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# taz.de -- Ralf Fücks über grünen Kapitalismus: „Die Ökodiktatur ist ein…
> Der Grünen-Intellektuelle Ralf Fücks analysiert die Chance einer
> ökoindustriellen Wende. Wie könnte die in Staaten wie Russland, China und
> den USA aussehen?
Bild: In China sind im letzten Jahr 14 Gigawatt Solarenergie installiert worden…
taz: Lieber Ralf Fücks, um auch in Sachen Klimawandel den Kanzlerinnensatz
des Jahres zu variieren: Schaffen wir das?
Ralf Fücks: Ich bin deutlich zuversichtlicher als vor sechs Jahren in
Kopenhagen. Damals steckten wir noch in der Falle des Antagonismus zwischen
wirtschaftlichem Wachstum und Klimaschutz. Die Verhandlungen standen unter
dem Vorzeichen der Lastenverteilung. Jetzt kommt erstmals in Reichweite,
den alten Gegensatz von Ökonomie und Ökologie zu überwinden. Diese
Veränderung bemerkt man auch in Schwellenländern wie Indien und China. Da
hat sich fundamental etwas bewegt.
Fundamental. Ist das nicht ein großes Wort?
Aber es trifft zu. Der eine Faktor ist der wachsende Problemdruck, dem sich
kaum eine Regierung entziehen kann: Luftverschmutzung Müllberge, vergiftete
Böden, Wasserknappheit sind alltägliche Probleme in vielen
Schwellenländern. Daraus folgt ein wachsender Handlungsdruck. Dazu kommt
als zweites, dass die Alternativen greifbar geworden sind. Erneuerbare
Energien sind keine grüne Spinnerei mehr, sondern werden eine
wirtschaftlich attraktive Alternative. Die Kosten für Solarenergie sind in
den letzten sechs Jahren um 80 Prozent gesunken, die Kosten für Windkraft
um 60 Prozent, das sind handfeste Argumente. Der Abschied vom fossilen
Energiezeitalter hat begonnen – sonst gäbe es nicht die relativ
ambitionierten Verpflichtungen, die die Schwellenländer für Paris
formuliert haben.
Die neuen Verpflichtungen, alle eingehalten, ergäben 2,7 Grad. Viel zu
viel.
Stimmt – aber die Klimakonferenz kann eine positive Dynamik in Gang setzen,
die zu weitergehenden Verpflichtungen führen wird.
Was ist, wenn in Paris nichts herauskommt?
Ich bin überzeugt, dass wir an der Schwelle einer grünen industriellen
Revolution stehen, die durch Bewußtseinswandel und technische Innovation
vorangetrieben wird. Die Frage ist, ob das schnell genug passiert, um
katastrophale Verwerfungen zu vermeiden. Wir stehen im Wettlauf mit der
Zeit, deshalb ist Paris wichtig, aber man soll nicht so tun, als sei ein
Misserfolg das finale Scheitern.
Sie sind gerade mit der englischen Ausgabe Ihres Buches „Intelligent
wachsen“ durch die Welt gereist. Aus Sicht Ihrer Kritiker propagieren Sie
einen grünen Turbokapitalismus.
Der Knackpunkt ist: Wenn wir nicht zeigen, dass Klima- und Umweltschutz mit
wirtschaftlicher Entwicklung vereinbar ist,verlieren wir. Es sind
Milliarden Menschen auf dem Planeten auf dem Weg von bitterer Armut zu
einem besseren Leben. Und dieses bessere Leben werden sie sich auf keinen
Fall abhandeln lassen. Die Weltwirtschaft wird sich in den kommenden
zwanzig Jahren glatt verdoppeln. Die zentrale Frage ist, ob wir den Sprung
zum grünen Wachstum schaffen.
Bevor diese Ländern Energie sparen, wollen sie erstmal Energie verbrauchen
können.
Der Energieverbrauch steigt vor allem in den Schwellenländern mit ihrer
wachsenden städtischen Mittelklasse. Die Frage ist, ob ihr Energiehunger
mit fossilen oder erneuerbaren Energien gestillt wird. Effizienzrevolution
und Energiewende sind der Schlüssel für eine Entkopplung von Wohlstand und
Umweltverbrauch.
Es gibt genügend Experten, die behaupten, Entkopplung sei per se unmöglich.
Das ist purer Fatalismus. Die ganze Geschichte der Zivilisation besteht
darin, die Knappheit natürlicher Ressourcen durch Erfindungsgeist zu
überwinden. Es gibt eine empirische Evidenz, dass Entkopplung machbar ist.
Die OECD-Länder verzeichnen seit 1990 ein Wirtschaftswachstum von 46
Prozent und einen Rückgang der CO2-Emissionen um 23 Prozent.
US-Präsident Obama arbeitet auch klimapolitisch an seinem Vermächtnis. Was
bringt das?
Wir haben dadurch in den USA erstmals eine ambitionierte Klimapolitik auf
Bundesebene, wenn auch mit begrenztem Instrumentarium, nämlich der
Exekutivmacht des Präsidenten, am Kongress vorbei. Wie meistens in Amerika
kommt die Veränderung aber nicht primär von der nationalen Politik.
Sondern?
Sie findet dezentral statt. Es gibt eine Reihe von Bundesstaaten und
zahlreiche Städte mit ambitionierten Klimaplänen. Gleichzeitig gibt es den
quicklebendigen Unternehmenssektor. Wagniskapital fließt in grüne
Technologien. Google, Apple und Co. investieren massiv in Erneuerbare und
Energieeffizienz. Die Synergien zwischen digitaler Avantgarde und grüner
Industrie sind ein machtvoller Hebel für Innovationen. Wer in den USA etwas
für den Klimaschutz tun will, muss mit ökonomischen Chancen und Jobs
argumentieren.
Es gibt texanische Unternehmer, die bezweifeln, dass es Klimawandel gibt
und mit Erneuerbaren ein Schweinegeld verdienen. Ist Ihnen das zu
unmoralisch?
Moralisch ist, was dem Klima nützt. Ich zweifle aber, dass die Kräfte des
Marktes allein ausreichen, um die grüne Wende zu schaffen, solange Kohle
und Öl so extrem billig sind. Das Beste wäre eine Mischung aus
amerikanischem Unternehmergeist und europäischer Regulierung. Es braucht
politische Rahmenbedingungen und einen globalen Preis für CO2 – das
zentrale Argument des Klimaökonomen Ottmar Edenhofer. Nur so kann man
erreichen, dass der Löwenanteil fossiler Reserven im Boden bleibt.
Welche Debatte haben Sie im Öl- und Gasscheichtum Russland vorgefunden?
Russland ist eine Rentenstaat, der von der Ausbeutung fossiler Ressourcen
lebt. Daran gibt es bisher kaum öffentliche Kritik – die wäre riskant für
alle, die sie führen. Aber es spricht sich langsam herum, dass das
bisherige Geschäftsmodell Russlands in der Krise ist, weil ein Überangebot
fossiler Energien herrscht und der Ölpreis auf absehbare Zeit nicht mehr
auf alte Höhen zurückkehren wird.
Was ist die Alternative?
Eine Ökonomie, die nicht auf der Monopolisierung von Öl- und Gasrenten
beruht, sondern auf wissensbasierter Innovation, Erfindungsgeist und
Unternehmertum. Das braucht aber politische Reformen, das braucht ganz
andere Rahmenbedingungen: Rechtssicherheit, ein Mindestmaß an politischem
Pluralismus und kritischer Öffentlichkeit.
Mit Russland ist also nicht zu rechnen.
Nicht so schnell, richtig. Die jetzige russische Regierung gehört zu denen,
die ein globales CO2-Regime für einen Angriff auf das Wachstum in Russland
und den Schwellenländern halten. Ein Umsteuern wird nicht von den jetzigen
Machthabern ausgehen. Er wird vermutlich erst kommen, wenn das jetzige
Modell nicht mehr finanzierbar ist.
In Indien sah man Klimaschutz stets als Sache der Industrieländer. Und nun?
Diese Einstellung beruhte noch auf der Vorstellung, dass jede
CO2-Reduzierung eine Begrenzung der wirtschaftlichen Entwicklung bedeutet.
Dieses alte Denken löst sich gerade auf. Außerdem sind die Folgen des
Klimawandels für Indien mit seinen langen Küstenlinien, dem zunehmenden
Verlust fruchtbarer Böden, der Luftverschmutzung und der Wasserkrise
dramatisch. Die Einsicht wächst, dass sie selbst etwas tun müssen.
Wie verläuft die indische Diskussion?
Zwischen zwei Linien: auf der einen Seite die Befürworter nachholender
Entwicklung im alten Stil, also Wachstum ohne umweltpolitische Rücksichten.
Auf der anderen Seite steht ein alternatives Entwicklungsmodell mit
nachhaltigen Wachstumszielen. Darüber wird heftig diskutiert. Indien ist
ein High Tech-Land, zugleich lebt die Hälfte der Bevölkerung in Armut.
Wie bringt man Armutsbekämpfung und ökologische Moderne zusammen?
Das ist eine der Schlüsselfragen. In Indien gehen die ökologische und die
soziale Frage Hand in Hand. Es geht um Bildung, Landrechte, Investitionen
in die ländlichen Gebiete, dezentrale Stromversorgung mit alternativen
Energien, Wasseraufbereitung etc. Die Welt wird zunehmend geprägt von
Ländern an der Schwelle zur Industriegesellschaft. Der Aufbruch in die
industrielle Moderne, der sich in Europa im 19. Jahrhundert vollzog, findet
jetzt global statt. Die Frage ist: Mit fossilen oder mit ermeuerbaren
Energien, mit Ressourcenverschwendung oder einer effizienten
Kreislaufwirtschaft?
Der Fortschritt in China wird geradezu euphorisch gesehen. Von Ihnen auch?
Der immense ökologische Problemdruck in China erzwingt ein Umdenken, und
der rapide Fortschritt bei den erneuerbaren Energien eröffnet eine
Alternative zum bisherigen Wachstumsmodell. In China sind im letzten Jahr
14 Gigawatt Solarenergie installiert worden, die doppelte Menge von ganz
Europa. Von Greenpeace gibt es Daten, dass der Kohleverbrauch in China
erstmals signifikant gesunken ist, obwohl die Wirtschaft offiziell um sechs
Prozent wuchs. Das hat mit dem einsetzenden Strukturwandel zu einer
Dienstleistungsökonomie zu tun, aber auch mit drastischen Maßnahmen gegen
veraltete Kraftwerke und Fabriken, die in einem autoritären System mit
einem Federstrich geschlossen werden können.
Der alte Traum mancher Ökolinker ist ja die Ökodiktatur.
Ich halte das für einen kompletten Irrweg, nicht nur weil Demokratie ein
Wert an sich ist, der nicht verhandelbar ist. Ich rechne damit, dass China
an die Grenzen seines autoritären Entwicklungsmodells stoßen wird. Der
Übergang zu einer ökologischen Produktionsweise braucht eine kritische
Öffentlichkeit und aktive Zivilgesellschaft, innovative Unternehmen und
offene Märkte. Die Freisetzung kreativer Lösungen ist das A und O, und das
ist abhängig von einem demokratischen Umfeld, in dem Konflikte ausgetragen
werden können.
Es muss also so offen und kreativ zugehen wie bei den Grünen?
Sie können mich nicht aufs Glatteis locken. Aber die Grünen könnten ein
bisschen mehr an offener Debatte gut vertragen. Das derzeitige Maß an
Konformismus macht sie weniger interessant als sie sein könnten.
3 Dec 2015
## AUTOREN
Peter Unfried
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