# taz.de -- Stefanie von Berg über Ethnien: „Keine Ethnie über 50 Prozent“ | |
> Die von Hass-Kommentaren verfolgte grüne Politikerin Stefanie von Berg | |
> erklärt, warum es gut ist, wenn es in Hamburg keine ethnische Mehrheit | |
> mehr gibt. | |
Bild: Seit online über den Fall berichtet wird, geht der Shitstorm wieder los | |
taz: Frau von Berg, Ihnen wurde im Internet übelste Gewalt angedroht, | |
nachdem die AfD-Fraktion einen Redebeitrag von Ihnen auf Facebook stellte. | |
Ist es State of the Art, Beiträge des politischen Gegners ins Netz zu | |
stellen? | |
Stefanie von Berg: Nein, das ist es nicht. Aber es scheint eine neue | |
Methode der AfD zu sein. | |
Sie sagen in dem Video, dass es laut Studien in Hamburg in 20 Jahren keine | |
ethnische Mehrheit mehr gebe. Es komme die superkulturelle Gesellschaft. | |
Das sei gut so. Was heißt das? | |
Gemeint habe ich, dass es in 20, 30 Jahren in Großstädten keine absolute | |
ethnische Mehrheit geben wird, also eine Ethnie mit über 50 Prozent. Das | |
heißt nicht, dass die Deutschen eine Minderheit sein werden. Die AfD hat | |
meine Aussage umgedichtet in: ‚Es ist gut, dass wir Deutschen bald in der | |
Minderheit sind‘. | |
Das haben Sie nicht gesagt. | |
Absolut nicht. Gut finde ich, wenn wir eine superdiverse Gesellschaft | |
haben, in der viele Kulturen vereint sind, weil es die Gesellschaft | |
bereichert. Dafür brauchen wir interkulturelle Kompetenz und eine Offenheit | |
anderen Kulturen gegenüber. Es gibt Großstädte, die darin richtig | |
erfolgreich sind. London, Amsterdam, New York sind bereits superdiverse | |
Städte, in denen es keine absolute ethische Mehrheit gibt. Die sind | |
beliebt, sind auch ökonomisch erfolgreich. Und es gehört zum Straßenbild, | |
dass alle unterschiedlich aussehen. | |
In welchem Kontext haben Sie die Rede gehalten? | |
Es ging an dem Tag zweimal um Schulpolitik. Ich wollte eigentlich in meinem | |
vorbereiteten Beitrag herausstellen, wie wichtig Bildung für die gelungene | |
Integration ist. Das belegen aktuelle Studien. Der Migrationsforscher Jens | |
Schneider hat dafür europäische Großstädte wie Berlin, Amsterdam, | |
Stockholm, Wien und Brüssel verglichen. Ergebnis: Dort, wo Migranten echte | |
Bildungschancen erhalten, gelingt auch eine Integration im Sinne von | |
Übernahme der Werte eines Landes. Dort, wo das nicht passiert, entstehen | |
Parallelgesellschaften. | |
Wie haben die das erforscht? | |
Sie haben jeweils der türkischen Community und der einheimischen Fragen zu | |
Werten gestellt. Etwa: Akzeptieren sie Homosexuelle, Frauen als Chef oder | |
wenn Frauen mit kleinen Kindern berufstätig sind? Dort, wo die Einwanderer | |
echte Bildungschancen haben, gibt es auch hohe Überschneidungen in den | |
Werten. Stockholm ist sehr erfolgreich mit Integration. Berlin und Wien | |
haben schlechte Werte. | |
Wie ist die Lage in Hamburg? | |
Für Hamburg gibt es keine solche Studie. Dass wir in 20 Jahren eine | |
superdiverse Gesellschaft haben werden, ergibt sich schon aus der | |
Arithmetik. Bereits heute haben knapp 50 Prozent der Erstklässler einen | |
Migrationshintergrund. | |
Aber viele von ihnen haben einen deutschen Pass und sehen sich auch als | |
Deutsche. Welche Bedeutung hat da die Ethnie? | |
Na klar. Wenn ich mich als Deutscher fühle, ist es egal, wie die Gene sind | |
und woher ich komme. Die Ethnie bestimmt nicht die Nationalität. Ich selber | |
bin ein Beispiel dafür. Meine Familie kommt aus dem Baltikum. Meine | |
Großeltern sind am Ende des Ersten Weltkriegs von Estland nach Deutschland | |
geflohen. Ich sehe mich als Deutsche. Und ich bin absolute Verfechterin der | |
demokratischen Grundwerte unseres Landes. | |
Verstehen Sie, dass sich Leute über das von der AfD verdrehte Zitat | |
erregen? | |
Wenn man der Ansicht ist – wie diese Hass-Kommentatoren –, dass alle | |
Flüchtlinge unmenschliche, frauenverachtende, kriminelle Verhaltensweisen | |
zeigen, während man uns Deutschen total perfekte Werte unterstellt. Aber | |
ich denke nicht so und deshalb kann ich das nicht nachvollziehen. | |
Sie haben sich über die Zeit an die Öffentlichkeit gewandt. Wie sind die | |
Reaktionen? | |
Ich habe das aus politischen Gründen getan und wusste, ich muss damit | |
rechnen, dass der Shitstorm noch schlimmer wird. | |
Wurde er das? | |
Solange der Text nur in der Printausgabe stand, gab es eine Woche lang | |
viele unterstützende Reaktionen. Das tat gut. Seitdem die Geschichte im | |
Netz steht, geht der Shitstorm wieder los. Die Sache ist außer Kontrolle. | |
Sogar Donald Trump hat über mich getwittert. | |
Sie haben Anzeige gegen einzelne Kommentatoren erstattet. Kommt man an die | |
heran? | |
Die Kripo ermittelt. | |
Der AfD-Fraktionschef Jörn Kruse hat sich entschuldigt. | |
Das war ein Lippenbekenntnis. Die AfD hätte das Video aus dem Netz nehmen | |
müssen. Das hat sie nicht getan. Sie bewegt sich auf legalem Boden. | |
Sollte man die Regeln für die Netz-Publikation ändern, um Politiker zu | |
schützen? | |
Das wäre zu überlegen. | |
4 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Morddrohungen | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Rechte Gewalt | |
Shitstorm | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Migrationshintergrund | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Morddrohungen | |
Schwerpunkt Pegida | |
Schwerpunkt Pegida | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wertevermittlung für Flüchtlinge: Im Namen des Volkes | |
Flüchtlinge sollen deutsche Gesetze, Werte und Regeln lernen. Ein Besuch im | |
Rechtskundeunterricht und bei der Sexualaufklärung in Bayern. | |
Deutschkenntnisse in Schleswig-Holstein: Fast die Hälfte spricht Deutsch | |
Fast jedes zweite Kind mit Migrationshintergrund aus dem Bundesland spricht | |
zu Hause Deutsch. Die Quote stieg im Vergleich zu 2014 um zwei | |
Prozentpunkte. | |
AfD-Dreikönigstreffen in Stuttgart: Auftakt mit Demo | |
Bei ihrem Wahlkampfauftakt in Stuttgart präsentierte sich die | |
rechtspopulistische AfD optimistisch. Vor der Tür gab es Protest. | |
Morddrohungen gegen Hamburger Politikerin: „In die Fresse schießen“ | |
Die grüne Abgeordnete Stefanie von Berg sprach über das Verschwinden | |
„ethnischer Mehrheiten“ – und wird seitdem massiv bedroht. Nun will sie | |
sich wehren. | |
Morddrohungen von „Pegida“-Anhängern: Volker Beck erstattet Strafanzeige | |
Der grüne Innenpolitiker ist es leid, weiter Hassobjekt der | |
KommentatorInnen auf der „Pegida“-Facebook-Seite zu sein. Harsche Kritik | |
übt er auch an AfD-Vize Gauland. | |
Pegida-Anhänger in Dresden: Morddrohung wegen Glockengeläut | |
Das Läuten der Glocken der Dresdner Kreuzkirche störte Pegida-Leute. Sie | |
drohten zwei Mitarbeitern während eines Friedensgebets, ihnen die Kehle | |
durchzuschneiden. |