# taz.de -- Polizei lässt Hausbesetzer zahlen: Rätselraten um Kettensägen | |
> Das Oberlandesgericht hat verhandelt, ob Hausbesetzer einem Spekulanten | |
> Schadenersatz für eine Haustür zahlen müssen – die von der Polizei | |
> zerstört wurde. | |
Bild: Besetzt und noch am selben Abend von der Polizei brachial geräumt: das �… | |
HAMBURG taz | Es ist kein Joke: Mehr als fünf Jahre nach der Hausbesetzung | |
des sogenannten Geisterhauses in der Juliusstraße 40 beschäftigt eine von | |
der Polizei bei der Räumung geknackte Eingangshaustür noch immer die | |
Justiz. Eigentlich wollte die Richterin am Oberlandesgericht, Annette | |
Pflaum, die Berufung der sieben HausbesetzerInnen im schriftlichen | |
Verfahren zurückweisen. Die waren vom Landgericht in einem Zivilprozess zu | |
8.564,61 Euro Schadensersatz für die edle Mahagoni-Haustür verurteilt | |
worden. Am Montag kam es nun doch zu einer kurzen und lebhaften mündlichen | |
Verhandlung. | |
Ausgerechnet der starrsinnige Spekulant Ernst-August Landschulze, der das | |
Haus seit neun Jahren leer stehen lässt, möchte die HausbesetzerInnen für | |
eine Maßanfertigung einer neuen Tür in Regress nehmen lassen. Die | |
Gesamtkosten des Rechtsstreits belaufen sich inzwischen mit Gerichts- und | |
Anwaltskosten auf 12.000 Euro. | |
Richterin Pflaum bezieht sich bei ihrer Pro-Landschulze Haltung auf die | |
Rechtsprechung des Bundesgerichtshof, der 1974 HausbesetzerInnen für den | |
bei einer kollektiven Aktion entstandenen Sachschaden „gesamtschuldnerisch“ | |
unabhängig vom Tatbeitrag in Haftung genommen hatte. | |
„Wir teilen ihre Rechtsauffassung nicht“, erwiderte Hausbesetzer-Anwalt | |
Martin Klingner Richterin Pflaum. Denn der Fall in der Juliusstraße sei | |
komplizierter. Landschulzes Anwalt habe nie nachgewiesen, „dass die Tür | |
komplett zerstört wurde, wie es das Landgericht zur Grundlage gemacht hat“, | |
ergänzte dessen Kollege Hendrik Schulze. „Die Beweisaufnahme vor dem | |
Landgericht ist sehr ungewöhnlich abgelaufen“, sagte Schulze. | |
Denn anfangs bemängelte das Landgericht selbst, Landschulzes Anwalt habe | |
nicht belegt, dass die Tür bei der polizeilichen Räumung durch den Einsatz | |
von Kettensägen und einem Rammbock tatsächlich völlig zerstört worden sei. | |
Es hatte sich mit dem Vorhalt der Anwälte auseinanderzusetzen, ob nicht die | |
Polizei für den Schaden aufkommen müsse, da sie auch mit milderen Mittel in | |
das Haus hätte hinein kommen können. Denn die Besetzer seien nicht kausal | |
für die Schäden verantwortlich, so dass kein „Zurechnungszusammenhang“ | |
konstruiert werden könne. | |
Nach einer Umbesetzung der Kammer war das Landgericht dann plötzlich doch | |
von einem „Totalschaden“ ausgegangen. „Es ist nicht nachvollziehbar, wie | |
der Sinneswandel zustande gekommen ist“, monierte Schulze. „Das besondere | |
an diesen Verfahren ist, dass in keiner Weise – auch nicht nur im Ansatz – | |
die Art der Zerstörung geklärt worden ist“, kritisiert Klingner. | |
Denn die 25 Polizeizeugen, die zum Räumungs-Prozedere schriftlich vom | |
Gericht gehört worden waren, hätten allesamt vom Einsatz von Kettensägen | |
und Rammböcken nichts berichtet. Schaden und Schadenshergang sei in keiner | |
Weise geklärt worden, was für einen Zivilprozess – der eher die Züge eines | |
Amtsermittlungsverfahren angenommen habe – ungewöhnlich sei. | |
Denn die Beweislast läge eigentlich beim Kläger, also bei Landschulze. „Bei | |
jedem Verkehrsunfall muss ich das kaputte Auto vorzeigen, um Schadensersatz | |
zu bekommen“, sagte Schulze und legte ein aktuelles Foto von der Haustür | |
der Juliusstraße 40 vor. Die Aufnahme belegt, dass die Mahagoni-Tür nie | |
repariert worden ist. | |
Richterin Pflaum sicherte zu, noch mal in sich zu gehen. Ihr Urteil will | |
sie am 23. Dezember verkünden. Wenn die Beschwerde nicht zurückgewiesen | |
wird, müsste Pflaum Landschulze mit einem Beweisbeschluss dazu verdonnern, | |
den Totalschaden der Mahagoni-Tür zu belegen. | |
14 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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