| # taz.de -- Silvester-Klassiker reloaded: Dinner for Everyone | |
| > Der Butler, der über das Tigerfell stolpert? Kennt jeder, der Silvester | |
| > mal seinen Fernseher angemacht hat. Drei Vorschläge für ein etwas anderes | |
| > "Dinner for One". | |
| Bild: Mann kämpft gegen Tiger: "Dinner for One", das Original | |
| Weil nicht einmal die Engländer "Dinner for One" kennen, hier zunächst für | |
| alle Unwissenden | |
| das Original | |
| Wir befinden uns auf dem Landsitz von Miss Sophie. Sie hat ihre vier besten | |
| Freunde zu einem Geburtstagdinner eingeladen. Hierbei ergibt sich | |
| allerdings eine kleine Schwierigkeit: Sie feiert ihren 90. Geburtstag und | |
| sie hat ihre vier besten Freunde längst überlebt. Da die Herren nicht | |
| persönlich erscheinen können, werden sie durch Miss Sophies Butler James | |
| vertreten. Dieser serviert Miss Sophie das Menü und ihren imaginären Gästen | |
| zu jedem Gang die passenden - alkoholischen - Getränke, erhebt jeweils | |
| einen Trinkspruch auf die Gastgeberin und leert die Drinks der Abwesenden. | |
| Nachdem das Essen beendet ist, muss der arme Butler seinen Pflichten auch | |
| noch im Schlafzimmer der Dame nachkommen. Der Dialog zwischen Miss Sophie | |
| und James ist im Grunde ohne Belang, der Ablauf dieses Dinner ist seit | |
| Jahren genau gleich. James wird immer wieder fragen: "Same procedure as | |
| last year?" Miss Sophie wird immer wieder antworten: "Same procedure as | |
| every year, James." | |
| IN DER "UNTERSCHICHT" | |
| Wir befinden uns in der Wohnung von der Doreen. Sie hat vier ihrer Nachbarn | |
| zu einer Dessous-Party eingeladen. Hierbei ergibt sich allerdings eine | |
| kleine Schwierigkeit: Doreen hat sich erst kürzlich in der Oliver | |
| Geissen-Show mit ihren Nachbarn geprügelt. Ihr Freund Uwe wird die | |
| Abwesenden vertreten. | |
| die Doreen: Uwe! Sind alle da? | |
| Uwe: Ja, der Horst, die Jessica und | |
| die Doreen (wird langsam ungeduldig): Komm, nu bring dat Pils ran. | |
| Uwe sieht höflich über den rüden Abbruch der Konversation hinweg. Er stellt | |
| eine Kiste Bier neben das Sofa und serviert die Erdnussflips. | |
| Uwe: Prost! | |
| die Doreen: Haut wech, Leute! | |
| Uwe haut viermal dat Pils wech. | |
| Uwe: Dürfte ich nun den Wein kredenzen? | |
| die Doreen (erfreut sich zusehends an der gelungenen Party): Hol ma. | |
| Uwe macht sich auf den Weg zum Kühlschrank. Unterwegs stolpert er, nun | |
| schon leicht angetrunken, über ein fernsehendes Kleinkind. | |
| Uwe (zurück im heimeligen Wohnzimmer): Prost! Es geht doch nichts über | |
| einen guten Tropfen. Der Wein kommt aus ganz Europa, da machste nichts mit | |
| verkehrt. | |
| die Doreen: Na dann Stößchen! Sach ma, Horst, was machtn eigentlich dein | |
| Bein? (pöbelnd) Aber ich hab dir ja gesagt, wenn Hasso den Maulkorb nicht | |
| anhat, bleib besser wech von dem Tier. Ich habs dir gesagt, ich habs dir | |
| 100 Mal gesagt! | |
| Uwe (schlüpft blitzschnell in die Rolle des imaginären Gastes Horst): | |
| Apropos Mistvieh, wo bleibt eigentlich der Schnaps? | |
| die Doreen: Uwe! Machma Runde Schnaps! | |
| Uwe geht zur Schrankwand, um den Schnaps zu holen, und stolpert dabei | |
| erneut über ein Kleinkind. Es liegt immer noch auf dem Wohnzimmerboden und | |
| spielt mittlerweile Killerspiele auf der Playstation. Uwe gießt fünf Kurze | |
| ein, dazu serviert er Marlboros und Aschenbecher. Doreen stößt mit jedem | |
| einzeln an. Schnäpse werden in rascher Abfolge geleert. Uwe hadert | |
| zunehmend mit seiner Contenance. Das Dinner strebt unaufhaltsam seinem | |
| Höhepunkt entgegen, als Doreen energisch ihre Zigarette ausdrückt und den | |
| Morgenmantel lockert. | |
| die Doreen: So, mein Junge, du weißt, was anliegt. Es ist Samstagabend | |
| (zieht sich in unverhohlener erotischer Absicht die Hausschuhe aus und legt | |
| lasziv die Füße auf den Couchtisch) | |
| Uwe: Wie willsses denn haben? Wie immer oda was? | |
| die Doreen: Ach komm, halt die Klappe und mach. | |
| BEI ALTEN NAZIS | |
| Wir befinden uns im Landsitz der Pfalzgräfin Helmtrud von Rheinwacht, die | |
| heute ihren 94. Geburtstag begeht. Leider hat das Geschlecht derer von | |
| Rheinwacht trotz heldenhaften Abwehrkampfes alle seine linksrheinischen | |
| Güter verloren. Als Ersatz-Landsitz dient daher eine Doppelhaushälfte in | |
| Neckarwestheim. Die gefallenen Kameraden vertritt der örtliche | |
| Heimatvertriebenen-Funktionär Alfons. Da die alte Dame leider auf dem | |
| linken Ohr taub ist, findet die Abendunterhaltung im Kasernenhofstil statt. | |
| Alfons: Darf ich die Suppe servieren, Frau Pfalzgräfin? | |
| Helmtrud: Sind denn die alten Kameraden versammelt? | |
| Alfons: Jawoll! | |
| Alfons holt eine Markklößchensuppe aus der Einbauküche. Er serviert der | |
| Pfalzgräfin und vier imaginären Gästen die Suppe und schenkt dazu Riesling | |
| ein. | |
| Helmtrud: (mit schneidender Stimme) Es schmeckt doch wohl hoffentlich? | |
| Alfons nimmt blitzschnell Platz und Rolle des gefallenen Generals von | |
| Werckenitz ein. | |
| Alfons: Härrlich! Wie aus dem Knochenmark eines ausgeweideten Feindes! | |
| Prosit! | |
| Helmtrud (sichtlich erfreut): Na dann Prosit! | |
| Alfons: (leert in schneller Runde die Weingläser der alten Kameraden) Auf | |
| Deutschland! Prost, Kameraden! Wohlsein! | |
| Helmtrud: Alfons! Abtragen! | |
| Alfons trägt die Suppe ab. Beim Gang zur Küche stolpert er über eine Kiste | |
| mit der Aufschrift "Wunderwaffen". In der Kiste rappelt es bedenklich. | |
| Rauch steigt auf. Als die Gräfin nicht reagiert, reißt sich der sichtlich | |
| erschrockene Alfons zusammen und serviert das Hauptgericht. | |
| Alfons: Schweinebraten vom Spieß, Frau Pfalzgräfin. | |
| Helmtrud: Vom Spieß! Mein guter Alfons! Alfons schlüpft in die Rolle des | |
| verstorbenen Flak-Offiziers Dankwart Preussert. | |
| Alfons: Jawoll! Hätte es früher nicht gegeben! Da gabs überhaupt nur | |
| Dresche vom Spieß! Aber delikat. Bier dazu. Schießt den Vogel ab, haha! | |
| Prosit! Auf Deutschland! Wohlsein! | |
| Alfons stürzt die vier Bier in Rekordgeschwindigkeit hinunter. Sichtlich | |
| angeschlagen trägt er den Spießbraten ab. Als er mit Donauwelle und Likör | |
| zurückkehrt, stolpert er abermals über die Wunderwaffen-Kiste und wirft sie | |
| um. Eine blinkende Granate in retrofuturistischem Design kullert hervor, | |
| explodiert und sprengt ein Loch in die Außenwand. | |
| Helmtrud: Der Feind?! Ist er schon über den Neckar? | |
| Alfons: Ähh. Nein! Äh, doch! Jawohl, der Feind, meine Pfalzgräfin! | |
| Helmtrud: Wenn das so ist, müssen wir handeln: Dessert entfällt! Wir gehen | |
| direkt zum nächsten Schritt über! | |
| Die Gräfin lockert ihr Korsett und leckt sich aufreizend über die Lippen. | |
| Alfons: Aber Frau Pfalzgräfin | |
| Helmtrud: Du weißt doch, Alfons: Die gleiche Prozedur wie jedes Jahr! | |
| Alfons: (resigniert): Fürs Vaterland! | |
| BEI EVA HERMAN | |
| Wir befinden uns in dem Anwesen Eva Hermans, einem großzügigen | |
| Einfamilienhaus mit vier Kinderzimmern. Leider stehen alle diese Zimmer | |
| leer: Eva Hermans Sohn liegt mit einer Muttermilchvergiftung im | |
| Krankenhaus. Die drei anderen Kinder hatte die ehemalige Karrierefrau | |
| bereits in den Achtzigern an den NDR verkauft. Da Ehemann Michael als | |
| Ernährer der Familie auch am Geburtstag seiner Frau im Büro bleiben muss, | |
| wird Johannes B. Kerner alle Abwesenden ersetzen. | |
| Eva: Da ist die Suppe, meine Lieben. Sie ist vielleicht nichts Besonderes, | |
| aber sie ist selbstgemacht. | |
| Eva verteilt die Erbsensuppe auf fünf Teller. Sie setzt sich und beginnt | |
| ein Tischgebet. Kerner setzt sich auf einen der Kinderstühle und faltet | |
| ebenfalls die Hände. | |
| Eva: Oh, Gott, dir sei für Speis und Trank, für alles Gute Lob und Dank! | |
| Kerner (mit imitiertem Kinderstimmchen): Amen. Danke, Mama, die Suppe ist | |
| toll! | |
| Eva: Das freut mich, Hannah. | |
| Eva will sich erheben und die Suppenteller abtragen. Doch Kerner schlüpft | |
| blitzschnell in die Rolle des Ehemannes und stellt sich ihr in den Weg. | |
| Kerner: Heute mach ich das, mein Schatz. | |
| Eva: Aber es ist doch meine biologische Bestimmung. | |
| Kerner: Du hast Geburtstag, Eva, entspann dich. | |
| Eva knabbert sichtlich nervös an den Fingernägeln. Kerner trägt die | |
| Suppenteller in die Küche und kommt mit einer kross gebratenen Ente zurück. | |
| Auf halbem Wege stolpert er über einen Müllsack. Eva erschrickt. Kerner | |
| hält kurz inne, serviert dann aber die Ente. | |
| Eva: Naaa, schmeckts? Hab ich selbst gebraten. | |
| Flink wechselt Kerner zwischen den Kinderstühlen hin und her. | |
| Kerner: Bäh! Rotkohl! Ihh, das esse ich nicht! | |
| Kerner: Mama! Der Hein hat einen Kloß nach mir geworfen! | |
| Kerner: Mama! Die Helena lügt! | |
| Eva (selig): Hach. Familie. | |
| Kerner trägt die Reste des Hauptganges ab. Als er dabei wieder über den | |
| Müllsack stolpert, platzt dieser auf. Leere Konservendosen kullern über den | |
| Boden. | |
| Kerner: Ja was ist das denn? Fertigsuppen? Rotkohl-Konserven? Kloßteig? | |
| Eva! Von wegen selbstgemacht! Schäm dich! | |
| Eva: Es tut mir so leid! Ich wollte ja selber kochen, aber da waren so | |
| Feministinnen, die haben mich festgehalten und wollten mich weiterbilden | |
| und mir Geld aufdrängen, wenn ich nur nicht in die Küche gehe. Und ich kann | |
| mich doch so schwer wehren, als schwache Frau. | |
| Kerner: Es sind die Momente, wo man sich Gedanken macht, wie man | |
| weitermacht. Ich habe mich entschieden, dass ich mit vier Gästen | |
| weitermache und dich, Eva, jetzt verabschiede. Danke schön. | |
| Die völlig verstörte Eva wird von herbeieilenden ZDF-Mitarbeitern aus ihrer | |
| eigenen Haustür geschoben. Kerner setzt sich an den Tisch und öffnet eine | |
| Flasche Wein. | |
| Kerner (selbstzufrieden): Die gleiche Prozedur wie in jeder Sendung! | |
| 31 Dec 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Lana Stille | |
| Klaus Uhrig | |
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| Ukraine | |
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