosen noch schlechter.“ Kowalewski findet es gar nicht so schlecht, | |
dass die Leute weg sind, „die nicht mehr an die Partei geglaubt haben“. Er | |
selbst kandidiert jedenfalls noch mal. | |
24 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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