# taz.de -- ARD-Doku „Honeckers Gastarbeiter“: Das falsche Paradies | |
> Fremdenfeindlichkeit sei deshalb ein ostdeutsches Problem, weil es in der | |
> DDR keine Ausländer gab, heißt es oft. Eine ARD-Doku widerlegt das. | |
Bild: In der DDR unerwünscht, in der Heimat als „Mad Germans“ verschrien: … | |
Wenn in den letzten Monaten darüber gesprochen wurde, warum Pegida gerade | |
in Dresden und die AFD neuerdings gerade in Erfurt so erfolgreich sind, | |
warum vor allem in Sachsen, Thüringen und Brandenburg | |
Flüchtlingsunterkünfte brennen und warum der braune Mob in Berlin-Marzahn, | |
Heidenau oder Freital tobt, dann heißt es oft: „Sind eben Ossis“. Dieser | |
Satz steht dann wahlweise für: „Die haben die Wende nicht verkraftet“, | |
„[1][sind depressiv und perspektivlos]“ oder „[2][Die kennen das eben | |
nicht: Einwanderer und fremde Kulturen. Gab es nicht in der DDR]“. | |
An all diesen Thesen ist etwas Wahres dran, aber sie [3][reichen nur | |
bedingt, um die Fremdenfeindlichkeit im Osten zu erklären]. Dass vor allem | |
die letzte These nicht ganz zutrifft, zeigt die ARD-Doku „Honeckers | |
Gastarbeiter: Fremde Freunde in der DDR“. Unter all den | |
Jubiläums-Rückblicks-Einheitsfeier-Dokus rund um den 9. November ist sie | |
eine der interessantesten, weil sie unbeabsichtigt viel darüber erzählt, | |
warum Fremdenfeindlichkeit zwar nicht ausschließlich, aber eben doch ein | |
starkes Problem des Ostens ist. | |
„Vertragsarbeiter“ hießen die Ausländer, die die DDR vor allem aus | |
Mosambik, Vietnam, Angola und Kuba in das Land geholt hat. Nach außen | |
verkaufte die Staatsführung das als „sozialistischen Bruderhilfe“, als | |
einen Akt der Solidarität und Völkerverständigung. In Wahrheit ging es aber | |
darum, Arbeitskräfte zu finden, die die teuren Maschinen in den | |
Volkseigenen Betrieben Tag und Nacht bedienen würden. 150.000 | |
Vertragsarbeiter importierte die DDR ab den 70er Jahren. | |
Ihr Aufenthalt war bis ins kleinste Detail vertraglich geregelt: wie viel | |
Wohnraum ihnen zustand (fünf Quadratmeter pro Person), wie lange sie im | |
Land bleiben durften (fünf Jahre), wie lange sie abends wach bleiben | |
durften (bis 22 Uhr), was sie nach hause schicken durften (100 Kilo Zucker | |
in fünf Jahren). Und trotzdem erzählt eine ehemalige vietnamesische | |
Vertragsarbeiterin in der Doku „Ich kam ins Paradies“, ein Mosambikaner | |
„Ich war wie ein Vogel: frei und flog in die DDR“. | |
## Eingepfercht im Plattenbau | |
Doch die Unbeschwertheit hielt nicht lange. Die Vertragsarbeiter lebten | |
eingepfercht in speziellen Wohnheimen. Die Doku zeigt bedrückende Bilder | |
aus den Plattenbauten. Die DDR-Regierung wollte verhindern, dass die | |
Arbeiter Kontakt zu Deutschen bekamen und hielt deshalb jede Information | |
über sie zurück. Die DDR-Bürger bemerkten die Vertragsarbeiter vor allem in | |
den Kaufhallen - daran, dass Reis und Hühnchen ausverkauft waren, wie eine | |
Ostberlinerin im Film erzählt. | |
Vor allem die Mosambikaner bekamen Rassismus zu spüren. Prügelnde Skinheads | |
gab es auch schon in der DDR und auch die Regierung wetterte intern gegen | |
die Vietnamesen, denen sie Warenschmuggel und Schwarzarbeit nachsagte. Die | |
Mosambikaner wurden ab Mitte der 80er noch dazu Opfer eines ganz besonderen | |
Kuhhandels: Die DDR behielt einen Teil ihres Lohnes ein, um so die Schulden | |
Mosambiks auszugleichen. | |
Die Wut darüber treibt die ehemaligen mosambikanischen Vertragsarbeiter | |
noch heute in Maputo auf die Straße. Die Doku zeigt sie dabei, wie sie | |
DDR-Flaggen schwenken und ihren Lohn lautstark einfordern. Nach ihrer | |
Rückkehr galten sie in der Heimat als die „Mad Germans“, fanden keine Jobs, | |
wurden beschimpft dafür, ihr Land in Zeiten des Bürgerkriegs allein | |
gelassen zu haben. Er fühle sich um seine Arbeit und sein Leben betrogen, | |
erzählt ein Mosambikaner mit „Deutschland“-Cappy und „Germany“-Pullove… | |
der Doku. | |
Als nach dem Fall der Mauer die Ostdeutschen massenhaft arbeitslos wurden, | |
verschärfte sich der Ton gegenüber den ehemaligen Vertragsarbeitern. 1991 | |
brannte ein Wohnheim vietnamesischer Vertragsarbeiter in Hoyerswerda, 1992 | |
in Rostock-Lichtenhagen. | |
Die Autoren der Doku erzählen zwar fein säuberlich die Chronik der | |
Vertragsarbeiter nach, verzichten aber auf die Schlüsse daraus. Einen | |
Zusammenhang zwischen den damals brennenden Wohnheimen und den heute | |
brennenden Flüchtlingsheimen stellen sie nicht her. Den muss sich der | |
Zuschauer schon selbst zusammenreimen. Aber das ist eben das Problem von | |
Jahrestagsfernsehen: Die Zeitspanne der Berichterstattung ist (zu) eng | |
abgesteckt. | |
16 Nov 2015 | |
## LINKS | |
[1] /!5224254/ | |
[2] http://www.ksta.de/politik/volker-bouffier-zu-pegida--auslaender-kannte-man… | |
[3] http://www.sueddeutsche.de/kultur/nach-dem-mauerfall-als-die-erinnerung-far… | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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