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# taz.de -- Grünen-Landesparteitag in BaWü: Partei der schwäbischen Hausfrau
> Nach fast fünf Jahren an der Regierung wollen die Grünen jetzt keine
> Fehler machen. Sie folgen brav ihrem Chef. Was heißt das für das Ländle?
Bild: Winfried Kretschmann ist der starke Mann, dem alle folgen
STUTTGART taz | Am Ende geht es denkbar knapp aus. Abgestimmt wird nicht
über sichere Herkunftsländer oder Steuererhöhungen, nein: Es geht um die
Sperrstunde für Kneipen und Clubs, die die Grüne Jugend gerne abschaffen
möchte. Die Gegner führen die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ ins
Feld, um zu begründen, warum die Gastronomie im Ländle unter der Woche
besser um drei Uhr zumachen sollte. Die Parteijugend hält dagegen, die
Grünen wollten doch keine Verbotspartei sein. Eine Delegierte sagt: „Die
haben wohl alle keine Kinder“.
Es ist eine kurze, aber emotionale Debatte, die sich die Delegierten hier
gönnen, wie sonst nur selten auf diesem Parteitag. Am Ende muss zur
Sicherheit noch schriftlich abgestimmt werden bevor die Sperrstunde fällt –
mit einer Stimme Mehrheit. Sperrstunde oder nicht , der Rest ist der
Arbeitsparteitag einer Regierungspartei: Die Delegierten pflügen sich an
zwei Tagen in der Stadthalle Reutlingen diszipliniert durch 400
Änderungsanträge für das Wahlprogramm und verabschieden es am Ende
einstimmig.
Der Parteitag in Reutlingen macht deutlich: Viereinhalb Jahre in
Regierungsverantwortung und drei Monate vor der Wahl wollen die Grünen im
Südwesten vor allem eins: keine Fehler machen. Winfried Kretschmann, der
einzige grüne Regierungschef der Welt, ist zu einem geradezu
überparteilichen Sympathieträger geworden. Die Partei strotzt vor
Selbstbewusstsein, auch wenn noch unklar ist, ob es wieder reicht für eine
Regierung Kretschmann.
## Aufzählung von Erfolgen
Umstritten ist an diesem Wochenende noch ein weiterer Antrag der Grünen
Jugend, das Gymnasium langfristig zugunsten der Gemeinschaftsschule
abzuschaffen. Das wohl größte Projekt der Regierung war die Einführung von
bisher 300 Gemeinschaftsschulen, die anstelle von Real- und Hauptschule
treten und in denen Schüler auch das Abitur erreichen können.
Kretschmann erteilt dem Ansinnen, das Gymnasium ganz abzuschaffen, seit
Langem eine Absage. Es gelte zu verhindern, dass die Reichen ihre Kinder in
Scharen auf die Privatschule schicken, sagt er in seiner Rede. Tatsächlich
dürfte es einen anderen Grund geben: „Wer sich am Gymnasium vergreift,
überlebt das politisch nicht“, sagt der ehemalige Gymnasiallehrer immer
wieder. Die Delegierten folgen auch hier ihrem Regierungschef und lehnen
den Antrag mit großer Mehrheit ab.
Es ist nicht so, dass die Regierung in den vergangenen viereinhalb Jahren
keine grüne Politik gemacht hätte. Kretschmann zählt die Erfolge auf: eine
ambitionierte Schulreform, ein Nationalpark gegen viele regionale
Widerstände, die Abschaffung der Studiengebühren, die Wende in der
Energiepolitik mit 400 genehmigten Windrädern im Land und eine
Verfassungsänderung für mehr Bürgerbegehren, mehr Einbürgerungen und eine
bisher vorbildliche Bewältigung der Flüchtlingskrise. Aber die Grünen
regieren eben das konservative Baden-Württemberg, und im Landtag gegen die
CDU, die immer noch stärkste Partei ist.
## Konservativer als anderswo
Kretschmann regiert aber auch mit einem zumindest teilweise bremsenden
Koalitionspartner. Nicht wenige in der SPD-Fraktion glauben, dass sie es
als Juniorpartner in einer großen Koalition leichter gehabt hätten. Die
SPD, die sich in Baden-Württemberg auch als Partei kleiner Beamter und des
öffentlichen Diensts sieht, verhinderte erst kürzlich auf den letzten
Metern die Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten bei Großeinsätzen, die
in vielen anderen Bundesländern längst Praxis ist.
Und ja, die Grünen sind im Südwesten selbst konservativer als anderswo in
Deutschland. Das Thema Stuttgart 21, das der Partei an die Macht verholfen
hatte, spielt dort seit der Volksabstimmung keine Rolle mehr. Viele aus der
Bewegung haben sich enttäuscht von den Grünen abgewandt, für sie sind
Kretschmann und die Grünen Verräter. Um diese schrumpfende Wählergruppe der
S-21-Gegner buhlt nun die Linke. Die Kretschmann-Grünen sind derweil auf
dem Weg zu einer kleinen Volkspartei oder wie Kretschmann sagt, zur „neuen
Baden-Württemberg-Partei“.
Dass die Grünen die konsequentere Energie- und Klimaschutzpolitik und
mutigere Demokratiepolitik machen, sei bekannt, sagt Kretschmann. Dass sie
aber auch die Finanzen des Landes solider verwalten und die erfolgreichere
Wirtschafts- und intelligentere Verkehrspolitik machen, darauf könne die
Partei stolz sein.
Für die Wahl gehe es vor allem darum, die bürgerlichen Kreise im Land zu
überzeugen, dass man es kann. Irritationen wie die Debatte übers Gymnasium
stören da. Kretschmann findet ein treffendes Bild für seinen Kurs: Die
schwäbische Hausfrau habe eigentlich kein Parteibuch, sagt er. „Aber die
Grünen geben ihr eine politische Heimat.“ Sexy ist das vielleicht nicht, es
verspricht aber Erfolg.
13 Dec 2015
## AUTOREN
Benno Stieber
## TAGS
Parteitag
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Winfried Kretschmann
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Schwerpunkt Klimawandel
Cem Özdemir
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