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# taz.de -- Justiz in Armenien: Mordmotiv mit Fragezeichen
> Ein russischer Soldat, der in Gjumri eine Familie getötet hat, steht ab
> Freitag vor Gericht. Beobachter rätseln über den Grund des Amoklaufs.
Bild: Proteste in Jerewan nach dem tödlichen Amoklauf des russischen Soldaten.
Gjumri taz | Lebenslänglich oder nicht? Ab Freitag steht der russische
Soldat Valeri Permjakow in Gjumri, der zweitgrößten Stadt Armeniens, vor
Gericht. Der 20-Jährige, der auf der dortigen 102. russischen Militärbasis
diente, hatte in der Nacht vom 12. auf den 13. Januar vergangenen Jahres
seinen Stützpunkt verlassen und war in das Haus der Familie Avetisjan
eingedrungen. Dort schoss er mit einer Maschinenpistole wild um sich und
tötete sechs Menschen, einschließlich eines zweijährigen Kindes. Ein sechs
Monate alter Säugling, den Permjakow mehrfach mit dem Gewehrkolben
geschlagen hatte, starb kurze Zeit später im Krankenhaus.
Die Tat löste unerwartet heftige Proteste aus. „Permjakow soll in ein
armenisches Gefängnis!“, skandierten Tausende Demonstranten und zogen zu
der Militärbasis sowie der Staatsanwaltschaft und dem russischen Konsulat
in Gjumri. Vor der russischen Botschaft in der Hauptstadt Jerewan kam es zu
schweren Zusammenstößen zwischen Polizeikräften und Protestierenden.
Das Vorermittlungsverfahren durfte die armenische Seite nicht einleiten und
bekam erst nach langen Verhandlungen den Fall von den Russen übertragen.
„Das ist eine politische Entscheidung, dass Permjakow sowohl während der
Vorermittlungen als auch während des Gerichtsverfahrens weiter unter dem
Schutz der russischen Militärbasis steht“ sagt der Menschenrechtler Artur
Sakunts, der im Gericht mit fünf weiteren Kollegen die Hinterbliebenen der
Opfer vertritt. Die Russen versuchten, das wahre Motiv für die Tat zu
verschleiern.
Am 12. August 2015 verurteilte ein russisches Militärgericht Permjakov
wegen Fahnenflucht zu 10 Jahren Lagerhaft. Lusine Sahakjan, die Anwältin
der Familie Avetisjan, zweifelt an einem unabhängigen Verfahren. Trotzdem
bleibt sie optimistisch. „Wir arbeiten daran und ich bin mir fast sicher,
dass Permjakow jetzt zu lebenslanger Haft verurteilt wird“, sagt sie.
## Zufällige Opfer
Permjakow selbst sagt, die Familie Avetisjan sei zufällig Opfer geworden.
Er habe Durst gehabt und etwas trinken wollen. Als die Hauseinwohner
aufgewacht seien, habe er sie aus Angst erschossen.
Der Menschenrechtler Artur Sakunts nimmt dieses Motiv nicht ernst. Seine
Meinung nach ist Permjakow weder der wahre Täter noch der Initiator des
Verbrechens. Er widerspricht der in der Öffentlichkeit viel diskutierten
These, dass der Mord von einem dritten Land, zum Beispiel der Türkei oder
Aserbaidschan geplant war.
„Er wurde von der russischen Seite organisiert und ausgeführt“, sagt
Sakunts und fügt hinzu, dass es trotzdem kein Vorhaben des Kreml gewesen
sei. „Die Grundmotive haben mit der Disziplin auf der Militärbasis und der
dort herrschenden Korruption zu tun“, so Sakunts. „Es sei darum gegangen,
Macht zu demonstrieren und jemanden zu bestrafen.
In Gjumri, nahe der türkischen Grenze, befindet sich die einzige russische
Militärbasis in der Region. Die Basis mit derzeit rund 5.000 Soldaten wurde
1995 eingerichtet. Ein entsprechender Vertrag läuft noch bis 2044.
Eine der wichtigsten Aufgaben des Stützpunktes ist die Verteidigung des
strategischen Partnerlandes Armenien. Der Politikwissenschaftler Ruben
Mehrabjan sieht dadurch jedoch die armenischen Souveränität bedroht. „Die
Basis dient ausschließlich russischen Interessen“, sagt Mehrabjan.
„Besonders wenn es um das russisch-türkische Verhältnis geht, muss Armenien
vorsichtig sein. Während aller russisch-türkischen Kriege war Armenien
Frontstaat für Russland, und hat entsetzlich gelitten.“
22 Jan 2016
## AUTOREN
Tigran Petrosyan
## TAGS
Armenien
Russland
Jerewan
Protest
Armenien
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Russland
Flüchtlinge
Schwerpunkt Syrien
Armenien
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