| # taz.de -- Junge Flüchtlinge sollen in Zelte: Durchs Raster gefallen | |
| > Weil sie beim Amt nicht mehr als jugendlich gelten, aber auch keine | |
| > AsylbewerberInnen sind, wurden mehrere Flüchtlinge obdachlos. | |
| Bild: Nicht jeder Flüchtling, der die Jugendhilfe verlassen muss, kommt auch w… | |
| BREMEN taz | Pascal S. ist aus Guinea nach Bremen geflohen, seit neun | |
| Monaten lebt er hier, zuerst monatelang im Zelt, später im Hotel. Er kam | |
| als unbegleiteter Minderjähriger, geht in die Schule, lernt Deutsch, hat | |
| einen Antrag auf Duldung gestellt. Das wird ihm jetzt zum Verhängnis: Er | |
| wurde mittel- und obdachlos. | |
| Kurz vor Weihnachten nämlich kam die umstrittene Altersschätzung der | |
| Behörde zu dem Ergebnis: Pascal S. ist schon 18. „Also muss ihn die | |
| Jugendhilfe vor die Tür setzen“, sagt der Sprecher der Sozialbehörde, „so | |
| bitter das ist.“ Das hat sie auch sofort gemacht – und S. an die Zentrale | |
| Erstaufnahme für AsylbewerberInnen, Zast genannt, verwiesen. Die wiederum | |
| nahm ihn gar nicht auf – weil er keinen Asylantrag gestellt hat. Also | |
| musste S. die Nacht am Bahnhof verbringen, da ist es wenigstens nicht ganz | |
| so kalt. Für ihn sei das „ein Schock“ gewesen, sagt S. Mittlerweile ist er | |
| privat untergebracht. | |
| S. hat einen „Anspruch auf Duldung“, sagt seine Rechtsanwältin Eva | |
| Dworschak. Da er aus Guinea kommt, ist ein Asylantrag aber „aussichtslos“, | |
| sagt die Flüchtlingsaktivistin Sophia Leonidakis, die auch für Die Linke in | |
| der Bürgerschaft sitzt. Würde Pascal S. ihn doch stellen und als | |
| „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, hätte das „negative Auswirkunge… | |
| für ihn, erklärt Leonidakis – seine Aussichten, hier bleiben zu dürfen, | |
| wären dann deutlich schlechter. | |
| Rund 25 Betroffene in Bremen vertritt alleine Anwältin Dworschak – sie alle | |
| wurden aus dem System der Jugendhilfe „ausgesteuert“, wie das im | |
| Amtsdeutsch heißt, aber von der Zast abgewiesen. „Die Verweigerung einer | |
| Unterkunft kommt der Nötigung zur Asylantragstellung nahe“, heißt einem | |
| Antrag der Linkspartei für die am Donnerstag tagende Sozialdeputation. Die | |
| Linkspartei verlangt, dass keine jungen Menschen „ausgesteuert“ werden, | |
| ohne dass ihre weitere Unterbringung gesichert ist. Zudem müsse das | |
| Sozialressort auch für nachträglich als volljährig eingestufte Flüchtlinge | |
| „geeignete Unterkunftsmöglichkeiten zur Verfügung stellen“. Die Behörde | |
| sagt: „Wir lassen keinen hängen.“ Einige Flüchtlinge entzögen sich aber … | |
| Mitwirkung. | |
| Dworschak hat in mehreren Fällen einen Eilbeschluss beim Sozialgericht | |
| erwirkt. Mit dem Hinweis auf das „verfassungsrechtlich garantierte | |
| Existenzminimum“ wurde das Sozialressort mit einer einstweiligen Anordnung | |
| verpflichtet, eine vorläufige Unterkunft und eine „Sicherung des | |
| Lebensunterhaltes“ zu bezahlen. Das sind aber nur 300 Euro im Monat, sagt | |
| Leonidakis, sowie ein Bett in einer Obdachlosenunterkunft. Die Flüchtlinge | |
| könnten dort nicht kochen, bekämen kein Bahnticket, um damit zur Schule zu | |
| fahren, und kein Geld für Winterschuhe oder -klamotten. „Es ist ein | |
| Skandal, dass Obdachlosigkeit“ nur durch ein Sozialgericht verhindert | |
| werden könne, sagt Leonidakis, und „unfassbar“, wenn derlei | |
| Präzedenzbeschlüsse nicht automatisch auf andere Flüchtlinge übertragen | |
| würden. Für die Betroffenen sei das eine „immense psychische Belastung“, … | |
| Sylvia Pfeifer vom [1][Verein Fluchtraum], der Vormünder und MentorInnen | |
| für unbegleitete Flüchtlinge vermittelt. | |
| Dworschaks MandantInnen wurden alle privat untergebracht, mehrere von ihnen | |
| seien von der Behörde „regelrecht schikaniert“ worden, sagt die Anwältin. | |
| Manche hätten trotz Duldung keine Leistungen erhalten. Auch sie selbst sei | |
| „schweren Anfeindungen“ seitens der Behörde ausgesetzt gewesen, sagt | |
| Dworschak. | |
| Das Sozialressort bestätigte, dass es seit der jüngsten Verschärfung des | |
| Asylrechts „eine Reihe von Fällen“ gegeben habe – und kündigte an, die | |
| Betroffenen nun „vorläufig“ in Zelten unterzubringen. Die Behörde habe | |
| bereits im Dezember eine Lösung zugesagt, entgegnet Leonidakis – „aber es | |
| kommt immer noch vor, dass junge Flüchtlinge obdachlos werden“. | |
| 12 Jan 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.fluchtraum-bremen.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Zier | |
| ## TAGS | |
| Minderjährige Geflüchtete | |
| Minderjährige Geflüchtete | |
| Flüchtlinge | |
| Jugendliche | |
| Obdachlosigkeit | |
| Mieten | |
| Jugendamt | |
| Taschengeld | |
| Die Linke | |
| Kinderarmut | |
| Flucht | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Essay zur Obdachlosigkeit in Deutschland: Den Zusammenhalt verzocken | |
| Immer mehr Menschen haben keine Wohnung. Immer mehr von ihnen sind | |
| Akademiker. Doch die Regierung verharmlost das Problem. | |
| Hausverbot beim Bremer Jugendamt: Wer schreit, kriegt unrecht | |
| Ein Bremer Rechtsanwalt, der Mitarbeiter des Jugendamtes für befangen hält, | |
| bekam Hausverbot. Nun entscheidet ein Gericht, ob das rechtens war. | |
| Trickserei in Bremer Sozialbehörde: Für eine Handvoll Taschengeld | |
| Jugendliche Flüchtlinge behaupten, das Amt für soziale Dienste in Bremen | |
| locke sie mit Taschengeld, um sie in Wahrheit umzuverteilen. | |
| Flüchtlingspolitik der Linkspartei: Es geht ums Prinzip | |
| Sahra Wagenknecht spricht sich für Abschiebungen aus – auch weil viele | |
| Wähler das so sehen. Da kracht‘s in der Partei. Lob kommt von unerwarteter | |
| Seite. | |
| Studie über Flüchtlinge und Kinderarmut: Aus dem Krieg in die Armut | |
| Der Anteil der Kinder in Deutschland, die in Armut leben, stagniert. | |
| Geflüchtete Kinder sind besonders häufig von Armut betroffen, deshalb | |
| dürfte die Quote nun steigen. | |
| Keine Winterromantik: Schimmelnde Zelte und eisige Hallen | |
| In Bremen und Hamburg mussten mehrere hundert Flüchtlinge evakuiert werden, | |
| weil ihre Unterbringung zu kalt war. |