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# taz.de -- Verwandte Gespenster: Wettstreit in Düsternis
> Ernst Barlach und Alfred Kubin sind sich nie begegnet, aber sie schätzten
> einander. Die Korrespondenz ihrer Arbeiten zeigt eine Ausstellung in
> Hamburg
Bild: Alfred Kubin: An der Mauer.
HAMBURG taz | Im Herbstnebel werden kahle Äste zu bedrängenden Figuren,
Totentage stehen jetzt im Kalender, Gespensterfantasien gehen um. Ganz
passend gibt es ähnlich düstere Stimmungen [1][im Ernst-Barlach-Haus] zu
sehen, dem einzigen Hamburger Kunstmuseum, zu dem man nur mit einem
Spaziergang durch den Park gelangt. „Lichte Finsternis“ heißt die
Ausstellung, die erstmals das zeichnerische Werk von Ernst Barlach und von
Alfred Kubin thematisch gegenüberstellt. Vorgeführt in Licht und vor allem
Schatten wird dabei eine besondere Verwandtschaft im künstlerischen
Verständnis.
Das mag überraschen, denn der Norddeutsche Barlach, geboren 1870 in Wedel,
gestorben 1938 in Rostock, und der Österreicher Kubin (1877–1959) haben
sich niemals getroffen. Aber sie haben stets mit besonderer Hochachtung
voneinander gesprochen und kannten die Projekte des jeweils anderen,
insbesondere die Druckgrafik. Eine indirekte Verbindung war auch ihr
gemeinsamer Verleger und Freund Reinhard Piper. Schon früh gab es
Ausstellungen, in denen Arbeiten von beiden vertreten waren, frühe
Barlach-Sammler waren oft auch an Kubin interessiert, in dessen Nachlass
wiederum fand sich eine Barlach-Zeichnung.
## Private und existenzielle Katastrophen
Vor allem aber ist den beiden Künstlern gemeinsam, dass sie für innere
Stimmungen eine äußere Form suchten – eine bestimmende Haltung des
Expressionismus. Bleibt die künstlerische Sprache dabei figürlich, ergeben
sich fast zwingend symbolisch gesättigte Bildchiffren, eine Welt psychisch
bestimmter Traumgesichte, voller Kobolde, Tiermenschen und in fahlem Licht
drohend dahin stürmender Pferde. Die Art der bildnerischen Umsetzung
privater und existenzieller Katastrophen ist hier wie dort erstaunlich
ähnlich, allerdings stammen die vergleichbaren Arbeiten oft aus ganz
unterschiedlicher Entstehungszeit.
Ihre Fähigkeit, das Abgründige und Groteske, das Diffuse und Bedrohliche
ins Bild zu bannen, mag auch damit zu tun haben, dass beide Künstler ein
tiefes Verhältnis zur literarischen Formulierung hatten: Beide traten auch
als Autoren von Dramen und Romanen hervor, Kubin war ein herausragender
Illustrator der großen Schauergeschichten E.T.A. Hoffmanns oder Edgar Allen
Poes.
## Entlastender Horror
Bei allem Beschwören von Ängsten und Bedrohungen, gar des Weltuntergangs,
ist doch oft eine feine ironische Distanzierung zu spüren, ein mehr oder
weniger starker Sarkasmus, der bis ins Humoristische umkippen kann – allzu
schrecklich dargestellte Monster entlasten ja die Psyche, treiben die Angst
in die Komik: Kubin hat auch für die Münchner satirische Wochenzeitschrift
Simplicissimus gearbeitet.
Auch vom eher ernsten Barlach gibt es höchst skurrile, selten gezeigte
Motive: Die Kohle-Zeichnung „Gefäß“ von 1902 zeigt ein großes, völlig
verrücktes Suppen-Terrinen-Tier, auf dem reichlich klein sich ein
Liebespaar lümmelt – das Ganze nicht als verwaschene Traumvision
dargestellt, sondern präzise wie ein Design-Objekt. Ziemlich unernst ist
auch der Plaketten-Entwurf zur Einweihung des neuen, von Kaiser Wilhelm II.
mit entworfenen Hamburger Hauptbahnhofs 1906, bei dem die Bahngleise wie
fauchende Drachen-Schlangen daherkommen.
## Das grausamste aller Tiere
Doch bis auf die wie in betrunkener Seemannsfantasie rotglühende
Monsterkrake in Kubins „Unterseestück“ (1906) zeigt die durchgängig
schwarz-weiße Ausstellung überwiegend Angstschreie und verendete Tiere,
abgeschlagene Köpfe, Hexen, Furien, ermordete Frauen und Todesträume aller
Art: Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit seinen Katastrophen und
Kriegen und der nationalsozialistischen Kunstverfolgung gab genug Anlass zu
grauenhaften, kaum zuversichtlichen Visionen. Und bei all den seltsamen
Misch-und Rätselwesen, den öden, existenzialistisch leeren oder den von
Phantasmen angefüllten Orten, scheinen beide Künstler immer wieder kritisch
darauf zu verweisen, dass all diese Erscheinungen nur Facetten des
rätselhaftesten und grausamsten Wesens überhaupt sind: des Menschen.
Die Ausstellung beruht auf einer Zusammenarbeit mit der Ernst Barlach
Stiftung Güstrow und dem Oberösterreichischen Landesmuseum in Linz, das den
größten Teil des Kubin-Nachlasses besitzt. Durch den unterschiedlichen
Umgang mit grafischen Blättern in den verschiedenen Institutionen ergibt
sich, dass die 80 Arbeiten in den 13 thematischen Kapiteln sofort
zuzuordnen sind: Die Blätter von Ernst Barlach sind braun gerahmt, die von
Kubin weiß – so ergibt sich Museumsdidaktik durch Zufall.
## Eine hochkarätige Neuerwerbung
Einmal mehr durchdringt die Sonderausstellung die Präsentation der
Skulpturen aus dem Bestand des Hauses. Doch diesmal werden auch
Stammbesucher und Kenner überrascht sein: Da gibt es eine hochkarätige
Neuerwerbung. Die Skulptur „Weinende Frau“ von 1923 war im
US-amerikanischen Privatbesitz und kann aufgrund der großzügigen Stifter
des Barlach Hauses erstmals seit 85 Jahren wieder in Deutschland einer
größeren Öffentlichkeit gezeigt werden.
Mit dem den ganzen Körper verhüllenden Gewand ist sie die am stärksten
abstrahierende Skulptur Barlachs. Die 76-cm-Figur aus dunkel eingefärbtem
Eichenholz hat im Rundgang unter einer kleinen Oberlichtkuppel einen
prominenten Platz erhalten: Betont wird besonders die markante
Seitenansicht und ein zwischen angewinkelt erhobenen Armen, Hüfte und Knien
sich zeigender, geometrisch aufgefasster, tiefer Keil.
„Lichte Finsternis. Alfred Kubin und Ernst Barlach“: bis 10. Januar 2016,
Ernst Barlach Haus, Jenischpark, Hamburg
10 Nov 2015
## LINKS
[1] http://www.barlach-haus.de/
## AUTOREN
Hajo Schiff
## TAGS
Ausstellung
Hamburg
Kunst
Literatur
Expressionismus
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