# taz.de -- Türkei geht gegen PKK vor: Häuserkampf im Wohngebiet | |
> Mit Panzern und Scharfschützen kämpfen türkische Sicherheitskräfte gegen | |
> die PKK. Mehr als 100 Menschen sind bereits getötet worden. | |
Bild: Trauer um die Toten in Diyarbakir. | |
ISTANBUL taz | Über 100 getötete kurdische Kämpfer, mindestens fünf tote | |
Zivilisten und zwei getötete Soldaten sind die vorläufige Bilanz eines | |
Großangriffs, den das türkische Militär am letzten Mittwoch in den kurdisch | |
besiedelten Gebieten des Landes begonnen hat. | |
Rund 10.000 Soldaten, teilweise mit schweren Waffen und Panzern | |
ausgerüstet, hat der Generalstab in Marsch gesetzt, um kurdische | |
Ortschaften anzugreifen, in denen sich Kämpfer der Patriotischen kurdischen | |
revolutionären Jugend (YDG-H) verbarrikadiert haben, um sogenannte befreite | |
autonome Zonen zu errichten. | |
In den vergangenen drei Tagen konzentrierten sich diese Kämpfe auf die nahe | |
der irakischen Grenze liegenden Städte Cizre und Silopi, aber auch auf die | |
Altstadt der kurdischen Metropole Diyarbakir, die ebenfalls schon seit | |
Wochen umkämpft ist. Dabei gehen die Soldaten mit bisher nicht gekannter | |
Brutalität vor. Ganze Viertel werden von der Außenwelt abgesperrt, Strom | |
und alle Kommunikationslinien gekappt, die Bewohner dürfen ihre Häuser | |
nicht verlassen. | |
Danach gehen Trupps der berüchtigten Sondereinheiten „Esdullah Timleri“ von | |
Haus zu Haus, um nach Waffen und Mitgliedern der YDG-H zu suchen oder | |
andere vermeintliche PKK-Anhänger festzunehmen. Auf jeden, der eine falsche | |
Bewegung macht, wird geschossen, Menschen werden geschlagen und | |
verschleppt. | |
## Martialische Sprüche | |
Die Spezialeinheiten sind ein neues Phänomen auf dem Kriegsschauplatz. Sie | |
sind maskiert, niemand weiß, wer unter den Masken steckt. Laut Gerüchten | |
sprechen viele von ihnen Arabisch; Kurden vermuten, es handele sich um | |
Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS). | |
Bekannt wurden die Einheiten mit martialischen Sprüchen, die sie auf den | |
Wänden zerstörter Häuser hinterlassen. Der Kovorsitzende der Grünen, Cem | |
Özdemir, sagte am Samstag der Deutschen Presseagentur: „Diese | |
Spezialeinheiten können verhaften, wen sie wollen, foltern, wen sie wollen, | |
und töten, wen sie wollen. Mit Menschenrechten und einem Rechtsstaat hat | |
das nichts mehr zu tun.“ | |
In Cizre und Silopi herrscht teilweise seit Wochen eine Ausgangssperre, in | |
Sur, der Altstadt von Diyarbakir, seit dem 2. Dezember. „Diese | |
Ausgangssperren sind für uns das letzte Mittel, um zwischen Zivilisten und | |
Kombattanten zu unterscheiden“, sagt das türkische Militär. Im Klartext | |
heißt das, wer das Haus verlässt, ist ein Terrorist und wird erschossen. | |
In Diyarbakir wurde die Ausgangssperre nur einmal für acht Stunden | |
aufgehoben, damit die Leute sich Wasser und Lebensmittel besorgen konnten. | |
Über 10.000 Zivilisten verließen in dieser Zeit Sur. Diyarbakirs Altstadt, | |
erst vor Kurzem von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt, wird bei den | |
Kämpfen immer mehr beschädigt. | |
## Rufe nach der EU | |
Tahir Elci, Vorsitzender der Anwaltskammer von Diyarbakir, wurde im | |
November erschossen, als er in der Altstadt öffentlich zu einem | |
Waffenstillstand aufrief, nicht zuletzt, um eine weitere Zerstörung zu | |
stoppen. Davon halten allerdings sowohl die türkische Regierung wie auch | |
die kurdischen Kämpfer nichts. | |
Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündete letzte Woche zu Beginn der | |
Militäroffensive, man werde den Kampf so lange fortsetzen, bis der letzte | |
„Terrorist“ vertrieben oder getötet sei. Aber auch die jungen Kämpfer | |
wollen sich von den kurdischen Politikern der HDP nichts mehr sagen lassen. | |
Aufrufe zum Waffenstillstand von HDP-Chef Selahattin Demirtas verhallten | |
ungehört. | |
Die größte türkische Menschenrechtsorganisation, IHD, fordert jetzt die EU | |
auf, sich endlich in den Konflikt einzuschalten. Der IHD-Sprecher von | |
Diyarbakir, Abdusselan Inceören, sagte der dpa, man fordere Brüssel auf, | |
eine Delegation ins Konfliktgebiet zu schicken. Doch Brüssel hält sich | |
zurück. Während seines Besuchs am Freitag bekam der türkische | |
Ministerpräsident Ahmet Davutoglu kein kritisches Wort zu hören. Er wird | |
für den Stopp der Flüchtlinge gebraucht. | |
In seiner Verzweiflung kündigte Demirtas jetzt an, er werde am Mittwoch | |
nach Moskau fliegen, um den russischen Außenminister Sergej Lawrow zu | |
treffen. Die HDP werde ein Büro in Moskau eröffnen. Angesichts des | |
Zerwürfnisses zwischen Erdoğan und dem russischen Präsidenten Putin kann | |
das in Ankara nur als Provokation verstanden werden. | |
20 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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