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# taz.de -- Angebliche Vergewaltigung in Berlin: Futter für die Bürgerwehr
> Ein russischer Fernsehsender berichtet, in Berlin hätten Migranten ein
> Mädchen vergewaltigt. Die Propagandaschlacht läuft.
Bild: Russland-Deutsche versammelten sich in Berlin-Marzahn nach Bekanntwerden …
Die Wellen schlagen hoch, sie schwappen von Berlin bis Moskau – und zurück.
Am Wochenende berichtete der Erste Kanal (Pervi), der größte staatliche
Fernsehsender Russlands, in Berlin sei ein deutsch-russisches Mädchen von
Migranten entführt, 30 Stunden festgehalten und mehrfach vergewaltigt
worden. Die Polizei habe sie anschließend zu einer Falschaussage gezwungen.
In beiden Ländern verbreiten sich Verschwörungstheorien, die
Propagandamaschinen laufen heiß.
Der Beitrag, der die „neue Ordnung Deutschlands“ verkündet, wird nach wie
vor großflächig über die sozialen Netzwerke verbreitet. Dass er mit
Journalismus nicht viel zu tun hat, stört dabei anscheinend nicht weiter.
Eine NPD-Demo wird als Protest von Freunden und Familie deklariert,
deutsche Polizisten entpuppen sich beim Hinsehen als schwedische Beamte.
Ein gezeigtes Video, in dem ein junger Mann sich mit der Tat rühmen soll,
ist vermutlich schon vor der Bundestagswahl 2009 verbreitet worden.
## Bitte um sensiblen Umgang
Harte Fakten gibt es derweil nur sehr wenige. Die Berliner Polizei
bekräftigte mehrfach, es habe nach ihrem Erkenntnisstand weder eine
Entführung noch eine Vergewaltigung gegeben. Aus Rücksicht auf das
Persönlichkeitsrecht könne sie keine weiteren Aussagen machen. Die Behörde
bittet aufgrund des großen „Interesses der Netzgemeinde“ um einen
„sensiblen Umgang“ mit dem Thema.
Es ist eine Zwickmühle – zu oft wird Frauen nicht geglaubt, wenn sie von
Übergriffen berichten. Dem gegenüber steht eine von inhaltlichen
Ungereimtheiten und Propaganda nur so strotzende Berichterstattung. Die
Reportage im Ersten Kanal erreichte schätzungsweise 50 Millionen Menschen.
Russische Onlinemedien übernahmen die Geschichte, ohne sie selbst zu
prüfen, darunter auch die Propaganda-Agentur Sputnik. Ursprünglich in
Umlauf gebracht hatte die Geschichte das Portal Genosse.su, welches unter
anderem Russlanddeutschen aus dem rechtsextremen Spektrum zur Vernetzung
dient.
Die russischen Medien setzen gerne auf Emotion statt auf Information, wenn
es um Flüchtlinge in Europa geht. Der Tenor: Deutschland sei naiv, wenn es
glaube, es könne Millionen Muslime integrieren, ohne sein Wesen zu
verlieren. Der Untergang Europas – des „faulenden“ Westens – ist in
Russland längst Teil einer nationalen Idee. Der europäischen Zivilisation
fehle es an Kraft und Mumm zur Wehrhaftigkeit. Kurzum, sie sei
verweichlicht, da liberal.
## Rechte springen auf
Was in den russischen Medien passiert, reicht jedoch auch nach Deutschland.
Weite Teile der russischsprachigen Gemeinde informieren sich vor allem aus
diesen Quellen. Und auch der deutsche rechte Rand springt auf. Die
rechtsextreme NPD ruft schon seit der Debatte um Köln deutsche Männer dazu
auf, „ihre Frauen“ vor „kriminellen Ausländern“ zu schützen. Nur zu g…
will die Partei auch aus der Aufregung jetzt Profit schlagen. Genauso die
mit der NPD eng verbundene „Nein-zum-Heim“-Bewegung in Marzahn oder die
Facebook-Seite „Anonymous Kollektiv“, die im Beitrag als Quelle auftaucht.
Aufgefallen war die Anonymous-Seite mit Hang zu Verschwörungstheorien
erstmals im Frühjahr 2014 im Rahmen der neurechten Friedensmahnwachen in
Berlin und anderen Städten. [1][Damals warb die Seite für Unterstützung aus
Russland im Ukraine-Konflikt] – und rief in einem wirren Mix aus rechten
Phrasen und Propaganda das „Deutsche Volk“ dazu auf, sich zu erheben gegen
die „Deutschland GmbH“.
Der Fall ist erschütternd für alle Opfer sexualisierter Gewalt. Wie schon
[2][in der Diskussion um Köln] wird das Thema sexualisierte Gewalt
ideologisch instrumentalisiert und ausgeschlachtet. Dass es dabei
irgendjemandem um das Schicksal des Mädchens geht, ist zu bezweifeln.
Stattdessen geht es darum, Angst und Hass zu schüren, rassistische Hetze zu
verbreiten und der Gesellschaft ein „Das habt ihr jetzt davon“
entgegenzuschleudern.
„Nein zum Heim“ lässt Bürgerwehren patrouillieren, der russische
Fernsehbeitrag ruft subtil zu Selbstjustiz auf. Diese Propagandaschlacht
dient letztlich dem Zweck all derer, die nur zu gerne das nächste
Flüchtlingsheim brennen sehen wollen.
20 Jan 2016
## LINKS
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## AUTOREN
Dinah Riese
Klaus-Helge Donath
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Sexualisierte Gewalt
Russland
Deutschland
Verschwörungsmythen und Corona
Migration
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