# taz.de -- Sowjetischer Silvesterklassiker im TV: Keine Ironie, doch Ironie | |
> „Ironie des Schicksals“ ist das „Dinner for One“ der Post-Sowjetstaat… | |
> Die Ukraine wollte den Film jetzt aus dem Programm nehmen – beinahe. | |
Bild: Die Crew von „Ironie des Schicksals“: Schauspieler Andrey Myagkov, Ba… | |
Eigentlich wollte ich gern unpolitisch bleiben. Es bot sich sonst in der | |
letzten Zeit kaum die Gelegenheit, über Russland oder über die Ukraine | |
jenseits der Frontlinien zu berichten. Nur geht das leider auch diesmal | |
nicht. | |
Ukrainische Freunde haben am Wochenende berichtet, dass der sowjetische | |
Silvesterklassiker „Ironie des Schicksals oder Mit leichtem Dampf“ aus dem | |
diesjährigen ukrainischen TV-Programm verbannt werden sollte. Der Film | |
wurde vom russischen Regisseur Eldar Rjasanow vor 40 Jahren gedreht und | |
genießt Kultstatus im ganzen postsowjetischen Raum. Die Begründung für die | |
Programmänderung: Eine der Schauspielerinnen, die in dem Verwirrspiel | |
erscheinen, ist auf die Ukraine nicht gut zu sprechen. Ironischerweise ist | |
die Dame mittlerweile 80 Jahre alt. | |
„Wie oft hast du dir diesmal die Ironie des Schicksals reingezogen?“, | |
lautet die erste Begrüßung im neuen Jahr unter Russischsprachigen weltweit. | |
Soll heißen: „Wie beglückend und sinnerfüllt war deine Silvesterfeier?“ | |
Nicht selten lautet die Antwort: „dreimal“, was einem kompletten Arbeitstag | |
entspricht. Das sowjetische „Dinner for One“ dauert nämlich nicht 18 | |
Minuten, sondern ganze drei Stunden. | |
Eine Bekannte macht es so: Zunächst hört sie sich nur den Ton an, während | |
sie schrubbt und fegt. Die Bilder hat sie sowieso alle im Kopf. Beim | |
zweiten Mal läuft der Film als Kulisse, während gemeinsam Salate | |
geschnippelt werden (meine „Schnippel-Ironie“, sagt sie dazu). Erst beim | |
dritten Mal, meistens am 1. oder 2. Januar, gönnt sie sich „die Ironie“ als | |
Kinoerlebnis pur, im Sessel mit Sekt und Kaviar. | |
Die Handlung ist schnell erzählt. Vier Moskauer Kumpane feiern bei einem | |
traditionellen Silvestersauna-Besuch die bevorstehende Hochzeit von | |
Schenja. Das tun sie so ausgiebig, dass der Bräutigam anschließend statt | |
seines Freundes in ein Flugzeug nach Leningrad verfrachtet wird. Dort fährt | |
er nichts ahnend im Taxi „nach Hause“. Nicht nur die Adresse passt. Auch | |
der Plattenbau, das Schloss und die Schrankwand entpuppen sich, wie so | |
vieles in der Sowjetunion, als universell heimelig. | |
Nach einem kurzen Ausnüchterungsschlaf wird Schenja von einer falschen | |
Braut geweckt, die jede Sekunde mit ihrem richtigen Bräutigam rechnet. Es | |
folgt Aufruhr, Verwirrung und Lacher auf Lacher. Zum Schluss gibt’sein | |
Happy End, versteht sich. Das zufällige Paar bleibt zusammen. | |
## Die Küche wird zum Maidan | |
Dass die „Ironie“ aus dem Programm genommen werden sollte, war nicht die | |
einzige unpopuläre Ankündigung der letzten Tage. Gerade hatte ein | |
ukrainischer Regierungsvertreter angekündigt, Weihnachten vom 6. Januar auf | |
den 25. Dezember vorzuziehen. Für besonderen Verdruss sorgen zudem die | |
fetten Heizungsrechnungen, die bei manchen jetzt ein Drittel des | |
Monatsbudgets ausmachen. | |
Diese Nachrichtenlage ist dramatisch genug, nun sollte noch das beliebte | |
Fernsehspiel gestrichen werden. Wenn da nicht jede Küche zu einem Maidan | |
wird, dann muss der nächste Friedensnobelpreis an die Ukrainer verliehen | |
werden – als die weiseste, duldsamste und friedfertigste Nation der Welt. | |
Zum Glück kamen die Verantwortlichen schnell zur Besinnung. Der Nationale | |
Rat der Ukraine für Rundfunk und Fernsehen ließ am Montag verlauten, dass | |
der Film „Ironie des Schicksals“ nun doch ausgestrahlt wird. Ohnehin wäre | |
kaum ein Haushalt an Silvester „Ironie“-frei geblieben. Viele haben die | |
Posse als DVD zu Hause, im Netz ist der Film sowieso zu haben, und die | |
Kabelbesitzer können zwischen russischen und anderen postsowjetischen | |
Sendern switchen, wo der erfolgreichste sowjetische Film aller Zeiten | |
dutzende Male ausgestrahlt wird. | |
Es gibt übrigens erstaunlich viele Gemeinsamkeiten zwischen dem deutschen | |
„Dinner for One“ und dem sowjetischen Silvesterknaller. Beide sind fast | |
gleichzeitig entstanden und werden vor allem von Liebhabern derselben | |
Generation gesehen. Beide dokumentieren schöne heile Zeiten, in denen es | |
noch Festnetztelefone und Telegramme gab, Abstand und Anstand. Mann und | |
Frau. | |
Die „Ironie des Schicksals“ handelt zudem davon, wie unverzichtbar Freunde | |
sind. Und wie köstlich das Irdische, die gemeinsame Tafel. Und der | |
übermäßige Alkoholkonsum. Aber vor allem der überbordende Humor. Die Komik | |
als Lebenselixier. | |
28 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Jarina Kajafa | |
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